{72} Easy, pt. 6.1 - Humoreske

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Als der Beifall das Brennen in seinen Fingern löschte, legte sich ein wohliger Schauer um Leos Schultern. Die Stücke waren ihm nicht leicht von der Hand gegangen und er war froh, zuallererst Paulas Lächeln zu erblicken. Er wusste, dass das Gefühl unter seiner Tastenjagd gelitten hatte, aber das tat ihrer Faszination keinen Abbruch.

»Das war beeindruckend, Leo. Eine ganz neue Facette deines Spiels.«

»Danke«, erwiderte er schmunzelnd und ließ sich neben ihr nieder. »Auch wenn ich mich ziemlich mies fühle. Das hätte dein Auftritt sein sollen.«

Sie sah ihm einen Moment lang unverständig in die Augen, dann wies sie sein Schuldeingeständnis mit einer hektischen Handbewegung von sich.

»Nein, nein, du bist vollkommen zurecht im Finale. Ich bin einfach nur glücklich, dass ich den Abend mit dir verbringen kann ... I-Ich meine damit nicht, dass ich unbedingt den Abend mit dir ... nein, also doch, das wollte ich schon, aber ... nicht, wie du vielleicht denkst, das heißt, weißt du ...«

»Alles gut, Paula. Ich freu mich, dass du hier bist. Und dass wir nachher gemeinsam auf der Bühne stehen.«

»Ja, ich mich auch ... jetzt bin ich aber erstmal gespannt, wie sich Kasimir schlägt. Das wird keine leichte Aufgabe für ihn, dich zu überbieten.«

Sie wandte sich der Bühne zu. Leo fiel erst jetzt auf, dass Kasimir bereits vor den Flügel getreten war und seinen Hocker zurechtrückte. Irgendwie wurmte es ihn, dass er ihm mit seiner Flucht nach vorn die Möglichkeit genommen hatte, ihm Glück zu wünschen.

Plötzlich zog ihn ein deutliches Räuspern aus seinen Grübeleien und er wandte sich zu seiner Rechten. Hätte er doch beinahe seinen teuflischen Engel vergessen.

»Du hast gut gespielt«, meinte Franna betont beiläufig. »Damit sollte dich die Jury wieder auf dem Schirm haben, nachdem du die dritte Runde dermaßen in den Sand gesetzt hast.«

»Danke. Und da Kasimir seine Etüden jetzt ordentlich versemmeln wird, habe ich das Ding praktisch schon gewonnen ...«

Als ein schmales Lächeln über Frannas Lippen huschte, hielt Leo inne. Eigentlich war er bemüht gewesen, seinen Worten eine gute Portion Ironie aufzutragen. Dafür wirkte ihr Gesichtsausdruck allerdings eine Spur zu siegessicher.

»Wenn er mir eben die Wahrheit gesagt hat, brauchst du dir darüber keine Sorgen zu machen. Stellt sich bloß die Frage, ob er mit dieser Vorgehensweise am Ende nicht sein eigenes Ziel verfehlt.«

»Wovon sprichst du?«

Die Antwort brauchte sie ihm nicht zu geben. Nach Kasimirs erstem Anschlag bemerkte er, dass es sich bei diesem Stück zwar um eine Komposition aus Liszts Feder handelte – allerdings nicht jene, die er erwartet hatte.

»Die dritte Consolation?«, wisperte er. Francesca nickte. Sie schien nicht überrascht über die unerwartet ruhigen Klänge.

»Interessant. Dass er so tief stapeln würde, hätte ich ihm nicht zugetraut.«

Leo glaubte, eine seltsame Art von Anerkennung aus Frannas Blick zu lesen, während sie Kasimir beim Spielen zusah.

»Was ist aus seinem ursprünglichen Programm geworden?«, fragte er verwirrt. »Er hat es dir doch verraten, oder nicht? Ich meine ... ist es überhaupt erlaubt, sich spontan für ein anderes Stück zu entscheiden?«

»Eine unangekündigte Änderung der zuvor festgelegten Auswahl resultiert in der Disqualifikation des Kandidaten. Ich habe dir die Leitlinien des Wettbewerbs dreimal vorgelesen.«

»Ja, aber ...«, murmelte Leo und blickte beunruhigt hinauf zu Kasimir, dessen Mimik nicht den geringsten Rückschluss auf seine Intention zuließ. »Soll das heißen, dass er ... er kann doch nicht einfach ...«

All Eyes On Me [1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt