𝐷𝑖𝑒 𝐺𝑟𝑢̈𝑛𝑑𝑒𝑟 𝑣𝑜𝑛 𝐻𝑜𝑔𝑤𝑎𝑟𝑡𝑠

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LIA
Auf dem Weg in den Gryffindor Turm führten wir eine angeregte Unterhaltung.
„Meint ihr, wir hätten ihnen von der Stimme erzählen sollen?", fragte ich unsicher.
„Nein", sagte Ron ohne zu zögern. „Stimmen zu hören, die niemand sonst hören kann, ist kein gutes Zeichen, nicht einmal in der Zaubererwelt", stimmte Hermine ihm zu.
„Ihr glaubt uns doch, oder?", wollte Harry wissen.
„Natürlich", sagte Ron rasch. „Aber du musst zugeben, es ist unheimlich..."
„Ich weiß, es ist unheimlich", meinte Harry.
Irgendwo läutete eine Glocke.
„Mitternacht", sagte Sophie. „Wir gehen besser ins Bett, bevor Snape versucht uns wegen etwas anderem dranzukriegen."

Ein paar Tage lang sprach die ganze Schule von nichts anderem als vom Angriff auf Mrs Norris. Filch erinnerte uns alle immer wieder daran, indem er am Tatort auf und ab marschierte, als ob er glaubte, der Angreifer werde zurückkehren. Ich hatte mal auf dem Weg zu Zaubertränke gesehen, wie er die Schrift an der Wand mit Mrs Skowers Allzweck-Magische-Sauerei-Entferner schrubbte, doch ohne Erfolg. Die Worte leuchteten so hell wie zuvor auf der steinernen Wand. Wenn Filch nicht den Schauplatz des Verbrechens bewachte, schlurfte er mit roten Augen durch die Gänge, stürzte sich drohend auf arglose Schüler, vor allem auf Harry und mich, und versuchte uns Nachsitzen aufzubrummen für Dinge wie lautes Atmen oder glückliches Aussehen.
Ginny schien über Mrs Norris' Schicksal sehr betrübt zu sein. Ron zufolge war sie eine große Katzenliebhaberin. Jetzt wusste ich auch, wieso sie so gerne mit Lucy spielte und kuschelte. Dies war mir bis zu Ron's Aufklärung schleierhaft gewesen.
„Aber du hast doch Mrs Norris gar nicht richtig kennengelernt", meinte Ron aufmunternd. „Ehrlich gesagt sind wir ohne sie viel besser dran." Ginnys Lippen zitterten. „Solche Geschichten passieren nicht oft in Hogwarts", versicherte ihr Ron, „sie werden den Verrückten kriegen, der es getan hat, und ihn schnurstracks rauswerfen. Ich hoffe nur, er hat Zeit, Filch zu versteinern. Ich mach nur Witze", fügte er hastig hinzu, als Ginny erbleichte.
Der Vorfall hatte auch seine Wirkung auf Hermine. Es war durchaus üblich, dass sie viel Zeit mit Lesen verbrachte, doch jetzt tat sie fast nichts anderes mehr. Weder Harry und Ron, noch Sophie und ich brachten mit unserer Frage, was sie denn aushecke, nicht viel aus ihr heraus. Was merkwürdig war, denn Sophie und mir erzählte sie alles. Es gab ein paar Dinge, die sie nur uns, Abends im Schlafsaal, im Vertrauen erzählt hatte.
Doch am folgenden Mittwoch erfuhren wir es.

Snape hatte Harry und mich nach der Zaubertrankstunde zurückbehalten und uns Ringelwürmer von den Tischen kratzen lassen.
Nachdem wir hastig unser Mittagessen hinuntergeschlungen hatten, gingen wir nach oben, um Ron, Sophie und Hermine in der Bibliothek zu treffen. Wir fanden Ron und Sophie weit hinten in der Bibliothek, wo sie ihre Hausaufgaben in Geschichte der Zauberei erledigten. Professor Binns hatte uns einen Meter langen Aufsatz über „Die Versammlung europäischer Zauberer im Mittelalter" aufgegeben.
Ich setzte mich neben Sophie und sah ihr über die Schulter. Hin und wieder warf ich etwas Wichtiges ein und zitierte ihr ein paar abgeänderte Sätze aus meinem Aufsatz.
„Ich glaub's einfach nicht, ich hab immer noch zwanzig Zentimeter zu wenig", sagte Ron aufgebracht und ließ sein Pergament los, das sich im Nu wieder zusammenrollte.
„Und Hermine hat anderthalb Meter in ihrer Bonsai-Schrift geschafft", klagte Sophie.
„Wo ist sie?", fragte ich.
„Irgendwo dort drüben", antwortete Ron und deutete zu den Regalen hinüber. „Ich glaube, sie will die ganze Bibliothek noch vor Weihnachten auslesen."
Hermine tauchte kurze Zeit später zwischen den Bücherregalen auf. Sie sah verärgert aus und schien endlich bereit, mit uns zu reden.
„Alle Exemplare der Geschichte von Hogwarts sind ausgeliehen", sagte sie und setzte sich neben mich und Sophie. „Es gibt eine zweiwöchige Warteliste. Hätte ich doch mein Exemplar nicht zu Hause gelassen, aber es hat bei den vielen Lockhart Büchern einfach nicht mehr in den Koffer gepasst."
„Warum willst du es?", wollte Harry wissen.
„Aus demselben Grund wie alle anderen auch", erwiderte Hermine, „um die Legende von der Kammer des Schreckens nachzulesen."
„Was ist das?", fragte Harry rasch.
„Das ist es ja. Ich kann mich nicht erinnern", sagte Hermine und biss sich auf die Lippe. „Und anderswo kann ich die Geschichte auch nicht finden."
„Hermine, lass mich deinen Aufsatz lesen", sagte Ron, verzweifelt auf die Uhr blickend.
„Nein, das möchte ich nicht", sagte Hermine plötzlich in strengem Ton, „du hast doch zehn Tage Zeit gehabt."
„Ich brauch doch nur noch sechs Zentimeter, nun komm schon."
„Nein."
„Lia?"
Bittend sah Ron zu mir. Ich schob ihm meinen Aufsatz rüber woraufhin ich einen strengen Blick von Hermine kassierte.
Es läutete. Ron und Hermine gingen zankend in Geschichte der Zauberei.
Das war das langweiligste Fach auf unserem Stundenplan. Professor Binns war der einzige Geist, den wir als Lehrer hatten und dass er einmal das Klassenzimmer durch die Tafel betreten hatte, war das Aufregendste, was je in seinem Unterricht passiert war. Er war uralt und schrumpelig und viele Leute sagten, er habe nicht bemerkt, dass er tot sei. Er war eines Tages einfach aufgestanden, um zum Unterricht zu gehen und hatte seinen Körper in einem Sessel vor dem Kamin im Lehrerzimmer zurückgelassen. Sein Tagesablauf hatte sich seither nicht im Mindesten geändert.
Heute war es noch langweiliger als sonst. Professor Binns öffnete seine Unterlagen und begann dumpf dröhnend wie ein Staubsauger zu lesen, bis fast alle in der Klasse in einen Wachschlaf verfallen war, nur gelegentlich aufmerkend, um einen Namen oder ein Datum zu notieren. Er hatte schon eine halbe Stunde geredet, als etwas geschah, was zuvor noch nie in diesem Fach geschehen war. Hermine hob die Hand.
Professor Binns, inmitten eines sterbenslangweiligen Vortrags über die Internationale Zaubererversammlung von 1289, schaute verdutzt auf.
„Miss - ähm -"
„Granger, Professor. Ich frage mich, ob Sie uns nicht etwas über die Kammer des Schreckens erzählen könnten", sagte Hermine mit heller Stimme neben mir.
Ich, die gerade aus dem Fenster geschaut hatte, erwachte aus meiner Trance. Sophie an dem Tisch neben an riss den Kopf von ihren Armen und Seamus Ellbogen rutschte vom Tisch was Sophie verwirrt neben sich schauen ließ.
Professor Binns blinzelte. „Mein Fach ist Geschichte der Zauberei", sagte er mit seiner trockenen, pfeifenden Stimme. „Ich habe es mit Tatsachen zu tun, Miss Grant, nicht mit Mythen und Legenden."
Er räusperte sich, was sich anhörte wie zerbrechende Kreide, und fuhr fort:„Im September jenes Jahres hat ein Unterausschuss zyprischer Zauberer..."
Er verhaspelte sich und brach ab.
Jetzt ruderte meine Hand nach oben.
„Miss Potte?"
„Bitte, Sir, gehen Legenden nicht immer auf Tatsachen zurück?"
Professor Binns sah mich derart irritiert an, dass ich mir sicher war, dass noch kein Schüler ihn je zuvor unterbrochen hatte, weder zu seinen Lebzeiten noch danach.
„Nun", sagte Professor Binns langsam, „ja, so könnte man argumentieren, denke ich."
Hermine und ich grinsten uns an. „Allerdings ist die Legende, von der Sie sprechen, eine derart reißerische, geradezu lächerliche Geschichte."
Doch nun hing die ganze Klasse an Professor Binns' Lippen. Er sah uns mit verhangenem Blick an und aller Augen waren auf ihn gerichtet. Ich konnte sehen, dass derart ungewöhnliches Interesse Binns völlig aus dem Häuschen brachte.
„Oh, wie Sie wünschen", sagte er langsam.
Jetzt wird's interessant.
„Sie alle wissen natürlich, dass Hogwarts vor über tausend Jahren gegründet wurde, das genaue Datum ist nicht bekannt, und zwar von den vier größten Hexen und Zauberern des damaligen Zeitalters. Die vier Häuser der Schule sind nach ihnen benannt. Godric Gryffindor, Helga Hufflepuff, Rowena Ravenclaw und Salazar Slytherin. Sie haben dieses Schloss gemeinsam erbaut, fern von neugierigen Muggelaugen, denn es war ein Zeitalter, als das einfache Volk die Zauberei fürchtete und Hexen und Zauberer unter grausamer Verfolgung zu leiden hatten." Er hielt inne, schaute sich mit trüben Augen im Raum um und fuhr dann fort. „Ein paar Jahre lang arbeiteten die Zauberer einträchtig zusammen. Sie suchten sich junge Leute, denen sie magische Kräfte ansahen, und brachten sie auf das Schloss, um sie auszubilden. Doch dann kam es zum Streit. Zwischen Slytherin und den andern tat sich eine wachsende Kluft auf. Slytherin wollte die Schüler, die in Hogwarts aufgenommen wurden, strenger auslesen. Er glaubte, das Studium der Zauberei müsse den durch und durch magischen Familien vorbehalten sein. Schüler mit Muggeleltern wollte er nicht aufnehmen, denn sie seien nicht vertrauenswürdig. Nach einiger Zeit kam es darüber zu einem heftigen Streit zwischen Slytherin und Gryffindor, und Slytherin verließ die Schule."
Wieder machte Professor Binns eine Pause, schürzte die Lippen und sah dabei aus wie eine schrumplige alte Schildkröte.
„Zuverlässige historische Quellen sagen uns jedenfalls so viel", sagte er. „Doch diese klaren Tatsachen werden überwuchert durch die fantasiereiche Legende von der Kammer des Schreckens. Dieser zufolge hat Slytherin eine Geheimkammer in das Schloss eingebaut, von der die anderen Gründer nichts wussten. Und die Legende sagt weiter, dass Slytherin diese Kammer versiegelt hat, sodass keiner sie öffnen kann, bis sein eigener wahrer Erbe zur Schule kommt. Der Erbe allein soll in der Lage sein, die Kammer des Schreckens zu entsiegeln und das Grauen darin zu entfesseln und mit seiner Hilfe die Schule von all jenen zu säubern, die es nicht wert seien, Zauberei zu studieren."
Ein Schweigen trat ein, als er zu Ende erzählt hatte, doch es war nicht das übliche, schläfrige Schweigen, das Professor Binns' Unterricht erfüllte. Die Stimmung war unangenehm gespannt, denn alle sahen ihn an und warteten auf mehr. Professor Binns sah ein wenig ungehalten aus.
„Die ganze Geschichte ist natürlich blühender Unsinn", sagte er. „Natürlich haben die gelehrtesten Hexen und Zauberer die Schule nach einer solchen Kammer durchsucht, viele Male. Es gibt sie nicht. Eine Mär, die dazu taugt, den leichtgläubigen Furcht einzujagen." Hermines Hand war schon wieder oben. „Sir - was genau meinen Sie mit dem Grauen im Inneren der Kammer?"
„Das soll eine Art Monster sein, das nur der Erbe von Slytherin im Griff hat", erklärte Professor Binns mit seiner trockenen, schrillen Stimme. Die Klasse tauschte beunruhigende Blicke aus.
„Ich versichere Ihnen, dieses Wesen existiert nicht", sagte Professor Binns als wolle er uns beruhigen. „Es gibt weder eine Kammer noch ein Monster."
„Aber Sir", sagte Sophie, „wenn die Kammer nur von Slytherins wahrem Erben geöffnet werden kann, dann kann sie ja kein anderer finden, oder?" »Unsinn, Woodreef", sagte Professor Binns nun in ernsterem Ton. „Wenn eine lange Reihe von Schulleitern und Schulleiterinnen in Hogwarts das Ding nicht gefunden hat -"
„Aber, Professor", piepste Parvati Patil, „man braucht wahrscheinlich schwarze Magie, um sie zu öffnen -"
„Wenn ein Zauberer keine schwarze Magie gebraucht, heißt das noch lange nicht, dass er sie nicht auch beherrscht, Miss Pennyfeather", antwortete Professor Binns barsch. „Ich wiederhole, wenn Leute wie Dumbledore -"
„Aber vielleicht muss man mit Slytherin verwandt sein, also konnte Dumbledore nicht -" , begann Dean, doch Professor Binns hatte genug.
„Das reicht jetzt!", sagte er scharf. „Es ist ein Mythos! Die Kammer existiert nicht! Es gibt nicht den Zipfel eines Beweises, dass Slytherin auch nur einen geheimen Besenschrank gebaut hat! Ich bereue es, Ihnen eine so hanebüchene Legende erzählt zu haben! Wir werden jetzt, wenn Sie erlauben, zur Geschichte zurückkehren, zu den harten, glaubhaften und nachprüfbaren Tatsachen!"
Und fünf Minuten später war die Klasse wieder in ihren üblichen Wachschlaf gesunken.

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