{9} Andare in bestia, pt. 2

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Das Wetter meinte es nicht gut mit Leo, und zu seinem Bedauern würde die Taxifahrt in Kürze enden. Francesca hielt jenseits der Scheiben Ausschau nach dem Restaurant ihrer Wahl, so lautete der Deal. Wenn er sich nicht täuschte, würde er dieses Mal nicht zwischen feinen italienischen Antipasti wählen dürfen. Dieses Viertel der Stadt war bekannt für seine hervorragende französische Küche.

»Irgendwo hier muss es sein ...«, murmelte sie und drückte ihre Nase gegen die Scheibe. Leo musste schmunzeln, auf Eleganz war sie wohl nicht bedacht. Aber genau das mochte er an ihr. Diese unverstellte Art, mit ihm zu sprechen, ihn zu triezen oder launisch herumzunörgeln.

»Was genau suchst du denn?«

»Kannst mir eh nicht helfen. Es heißt ›La Prélude‹. War selbst nie dort, habe aber recherchiert, dass es gut sein soll.«

»Seit wann magst du französisch?«, fragte er. Ihre Lippen verzogen sich zu einem süffisanten Lächeln.

»Seit sich die Froschgourmets einen nagelneuen Steinway A-188 zugelegt haben.«

Sie wandte sich vorfreudig zu ihm um, und ihm wurde bewusst, auf welch Unheil er sich eingelassen hatte. Seine Mundwinkel entwickelten ein Eigenleben zwischen dem Bedürfnis, sich tief zu senken und dem Reflex, Francescas wunderschönes Gesicht mit einem Schmunzeln wertzuschätzen.

»Dein Ernst? Ich hab vorhin in der Harmonica gespielt, wie unersättlich bist du eigentlich?«

»Tja, war eben ein magerer Auftritt. Sei froh, dass deine Konkurrenz dieses Jahr so schwach war, verdient hast du dir diesen Kuschelsieg nicht. Aber du kannst dein Versagen wettmachen, indem du mir ein Privatkonzert gibst, während ich mir eine Crêpe Suzette einverleibe.«

»Ich werde für den ersten Platz bestraft?«, fragte er amüsiert und senkte den Blick auf seine etwas zu krummen Finger. Seine Motivation, ihnen heute Höchstleistungen abzuverlangen, hatte sich nach dem nachmittäglichen Telefonat in Grenzen gehalten. Allerdings bezweifelte er, dass Franna ihn anders ansehen würde, selbst wenn er Vladimir Horowitz an die Wand gespielt hätte.

»Na also, da ist es«, sagte sie und winkte mit den Händen vor dem Rückspiegel herum, um dem Taxifahrer verständlich zu machen, dass er sich endlich einen Parkplatz suchen durfte. »Möglichst nah bitte. Ich will nicht meterweit durch den Guss staksen.«

»Ich trage deinen Schirm.«

»Nicht nötig. Ich bin emanzipiert, daran ändert auch dieser nervige Valentinstag nichts. Meine Güte, die Bude sieht voll aus. Aber für eine Vielli und ihren Vasallen wird sich schon ein Plätzchen finden.«

Leo musste ein Grinsen unterdrücken. Er glaubte ihr aufs Wort. Die semi-mafiösen Strukturen der Familia Vielli hätte er niemals infrage gestellt. Allein Francescas Vater verdankte er seine Ausbildung, die teuren Unterrichtsstunden und Gehörschulungen. Das lag vor allem an seiner innigen Freundschaft zu dessen temperamentvoller Tochter. Francesca hatte Leo bereits im Sandkasten die Schippe über den Kopf gezimmert, wenn er nicht gespurt hatte, an seinen Fertigkeiten zu feilen. Sie hatte stets hinter ihm gestanden, ihn vorwärts getreten und ihm selbst in den schwierigsten Selbstkrisen zurück auf die Beine geholfen. All ihre Kraft und Ausdauer hatte sie ihrem Schützling gewidmet, bis es ihm gelungen war, allein vorweg zu gehen. Auch wenn er das noch immer am liebsten an ihrer Seite tat. Irgendwann würde er ihr genau das sagen. Dass sich alles, was er sich wünschte, darin vereinigte, Seite an Seite mit ihr zu gehen.

Er lehnte sich ein Stück zu ihr herüber und blickte aus dem Fenster. Das Lokal, auf welches sie deutete, schien ausgesprochen gut besucht zu sein. Der Name stand in geschwungenen Lettern leuchtend über dem gewaltigen Panoramafenster. Allerdings war dort noch etwas, das seine Aufmerksamkeit beanspruchte: Zwei Kellner lehnten unter der kleinen Überdachung und unterhielten sich. Das Mädchen rauchte. Und der Junge kam ihm verdammt bekannt vor.

Zehn Meter weiter kam das Taxi zum Stehen und Leo reichte dem Fahrer seinen Lohn mit ausreichendem Trinkgeldüberschuss, um ihn für Francescas Launen zu entschädigen. Dann stieg er aus, entfaltete seinen Schirm und eilte hinüber zur anderen Seite des Wagens. Francesca knallte ihm die Tür jedoch so kraftvoll vor die Brust, dass er ächzend zurückstolperte, während sie sich meckernd vom Polster erhob.

»Steh nicht im Weg rum. Geh lieber zum Eingang und stell dich unter, du wirst noch ganz nass.«

Kaum hatte sie ihren Satz beendet, rauschte sie an ihm vorbei und trat ins Foyer. So wirklich händeln konnte er ihre stürmischen Allüren noch nie, aber hin und wieder gingen sie ihm mächtig auf den Zeiger.

»Franna, warte mal!«, rief er ihr nach und griff ihre Handtasche vom Autositz, ehe auch er in Richtung Restaurant lief. Das uniformierte Mädchen am Eingang bemerkte seine Zerstreuung, griff nach der Klinke und hielt ihm die Tür auf. Was war los mit den Damen heutzutage? Besaß denn keine mehr den Anstand, einen Mann Mann sein zu lassen?

»Danke ...«, murmelte Leo und erntete ein süßes »Keine Ursache.« Dann sah er zu dem schwarzhaarigen Kellner. Sein Blick haftete abwesend an dem Sturzbach von Asphaltstraße, und Leo fiel endlich auf, warum ihm seine Silhouette so bekannt vorgekommen war. Er hielt einen Moment inne, ehe er Francesca in die trockene Wärme des Gastraumes folgte.

Dieser Abend könnte doch noch ganz interessant werden.

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