Strahlend hell. Knallig bunt und laut.
Leo liebte das. Wenn alle Welt müde wurde, blühte er auf, sonnte sich im Schwarzlicht und ließ sich vom lärmenden Chaos um den Verstand bringen. Am liebsten wollte er den Bass aufdrehen, wenn jedem um ihn herum die Ohren schmerzten. Seine Gedanken waren vogelfrei, sein Handeln oftmals nicht durchdacht. Frohsinnig komisch, verquer und eine Spur zu sonderbar. Vielleicht war das der Grund, weshalb er so viele Bekannte hatte, aber keine echten Freunde.
Er strich über den Taufstein vor dem Altar und ließ seinen Blick durch die vollbesetzten Ränge schweifen. Funkelnde Kleider, edle Smokings. Gleich war es so weit. Gleich würde er all diesen Menschen ein furioses Schauspiel bieten und im Gegenzug mit Endorphinen belohnt werden. Leistung für Beifall. Ein flammender Impuls, der sein Blut zum Kochen brachte. Das war es, was ihm für einen ekstatischen Moment über seine zusammengestauchte Einsamkeit hinweghalf. Manchmal wünschte er jedoch, dieses Gefühl würde länger anhalten. Zu oft kam es ihm vor, als breiteten sich erwartungsvolle Blitze über seinen ganzen Körper aus, nur um sich kurz vor seinem Herzen zu entladen. Er spürte ihr Prickeln in den Fingerspitzen und hörte sie in den Ohren knistern, doch den erlösenden Schock empfand er selten. Genau genommen nur, wenn er schweigsam dem Klanggewitter eines anderen Menschen lauschte.
»Alles in Ordnung?«
Leo drehte sich um und schmunzelte. Es war gespenstisch, wie zielsicher Kasimir von seinen Gedanken angezogen wurde. Als wären sie zwei gegensätzlich gepolte Magneten, die immer wieder zueinander finden mussten.
»Klar, alles cool.«
»Du bist so still.«
»Sagt der Richtige«, erwiderte Leo. »Keine Sorge. Ist nur meine Ruhe vor dem Sturm.«
Kasimir nickte und trat neben ihn, um ebenfalls ins Publikum zu blicken. Es war beeindruckend. Noch vor wenigen Wochen hätte er es niemals gewagt, eine Sekunde länger auf dieser Bühne zuzubringen als notwendig. Heute zitterten trotz der Aufregung nicht einmal mehr seine Finger.
»Und? Hast du Angst vor dem Sturm?«, fragte Kasimir. Leo zuckte mit den Schultern.
»Angst ist das falsche Wort. Aber ich bin nicht unbedingt heiß drauf, von dir in Grund und Boden gespielt zu werden, wenn du das meinst.«
»Das wird nicht passieren.«
Leo sah ihm ins Gesicht. Obwohl Kasimir seinen Blick ausgesprochen emotionsarm erwiderte, erfüllte ihn seine Aufmerksamkeit mit einem seltsamen Wohlgefühl. Dabei war er doch alles andere als bunt und laut.
»Ich kenne dein Programm und deine Abschlusskomposition, Kasi. Ehrlich gesagt mache mir keine Illusionen, dass ich auch nur ansatzweise damit konkurrieren könnte. Ich bin längst kein Gegner mehr für dich.«
»Nein ...«, murmelte Kasimir, während sein Blick auf das Taufbecken hinabsank. »Du bist nicht mein Gegner ... das warst du nie. Du bist ...«
Als er zögerte, zog sich etwas in Leos Brust zusammen.
»Was denn?«
»Keine Ahnung«, antwortete Kasimir und vergrub seine Hände in den Anzugtaschen. Er schien seinen sentimentalen Moment zu bereuen. Leo grinste und stupste ihn in die Seite.
»Komm schon, sag.«
»Nein.«
»Los, das ist die Gelegenheit, mich vor dem Auftritt emotional zu verwirren und dir den Sieg zu sichern.«
»Du bist eine Nervensäge. Zufrieden?«, meinte Kasimir und zischte abweisend, als Leo ihm sein flegelhaftestes Grinsen schenkte. Allerdings fiel es ihm ziemlich schnell aus dem Gesicht, als Kasimir seine Äußerung noch ein wenig erweiterte.
DU LIEST GERADE
All Eyes On Me [1]
Romance»Vollkommen egal, wie viele Menschen dir jetzt zusehen. Spiel so, dass ich die Augen nicht von dir lassen kann.« Die Liebe zur Musik bestimmt Kasimirs Leben, nirgends entfaltet er seine Gefühle so frei wie am Klavier. Bis sein Traum, als Pianist mit...