{69} Easy, pt. 3

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Das kleine Vorbereitungszimmer erschien vollkommen abgekoppelt vom hektischen Treiben im Innenbereich der Frauenkirche. Als Kasimir die Tür hinter sich schloss, verstummten die Gespräche und er fand sich wieder in einem kleinen Kosmos aus Stille.

An den Wänden standen übereinandergestapelte Stühle, Kartons mit Gesangsbüchern und ein langer Garderobenständer für die Wechselkleidung des Personals. Zwei in die Jahre gekommene Gitarren lehnten in der rechten Ecke neben einer großen Freifläche. Dort hatte vermutlich der Flügel gestanden.

Kasimir tappte zur Wand und ließ sich neben den Saiteninstrumenten auf dem Boden nieder, betrachtete seine Finger und schloss seufzend die Augen. Er wusste nicht, ob er das Richtige tat. Er hatte sich nie wohl bei dem Gedanken gefühlt, selbstständig Entscheidungen zu fällen, die derart weitreichende Folgen hatten. Aber was blieb ihm anderes übrig? Cecilie würde versuchen, ihm sein Vorhaben auszureden. Nicht minder bezweifelte er, dass Leonhard strikt dagegen wäre, konkurrenzlos zu siegen. Sie hatten einander versprochen, als ebenbürtige Gegner im Finale aufeinanderzutreffen; eine Revanche, die Kasimir seine Schmach von vor sieben Jahren vergessen lassen würde. Und nun saß er hier in dem Wissen, dass es abermals ernüchternd für ihn ausfallen würde. Wahrscheinlich würde er sein Leben lang nicht gegen Leonhard bestehen können, aufgrund welcher Umstände auch immer. Nur machte es ihm heute nichts mehr aus.

Er war entschlossen, seinen künftigen Werdegang selbst in die Hand zu nehmen. Wenn diese Niederlage den Ausschlag für einen Neuanfang geben würde, war sie ein zu verschmerzendes Opfer. Diese Einsicht ließ ihn ein wenig Selbstvertrauen schöpfen, als sich die Türklinke langsam senkte.

»Na, Angsthasi? Verkriechen wir uns wieder in unserem Bau?«

Kasimir starrte sich einen Moment lang an der Gestalt fest, die soeben im grauen Anzug und mit einem blendenden Lächeln auf den Lippen das Zimmer betrat. Obwohl er ihn bereits gestern Nachmittag zu ihrer ersten und letzten gemeinsamen Probe wiedergetroffen hatte, erschien ihm Dawids Anblick unwirklich. Als hinter seinem Rücken noch Paula durch den Rahmen huschte, fühlte er sich vollends überfordert.

»Was tut ihr hier?«

»Blöde Frage. Wir gehören zum Programm, oder nicht? Paula ist Leonies Requisite und ich deine.«

»Frau Dr. Helbig meinte, wir sollten uns absprechen, bevor es losgeht«, sagte Paula. »Leo kommt nach, er gibt gerade noch ein Interview.«

»Verstehe«, erwiderte Kasimir und wusste nicht recht, wie er ihr offenes Lächeln zu interpretieren hatte. Anscheinend machte es ihr nichts aus, nur als gesangliche Begleitung des modernen Stückes neben Leonhard aufzutreten. Sie machte einen befreiten Eindruck und sprach viel offener und fröhlicher als noch vor einem Monat.

»Der macht es richtig, gleich die Juroren bezirzen«, meinte Dawid und zupfte an einer der verstimmten Gitarrensaiten, ehe er sich neben Kasimir niederließ. »Solltest du dir auch auf die Fahne schreiben.«

»Dafür hab ich keine Nerven.«

»Dann leg dir welche zu. Wenn du ernsthaft in der Branche fußfassen willst, führt an gezieltem Socializing nichts vorbei.«

»Dawid hat recht. Du hast so viel Talent. Wenn du lernst, dich gut zu verkaufen, kannst du viel erreichen.«

Und das ausgerechnet aus Paulas Mund. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass sich eine Verschwörung gegen ihn und sein Prokrastinationsdenken anzettelte.

»Kann sein«, murmelte er und senkte den Blick auf seine Fußspitzen. Sie hatten leicht reden. Ihnen stand nicht so ein emotionales Desaster bevor, wie er es durchzuführen gedachte.

»Mach doch gleich mal den ersten Schritt und schaff unseren blonden Tastenstreichler her, ehe er sich den Sieg erschmeichelt«, sagte Dawid mit Blick zu Paula und nickte zur Tür. »Ich würde gern noch ein paar geheime Pläne mit dem Feind durchgehen, damit wir euch später auf der Bühne richtig kaputtmachen können.«

All Eyes On Me [1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt