»Wie siehst du denn aus?«, fragte Thomas, Cecilies Adonis Mitte dreißig im Glanze seines gestählten Sixpacks, als er Kasimir vor Nässe triefend im Treppenhaus erblickte. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt wie ein Türsteher, der sich nicht auf Diskussionen einließ, wenn ihm der Einlasserbittende nicht gefiel. Da sich Kasimir der Erbärmlichkeit seines Auftritts bewusst war, würde diese Begegnung wohl nicht auf eine ausschweifende Unterredung hinauslaufen.
»Wo ist Cecilie?«, erwiderte er so fest wie möglich, obwohl seine Stimmbänder vor Kälte vibrierten. Er hatte gelernt, dass er ihm gegenüber eine gewisse Mannhaftigkeit an den Tag legen musste, um auf Antworten zu hoffen. Thomas warf provokativ einen Blick über seine Schulter und dann auf den Dielenboden hinter sich. Dort lagen Kleidungsstücke wahllos verteilt.
»Zieht sich um«, gab er zurück und musterte Kasimir kritisch. »Hast nicht das beste Timing abgepasst, hier aufzukreuzen, Kleiner.«
Er verstand zunächst nicht, was er damit andeuten wollte. Erst als er Cecilie im knallpinken Bademantel am Ende des Flures erblickte, dämmerte ihm, in welches Szenario er eben hineingeplatzt sein könnte. Und plötzlich durchzog ihn dieser grässliche Schauer, der seit Minuten in seinem Inneren geschlummert hatte.
»I-Ich ...«, stammelte Kasimir und wusste vor Verlegenheit nicht, wohin er den Blick wenden sollte. »So war das nicht ...«
»Kasi!«, rief Cecilie und trat neben ihren Freund, der nur lax mit der Zunge schnalzte. »Was ist passiert? Du bist ja klitschnass!«
Ich habe dafür gesorgt, dass du deinen Job verlierst.
Er brachte keinen Ton hervor, sein Blick haftete am Abtreter zu seinen Füßen. Ein Hase war darauf abgebildet, Langohrentreff stand darunter.
»Komm erstmal rein«, sagte Cecilie und schob Thomas beiseite, um Kasimir Zugang zu den beheizten Räumlichkeiten zu verschaffen. Die wohlige Wärme ließ ihn für einen Moment vergessen, aus welcher Situation er soeben geflohen war.
»Mach dir am besten gleich 'ne heiße Dusche an und schäl' dich aus deinen Badesachen ... Moment, ist das die Uniform vom Restaurant?«
Und vorbei war die Regenerationsphase. Kasimir wusste, dass er über kurz oder lang nicht um die Wahrheit herumkommen würde. Offenbar sah sich Thomas höchstpersönlich in der Pflicht, sein Versagen in Worte zu fassen.
»Gefeuert nach drei Stunden? Respekt. Neue Bestleistung, du Pfeife.«
»Halt die Klappe, Tommy«, meckerte Cecilie und legte Kasimir ein großes weißes Handtuch über die Schultern. »Lass ihn erstmal ankommen, er wird es uns schon noch erklären.«
»Sicher, weil er auch sonst immer den Mund aufkriegt. Ist doch klar, was abgelaufen ist. Anstatt den Anstand zu besitzen, sich ein Hotelzimmer zu nehmen, kreuzt er mitten in der Nacht hier auf, um sich von dir bemitleiden zu lassen. Zum ungünstigsten Zeitpunkt. Es ist Valentinstag, mein Gott. Denk mal drüber nach.«
»Und sein Geburtstag, also halt den Ball flach, okay?«
Daraufhin schob sie ihn ins Bad und schloss die Tür hinter sich. Das darauffolgende Wortgefecht hörte Kasimir trotzdem, bis die beiden in Cecilies Zimmer verschwanden.
Er atmete tief durch und lehnte sich an die Tür, drückte seine pochende Stirn fest dagegen. Immerhin war endlich die Musik in seinem Kopf verstummt. Alles wurde auf einmal still um ihn herum.
Unerträglich still.
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All Eyes On Me [1]
Storie d'amore»Vollkommen egal, wie viele Menschen dir jetzt zusehen. Spiel so, dass ich die Augen nicht von dir lassen kann.« Die Liebe zur Musik bestimmt Kasimirs Leben, nirgends entfaltet er seine Gefühle so frei wie am Klavier. Bis sein Traum, als Pianist mit...