{49} When the rain begins to fall, pt. 3

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Kasimirs Atem stockte. Damit hatte er nicht gerechnet.

»Oh ...«, machte Leonhard und schien nicht minder überrascht als er selbst. »H-Hey.«

»Hallo, Leo ...«

Sein Herz begann wie wild zu schlagen. Es war das erste Mal, dass sie sich seit dieser Nacht gegenüberstanden. Das Telefonat am Vortag war ernüchternd kurz ausgefallen, und bis auf die Information, dass sein Vater Kasimirs Anzug am Abend vorbeibringen wolle, hatte Leonhard nicht viel von sich preisgegeben. Seine Stimme hatte zögerlich geklungen und Kasimir war das Gefühl nicht losgeworden, dass er längst nicht ausgesprochen hatte, was ihm in diesem Augenblick auf dem Herzen gelegen hatte.

»Du bist ja ganz nass.«

»Ja, ähm ... regnet ziemlich heftig«, erwiderte Leonhard und schmunzelte zurückhaltend. »Passt zu deinem Lied.«

»Stimmt ...«

»Und? Fühlst du dich gut vorbereitet?«

»Denke ja. Du?«

»Ach, wird schon ...«

Leonhard senkte den Blick. Kasimir kaute von innen auf seiner Unterlippe herum. Was war das für eine merkwürdige Atmosphäre? Er hatte sich ihr Aufeinandertreffen anders vorgestellt. Irgendwie vertrauter.

»Und ... wie geht's dir? Bist du aufgeregt?«, fragte Leonhard und sah wieder auf. Bereits der Anblick und die Nähe seines Gesichts machten es Kasimir schwer, sich auf seine Frage zu konzentrieren. Ganz abgesehen davon hatte er keine Ahnung, welche Antwort Leonhard erwartete. Natürlich war er nervös, allerdings traten der bevorstehende Auftritt und die Umstände, die ihn begleiteten, dabei in den Hintergrund. Kasimir wollte über sie beide sprechen. Leonhard und sich. Dass dies vielleicht weder der richtige Zeitpunkt noch Ort dafür war, war ihm nicht minder bewusst, also besann er sich seiner Vernunft und erwiderte seinen Blick so standhaft wie möglich. »Es geht. Bin ja mit dem Stress nicht alleine.«

»Ja, hast recht ...«, antwortete Leonhard und lachte leise.

Was war nur los? Er wirkte verunsichert. Machte ihm das nahende Vorspiel so sehr zu schaffen?

»Wir kriegen das schon hin«, versuchte Kasimir ihn zu beschwichtigen und schmunzelte. »Du hast ein gutes Lied. Hab's mir ein paar Mal zuhause angehört. Auch wenn es irgendwie, na ja ... traurig ist. Man kann es gut mit Dawids Stück vergleichen.«

»Ja. Wird 'ne ziemlich depressive zweite Hälfte.«

»Ich freu mich trotzdem darauf, dich spielen zu hören«, erwiderte Kasimir und hielt die Luft an, als Leonhard ihn daraufhin musterte. Nicht, dass ihm seine Aufmerksamkeit missfiel, im Gegenteil. Im Moment stand er jedoch zu sehr unter Strom, um die coole Fassade vor ihm aufrechterhalten zu können.

»Kasimir, ähm, wegen letztem Samstag ...«, begann Leonhard zögerlich. Kasimirs Herz klopfte bis zum Hals. »Ich weiß nicht, ob ...«

Plötzlich wurde er von der Klospülung unterbrochen und blickte über Kasimirs Schulter. Als kurz darauf eine der Kabinentüren aufsprang, wandte auch er sich um und erfasste einen Moment später Dawid Eilingers schelmisches Grinsen.

»Na, ihr Täubchen? Stör ich beim Turteln?«

Kasimir knirschte mit den Zähnen. Was für ein mieses Timing.

»Frisch geduscht zum Auftritt, Leonie?«, sagte Dawid und streichelte Leonhard grob durchs nasse Haar, ehe er ans Waschbecken trat, eine Schachtel Aspirin aus der Hosentasche zog und sich drei Tabletten auf einmal genehmigte. Kasimir sah bildlich vor sich, wie der unterbezahlte Autor des Beilagenzettels verzweifelt seinen Kopf gegen die Wand schlug.

All Eyes On Me [1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt