{47} When the rain begins to fall, pt. 1

491 66 2
                                    

Wie der Sand zwischen deinen Fingern zerrinnt, so kann es dein gesamtes Leben.

Wenn die Tage zerfließen, werde ich an deiner Seite sein und dir helfen, deinen Weg zu finden.

Mein Gefühl für dich ist unvergänglich.

Es war federleicht. Seine Fingerspitzen berührten kaum die Tasten, schon jagten sie der nächsten Harmonie nach und beraubten das Klavier seiner Fähigkeit, ein anspruchsvolles Instrument zu sein. Er spielte, als gäbe es keinen Widerstand, als schlügen die Hämmerchen wie von selbst gegen die Saiten und folgten allein seinen Gedanken. Seine Hände waren Tänzer und die Melodie ihr Partner, wie von Sinnen rauschten sie über das schwarz-weiße Parkett und hinterließen Klangspuren. Die Schritte wurden schneller und zogen ihr unsichtbares Publikum in ihren Bann. Es lag Leidenschaft in jedem Kontakt, der Wunsch nach Nähe und eine unbändige Hitze, die sich von Takt zu Takt in kleinen Blitzen entlud. Er spürte die Kraft, die in seinen Händen wohnte, die Virtuosität, in welcher er die Melodie über die Tanzfläche trieb und sie dennoch so festhielt, als gehöre sie ihm allein. Und sie fügte sich seinen Bewegungen und Wünschen.

Sie wollte von ihm berührt werden. Und er wollte sie berühren.

Wenngleich sich die Sonne verbergen mag, werden wir das Licht, das uns beide erleuchtet, niemals aus den Augen verlieren.

Wir werden zusammen sein, solange wir können.


Kasimirs Herz schlug schwindelerregend fest, als wollte es gegen den Takt rebellieren, doch er ließ sich nicht beirren. Er war konzentriert wie noch nie, gefangen in seinem Universum aus Noten und Empfindungen. Schwerelos schwebten seine Gedanken durch Raum und Zeit, während sein Spiel wie eine Rakete durch den Orbit rauschte. Es existierte nichts, das sie aufhalten konnte. Weder der Asteroidenschwarm aus Angst, der seinen Lebtag lang bedrohlich um seinen Zwergplaneten gekreist war, noch ein schwarzes Loch, das ihn womöglich eines Tages verschlucken könnte. All diese Gefahren waren weit entfernt und er sorgte sich nicht um sie. Er sorgte sich um gar nichts mehr. Er war nicht länger allein in seinem Kosmos.

Und wenn der Regenschauer über dir hereinbricht, werde ich dein Regenbogen am Himmel sein.

Ich werde dich auffangen, wenn du fällst. Du wirst mich niemals darum bitten müssen.

Auch wenn der Regen dich nicht ruhen lässt, werde ich dir dein Leben lang Sonne schenken.

Du weißt, dass uns die Welt gehört,

und am Ende alles gut sein wird.


Ein letzter Akkord und die Vorstellung war beendet. Die Tänzer rangen nach Luft, verbeugten sich und ließen sich feiern. Er, der Marionettenspieler, lehnte sich zurück und genoss den stillen Jubel, während sein Blick verloren zur Decke wanderte. Dieser Augenblick war perfekt. Er würde Kasimir erhalten bleiben, bis er ihn morgen vor allen Kandidaten und Zuschauern noch einmal übertreffen würde. Denn der kleine, aber feine Unterschied, welcher den Ausschlag für seinen Sieg geben würde, war die Anwesenheit einer einzigen Person. Für sie würde er dieses Lied unsterblich machen. Er konnte es kaum noch erwarten.

Kasimir nahm die Finger von der Klaviatur und rieb die Hände ineinander; sie hatten sich eine Pause verdient. Die vergangenen Tage hatten nächtlichen Frost mit sich gebracht und das alte Gemäuer der Kapelle auskühlen lassen, allerdings spürte er davon nicht viel. Er hatte sich in Rage gespielt, zum x-ten Mal an diesem wolkenlosen Frühlingstag. Ihm war so warm, dass er sich am liebsten ohne Jacke vor die Tür gestellt hätte. Allerdings gab es keinen Anlass mehr dafür. Seine letzte Schachtel Zigaretten hatte er in den versifften Mülleimer vor seinem Wohnblock geworfen. Es war eine schwachsinnige Idee gewesen, überhaupt mit dem Rauchen anzufangen. Immerhin wusste er jetzt, wie angenehm Lippen schmeckten, die nicht tagtäglich mit Tabak in Berührung kamen.

All Eyes On Me [1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt