{55} D-Dur - a due

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Cecilie klopfte vorsichtig an Kasimirs Zimmertür. Als Leo leise Schritte und schließlich das Geräusch eines klackenden Schlosses wahrnahm, wurde ihm noch mulmiger zumute, als er sich ohnehin schon fühlte. Cecilie nickte und gab ihm einen mutmachenden Klaps auf die Schulter, ehe sie zurück in die Küche tappte. Damit war er auf sich allein gestellt.

»Ich komm rein, ja?«, sagte er und wartete anstandshalber drei Sekunden, ehe er die Tür nach innen aufschob.

Das Erste, was ihm entgegenschlug, war der abgestandene Dunst eines länger nicht gereinigten Kleintierstalls. Leos Blick fiel sofort auf Hazels leeren Käfig, der direkt neben Kasimirs Bett stand. Er selbst saß in Jogginghosen und weißem Shirt im Schneidersitz auf der Matratze und fokussierte seine Hände, wofür Leo ihm insgeheim dankbar war. Er hätte nicht gewusst, wie er mit sofortigem Blickkontakt umgehen sollte, nach allem, was seit letzter Woche passiert war.

»Ich glaube, du solltest mal frische Luft reinlassen«, sagte er um Besonnenheit bemüht. »Was dagegen, wenn ich das Fenster aufmache?«

Er sah, wie Kasimir leicht den Kopf schüttelte, und trat vor die schlierigen Scheiben, in denen man sich eher spiegelte, als hindurchsehen zu können. Generell befand sich der Raum in einem recht verwahrlosten Zustand; überall lagen Klamotten und Notenblätter herum, alte CDs stapelten sich in den Ecken, sogar Musikkassetten schien Kasimir noch zu besitzen.

»Machst du Inventur?«, fragte Leo, ohne eine Antwort zu erwarten. Dann lehnte er sich für einige Sekunden über den schmalen Fenstersims nach draußen und atmete die späte Märzluft ein, ehe ihm der kurze Ausflug ins Freie Gänsehaut über die Arme trieb. Als er sich wieder umdrehte, bemerkte er neben all den dunklen Klamottenhaufen eine hellblaue Daunenjacke, die so gar nicht zu Kasimirs Stil passte. Noch dazu kam sie ihm seltsam bekannt vor.

»Soll ich mich setzen?«

Kasimirs abermaliges Nicken veranlasste ihn dazu, einen Berg schwarzer Shirts vom Schreibtischstuhl zu hieven und sich darauf niederzulassen. Die Jacke, die über der Lehne hing, strömte einen penetrant süßlichen Duft aus, der ihn nun doch verdammt an jemanden erinnerte.

»Sag mal, die Jacke gehört nicht zufällig Dawid?«, fragte er und hielt inne, als Kasimir endlich aufsah. Es lag etwas Dunkles in seinem Blick, das über die Müdigkeit erhaben war und ein ungutes Gefühl in Leo aufsteigen ließ. Es fiel ihm schwer, ihm standzuhalten, und er verlagerte seinen Fokus auf den leeren Hasenstall, woraufhin auch Kasimir den Blick wieder senkte.

»Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll«, meinte Leo und verknotete seine Finger ineinander. »Vielleicht sollten wir ...«

»Sie hatte Krebs.«

Leo sah auf. Sein Gegenüber fixierte stoisch den Käfig.

»Oh. Das ist, ähm ...«

Er zögerte. Wie reagierte man auf den Tod seines einstigen Haustieres, das einem vor Jahren weggenommen worden war und dessen Verlust man längst akzeptiert hatte? Kasimir hatte mit Sicherheit eine viel engere Bindung zu Hazel aufgebaut als er.

»Sie hat in den vergangenen Wochen schlechter gefressen und war apathisch, aber ich habe es nicht ernst genommen.«

Als Kasimir aufsah, verspürte Leo unwillkürlich das Bedürfnis zu schlucken. Es lag viel mehr in Kasimirs Blick als Düsternis.

»Im Nachhinein bereue ich das. Wenn es mir früher aufgefallen wäre, hätte ich ihr viel Leid ersparen können. Darüber zerbreche ich mir seit Tagen den Kopf, aber es ist sinnlos. Ich habe zu keinem Zeitpunkt an diese Möglichkeit gedacht.«

Leo wurde das Gefühl nicht los, dass Kasimir nicht nur über Hazels Verlust sprach. Vielleicht bildete er es sich ein, aber er glaubte, ihr gemeinsames Dilemma in seinen Worten wiederzuerkennen. Fast so, als hielte ihm Kasimir einen Spiegel vor.

All Eyes On Me [1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt