{61} Belüge mich, pt. 3

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27.09.1995

Liebe Cynthia Hasenick,

ich möchte mich auf diesem Weg noch einmal für deinen Beistand bedanken (Ich hoffe, du kannst meine Schrift lesen ... ich weiß, sie ist nicht gut).

Es macht mich immer noch glücklich, dass dir das Konzert gefallen hat ... wirklich. Bitte entschuldige das schweigsame Abendessen. Solltest du Interesse haben, noch einmal ein Konzert mit mir zu besuchen, werde ich mich bemühen, mein Deutsch zu verbessern. Ich würde mich sehr freuen!

Darf ich dich kontaktieren, wenn ich wieder nach Deutschland komme?

Herzlichst,

Alain Gaillard

13.04.1996

Liebe Cynthia,

vielen Dank für deine Korrekturen. Du hast recht, es fehlt der Melodie an Prägnanz ... ich glaube, ich brauche eine von deinen kreativen Kopfnüssen.

Ich möchte dich bald wiedersehen. Unbedingt.

Ende des Jahres spiele ich ein Kammerkonzert in der Nähe des Dresdner Altmarkts. Ich hoffe, du findest ein wenig Zeit für mich.

Ich vermisse dich,

Alain

18.04.1997

Meine liebste Cynthia,

ich kann es kaum erwarten, nächste Woche wieder nach Deutschland zu kommen. Hast du die Tickets für meine Auftritte in Frankfurt und Berlin bekommen?

Ich muuuuuss dich sehen ... die Zeit verstreicht zu langsam, manchmal glaube ich, sie arbeitet gegen mich. Du fehlst mir unfassbar. Deine Briefe helfen mir über die Wochen hinweg, aber es ist und bleibt schwer ...

Ich sage mir selbst, eines Tages wird es einfacher sein. Eines Tages bin ich bei dir. Und du an meiner Seite.

Ich liebe dich.

Dein Alain

Kasimir las sorgsam Zeile für Zeile, ehe er auch den dritten Text auf Cecilies Display wegklickte und ihr das Smartphone zurück in die Hand legte.

»Was soll das sein?«, fragte er und blickte seiner Schwester ins Gesicht. Ihre Mimik wirkte wie festgefroren.

»Meine Abschriften aller Briefe, die sich deine Eltern über drei Jahre hinweg geschrieben haben. Sie sind ursprünglich auf Französisch.«

Sie griff in ihre Handtasche und zog einen USB-Stick hervor, den sie zwischen sich und ihm auf die Bank legte. »Tut mir leid, ich bin auf diese Situation nicht so gut vorbereitet. Die Originale kann ich dir zuhause zeigen, aber du wirst nicht viel damit anfangen können. Auf dem Stick befinden sich die deutschen Übersetzungen von siebenundzwanzig Dokumenten. Du kannst ihn haben.«

Sie schob das Speichermedium vorsichtig zu ihm herüber.

»Und wo sollen diese Dokumente plötzlich herkommen?«

Er blickte seiner Schwester in die Augen. Wenn sie glaubte, ihn mit ein paar eingetippten OneNote-Notizen von ihrer Behauptung überzeugen zu können, überschätzte sie seine Blauäugigkeit um Welten. Cecilie seufzte.

»Du erinnerst dich sicher an dein Geburtstagsgeschenk. Ich habe dir erzählt, dass es mir nicht leichtgefallen ist, an den Schlüssel zu kommen, nicht wahr? Das war gelogen.«

All Eyes On Me [1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt