{56} Allegretto primaverile, pt. 1

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»Wusstet ihr, dass ich als Kind auch Klavier gespielt habe?«

»Was? Echt?«

»Jepp. Bin sogar mal im Bürgeramt unseres Dorfs vor 26 Leuten aufgetreten.«

Als Kasimir vom Rücksitz aus dabei zusehen musste, wie fasziniert Cecilie an den Lippen ihres Verlobten hing, schlug er innerlich die Hand vor die Stirn. Er ahnte, was gleich kommen würde.

»Wahnsinn, Tommy, warum hast du mir nie davon erzählt? Dann hättest du ja zusammen mit Kasi ...«

»April, April«, unterbrach Thomas und warf einen genüsslichen Blick über die Schulter, um Kasimirs Augenrollen nicht zu verpassen.

»Ach, Mann, du bist doof«, gab Cecilie zurück. »Über sowas macht man sich nicht lustig. Kasi hat eine schwere Aufgabe vor sich, zieh uns nicht mit schlechten Witzen auf.«

Kasimir lehnte kommentarlos seinen Kopf gegen die Scheibe. Ausgerechnet heute, am zweitnervigsten Tag des Jahres, musste dieses verdammte Duell stattfinden. Er konnte bloß hoffen, dass sich sein Auftritt nicht als Lachnummer erweisen würde.

»Macht euch mal'n bisschen locker«, sagte Thomas und schnitt den nebenfahrenden Smart, woraufhin der wild gestikulierende Mittvierziger am Steuer zum Dauergebrauch seiner Hupe überging. »Ich meine, wie war das? Du trittst mit dem Stück an, gegen das du vor sieben Jahren verloren hast, und dieses Mädel spielt im Gegenzug deinen Losersong. Wenn du gewinnst, ist alles paletti, wenn du versagst, siegt immerhin dein Lied. Win-win, würde ich sagen.«

»Kasi verliert aber nicht«, erwiderte Cecilie und warf einen Blick über ihre Schulter. »Stimmt's?«

Kasimir konnte dem Siegeswillen in ihren Augen nicht standhalten und sah ausweichend zum Fenster hinaus. Sie hatten das Zentrum der Altstadt fast erreicht und ihn überkamen bereits jetzt Beklemmungen angesichts der nahenden Darbietung.

»Glaub ich auch nicht«, meinte Thomas. »Du bist doch 'n viel zu großer Schisshase, als dass du dich so kurz vorm Ziel trauen würdest zu verkacken.«

»Tommy, das ist nicht aufbauend ...«

Kasimir hörte nicht länger zu. Er faltete seine Hände ineinander und hielt den Blick gesenkt, während sie sich seinem Schicksalsort immer weiter näherten. Auch wenn er es ungern zugab: Thomas hatte recht. Er wollte jetzt nicht mehr ausscheiden. Es war zu viel geschehen; er war aus seinem Loch gekrochen und hatte sich weiterentwickelt, gekämpft, gelitten und sich durchgebissen. Alles für diesen Moment. Der Wettbewerb hatte ihn angespornt, sein altes Niveau zu erreichen, und Leonhards Bekanntschaft hatte seine Fertigkeiten um eine wichtige Nuance ergänzt, ohne die er nicht bis zu diesem Punkt gekommen wäre. Er wusste, dass es in ihm ruhte. Das Feuer, an dem sich Francesca die Finger verbrennen würde. Allerdings fürchtete er sich davor, selbst in Flammen aufzugehen, wenn es ihm am Ende nicht gelang, es im Zaum zu halten.

»Steigt ihr schon mal aus? Ich suche noch 'nen Parkplatz, für die Tiefgarage ist mir das Geld zu schade.«

Dass sie auf der mittleren Spur der Hauptverkehrsstraße im Stop-and-Go standen, schien Thomas bei seiner Überlegung entgangen zu sein. Dennoch befürwortete Cecilie seinen Vorschlag, und so schoben sie und Kasimir sich kurz darauf zwischen den eng stehenden Fahrzeugen hindurch, um die letzten 200 Meter zur Harmonica zu Fuß zu bestreiten.

»Fühlst du dich fit?«, fragte Cecilie, als sie durch eine Passage liefen. »Ihr habt gestern noch ziemlich lange geübt, du und Leo.«

»Geht.«

»Klingt nicht besonders überzeugend.«

Natürlich nicht.

Was erwartete sie? Dass es ihm leichtfallen würde, Leonhards Hilfe in Anspruch zu nehmen? Es war erst eine Woche vergangen, seit Kasimir von ihm zurückgewiesen worden war, und obwohl er es rational akzeptiert hatte, ließen sich die Gefühle nicht einfach vertreiben. Ihm wurde warm, wenn er Leonhards Nähe spürte. Auch, wenn diese Wärme nun mit einer unerbittlichen Traurigkeit einherging.

All Eyes On Me [1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt