{35} All Eyes On Me, pt. 6

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»Komm schon, mach nicht so ein Gesicht. Es war gut, wirklich.«

Cecilie rückte näher an Kasimir heran und legte ihm den Arm um die Schultern. Es war beängstigend, wie deutlich sich dabei ihr Bizeps aufwölbte. Thomas hatte ganze Arbeit geleistet.

»Kann sein«, erwiderte er. Leider würde ›gut‹ auf diesem Niveau im direkten Vergleich nicht ausreichen.

Nach den ersten sechs Auftritten war Kasimir noch zuversichtlich gewesen, dass die Qualität der Kompositionen irgendwann abnehmen musste. Allerdings hatte sich diese Hoffnung mit der Zeit zerstreut, und nun saß er da, eine halbe Stunde nach Leonhards atemberaubendem Auftritt, und war nicht mehr in der Lage einzuschätzen, wo er stand. Ernsthaft an den Erfolg glauben konnte er in diesem Augenblick nicht.

»Mach dir keine Gedanken, es wird ganz sicher reichen. Jetzt kannst du eh nichts mehr ändern, dein Schicksal liegt im Ermessen der Jury.«

»Wie beruhigend«, gab er müde zurück. Das lange Warten und dieses üble Adrenalintief nach dem Auftritt machten es ihm schwer, die Augen offen zu halten. Cecilie und er waren die einzigen, die etwas verloren in der ersten Reihe saßen, alle anderen hatten sich schwatzend im Saal verteilt oder bedienten sich am Buffet im Gang. »Ein Glück, dass ich mich so respektvoll in Jogginghosen präsentiert habe. Das gibt bestimmt Pluspunkte.«

»Das war aber auch selten dämlich«, pflichtete Cecilie bei. »Die Schuld kannst du niemandem in die Schuhe schieben. Warum hast du nicht wenigstens dein Jugendweihejackett ...«

»Keine Zeit. Zu klein. Mir egal.«

»Jetzt benimm dich nicht wie ein bockiger Teenie, klar? Hättest du dir mal ein Beispiel an Leo genommen, der sieht wirklich todschick aus in seiner Weste.«

»Den hat auch seine italienische Modetussi eingekleidet. In Wahrheit hat der Typ absolut keinen Geschmack.«

»Na und? Er lässt sich wenigstens helfen und ist nicht so ein sturer Bock, der sich völlig vor Kritik verschließt. Apropos, wo bleibt er eigentlich?«

»Wollte sich ein Sandwich holen«, sagte Kasimir und beobachtete, wie minutiös Cecilie nach ihm Ausschau hielt. »Seit wann nennst du ihn beim Spitznamen?«

»Tja, mit ihm wird man halt schneller warm als mit dir, Brüderchen. Da du mich damals in der Semperoper einfach hast sitzen lassen, blieb mir kaum etwas anderes übrig, als mir von ihm erklären zu lassen, was genau vor sich geht. So sind wir ins Gespräch gekommen. Er war überaus nett und höflich, hat mir sogar meinen Mantel von der Garderobe geholt, damit ich mich nicht hinten anstellen muss. Und hübsch ist er obendrein, meine Güte. Wenn ich zehn Jahre jünger wäre, glaub mir, der Junge hätte längst 'nen Ring am Finger ...«

Kasimir musterte sie kurz und senkte anschließend den Blick. Dieser schwärmerische Ton gefiel ihm überhaupt nicht. Wenngleich er nicht widersprechen konnte. Leonhard sah gut aus. Er war freundlich, verdammt freundlich sogar, und das zu jedem hier. Mit fast allen war er bekannt, hatte Kasimir dem halben Ensemble vorgestellt, während er sich am liebsten nach draußen verzogen und eine geraucht hätte. Aber er hatte alles brav über sich ergehen lassen, Sozialkontakte aufgebaut und sich sogar zu lächeln bemüht. Alles, um ihm zu gefallen. Er fühlte sich wie ein schlechter Mix aus pubertärem Schulmädchen und dem letzten Idioten. War das ätzend.

»Aber ist doch schön, dass ihr euch gefunden habt.«

»Was?«, erwiderte Kasimir. Cecilies Blick wirkte daraufhin nicht minder überrascht als seiner.

»Ich meine, nach der Sache damals. Er hat mir gesagt, dass er ziemliche Beklemmungen hatte, weil er geglaubt hat, du wärest wütend auf ihn wegen seines Sieges. Ehrlich gesagt, das hätte auch zu dir gepasst, du warst schon als Kleinkind furchtbar nachtragend. Aber irgendwie funktioniert es zwischen euch. Und das soll was heißen, wenn jemand nach 24 Stunden noch mit dir zurechtkommt. Du solltest diese Freundschaft wertschätzen, Kasi. Leo ist ein echt lieber Mensch und ich glaube, er mag dich wirklich. Als Person, nicht nur als Pianisten.«

All Eyes On Me [1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt