{24} Facing Facts, pt. 4

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Es musste ein seltsames Bild abgeben, wie er sich durch die Menschenmenge schob, welche sich in die genau entgegengesetzte Richtung fortbewegte. Allesamt Gala-Gäste, das verrieten ihre hochwertigen Roben und Anzüge, hin und wieder auch ein schwärmerischer Kommentar über den erfüllenden Abend. Eine Dame verdeckte vorsorglich die Laschen ihrer Prada-Clutch, als Kasimir sie passierte, vermutlich wirkte er wie ein Taschendieb auf Raubzug. Keiner erkannte ihn. Dabei hatten sie ihm vor einer halben Stunde noch applaudiert, ausnahmslos begeistert und hingerissen. Er konnte selbst kaum begreifen, dass er innerhalb so kurzer Zeit bereits in Vergessenheit geraten war.

Je weiter er sich der Semperoper näherte, desto kürzer wurden Kasimirs Schritte, während seine Anspannung ins Unermessliche wuchs. Es war keine große Herausforderung, Leonhards Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Gewiss ein dutzend Gäste tummelte sich wie Magneten um einen Punkt nahe der Treppe. Nichts lag Kasimir ferner, als sich wie ein Käse auf Beinen mitten ins Rattennest zu bewegen, allerdings blieb ihm kaum etwas anderes übrig, wenn er die Dinge ins Reine bringen wollte.

Es war seiner komfortablen Größe zu danken, dass er Leonhards straßenköterblonden Schopf inmitten einer Versammlung fragefreudiger älterer Damen entdeckte. Anstatt sich durch die Meute hindurch zu drängeln, pfiff er kurz, woraufhin Leonhard aufblickte – und dann begann der Albtraum.

»Ah, da bist du ja. Komm her, ich möchte dich gern jemandem vorstellen.«

Sofort öffnete sich eine menschliche Passage vor Kasimir und er blickte in ausnahmslos entzückte Gesichter, während er sie zögerlich durchquerte. Sobald er ihn erreichen konnte, griff Leonhard nach seinem Ärmel und zog ihn an seine Seite. Ihm blieb keine Zeit, sich von ihm loszueisen, als Leonhard ihm bereits etwas ins Ohr flüsterte.

»Ruhig bleiben und lächeln, ich regle das.«

Kasimir verstand nicht im Geringsten, was vor sich ging, konnte aber zumindest erfassen, dass er soeben in ein Gespräch zwischen Leonhard und einer grau melierten Dame im Hosenanzug gestolpert war, die ihm seltsam bekannt vorkam. Sie musterte ihn nicht minder interessiert.

»Das ist er, Frau Dr. Helbig. Erkennen Sie ihn wieder?«, sagte Leonhard in einer derartig kontaktfreudigen Stimmlage, dass Kasimir innerlich erschauderte. Die Dame nahm ihn genauer in Augenschein.

»Ja, tatsächlich«, erwiderte sie herzlich lächelnd. »Erwachsen siehst du aus, meine Güte. Als ich die Melodie gehört habe, ist mir sofort dein Auftritt damals in Erinnerung gekommen, dein Stil ist sehr markant. Und dieses Stück, wirklich beeindruckend. Es ist ein Jammer, dass du nie wieder angetreten bist.«

Die Kuratorin, schoss es Kasimir durch den Kopf. Sie gehörte dem Stiftungsrat der Harmonica an und hatte damals, am Tag seiner Niederlage, in der Jury gesessen. Wenn er sich recht erinnerte, war sie die einzige der fünf Juroren gewesen, die ihm eine höhere Wertung zugestanden hatte als Leonhard Valentin.

»Wie geht es dir? Arbeitest du in der Branche?«

»Er hat schon mit den Vorbereitungen begonnen«, antwortete Leonhard statt seiner. »Ich bin mir sicher, das neue Stück wird Sie begeistern.«

»Frau Vielli hat deinen Antrag beglaubigt und gegengezeichnet, demnach dürfte die Freigabe nicht allzu lange auf sich warten lassen«, erwiderte sie an Leonhard gewandt, bevor sie sich wieder mit einem wohlwollenden Lächeln Kasimir widmete und ihm die Hand reichte. »Dann möchte ich dir natürlich persönlich gratulieren, wenngleich es relativ spät kommt. Ich bin sehr gespannt, was du uns dieses Mal vorstellen wirst, mein lieber Kasimir Hasitzky.«

Kasimir konnte kaum beeinflussen, dass sich seine Lider mit jedem Wort, das diese Frau an ihn richtete, weiter verengten. Was in aller Welt ging hier vor sich? Von welchem Stück sprach dieser Kerl? Im Moment war er sich nur einer Sache sicher, und sie war auch das einzige, das er über die Lippen bringen konnte.

All Eyes On Me [1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt