101 Epilog

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Mir schlug der kalte Wind ins Gesicht. Jack stromerte vor mir her. Den Schal zog ich noch höher und fester. Meine Hände steckte ich sehr tief in die Taschen meines Mantels. Es schneite nun schon seit Tagen. Statt zu frühstücken bin ich mit unserem Hund unterwegs. Unterwegs zu meinem Pferd. Langsam bogen wir in die Hofeinfahrt ein. Dicke Schneeberge bedeckten die Landschaft. Durch den Wind wirbelten immer mal wieder Schneefontänen auf. Ab und zu flogen weiße Brocken von den Bäumen der Allee auf den Boden und Jack ging laut bellend darauf los. Schmunzelnd lief ich an ihm vorbei und schob die schwere Stalltür einen Spalt breit auf. Noch bevor ich seinen Namen zuende gesprochen hatte, brubbelte mich mein schwarz-weißer Hengst an. Sein großer Kopf nickte eifrig, die Nüstern waren geweitet, die großen Augen beobachteten jeden meiner Schritte. Jack fegte hinter mir zur Tür rein und ich schloss sie wieder. Dann ging ich auf Attila zu. Im Stall war eine märchenhafte Stimmung aus warmer pferdeduftdurchtränkter Luft und Staub in einem seltsam unwirklich goldenen Licht. Mit wenigen Striegelstrichen bürstete ich Attila liebevoll, während Jack Mäuse jagde. Der Hengst schnupperte immer wieder an mir und stupste mich leicht an. "Ja, ist ja gut. Ich mach ja schon!" lachte ich leise und legte mit Geschick Trense und Fellsattel an. Ich angelte meinen Reithelm und führte ihn dann aus der Box hinaus und ins Freie. Jack war jetzt schon völlig aus dem Häuschen. Er sprang wie ein Wahnsinniger an den Beinen von Attila hoch, der nervös mit dem Schweif schlug und schnaubte. Ich zog die Augenbrauen hoch. "Wenn ihr zwei euch nicht benehmt und mir passiert was, habt ihr beide ein Problem mit eurem Herrchen!" versuchte ich streng zu sein, musste aber bei der Vorstellung schnunzeln, dass Chris sich alleine um die beiden Chaoten kümmern müsste. Kaum, dass ich vom Zaun aus aufgestiegen bin, bockte Attila dem davonrasendem Hund hinterher. Ich saß lachend im Sattel und vergaß alles um mich herum. Über verscheite Feldwege ritt ich durch den Wald, der ebenfalls märchenhaft in ein weißes Gewand geschlüpft war und vereinzelt die Sonnenstrahlen hineinließ.  Als meine Nase taub war, ich die Finger und Zehen nicht mehr spürte, erst da kehrte ich zurück zum Stall. Ohne jegliche Ahnung bog ich um die Ecke des Stallgebäudes, als mich ein Schneeball direkt auf die Brust traf. Jack stieß vor und brachte den flüchtenden Übeltäter zu Fall. Ich sprang von meinem Pferd, um den Hund von dem Mann runterzuziehen. Ich wollte mich selbst rächen und nahm einen ganz Arm voll Schnee, den ich über ihm fallen ließ. Lachend wischte sich Chris den Schnee aus dem Gesicht und seine braunen Augen forcierten mich. "Das macht doch keinen Spaß so. Ständig sind diese Viecher nur auf deiner Seite. Dabei gehört zumindest der da", er deutete auf den grinsend hechelnden Jack, "auch mir!" Er griff schmollend nach meiner Hand. Doch anstatt hochzukommen, zog er mich mit runter. Ich hätte es wissen können. Nun lag ich neben Chris in einem Schneeberg auf der Wiese und grinste ihn an. Attila war nun auch näher gekommen und schnupperte neugierig an unseren Beinen. Ganz so, als wollte er sehen, ob noch was zu retten war. Lachend sah ich ihn an. "Na Attila, gibst du uns so langsam auf?" Er schnaubte und schüttelte sich. Dann suchte er unter dem Schnee nach Gras. "Ich hab nen heißen Schlitten dabei. Soll ich dich damit abschleppen?" Ungläubig drehte ich den Blick zu Chris.  Er deutete mit einer Unschuldsmiene ein paar Meter weiter auf einen Holzschlitten. Ich musste lachen. "Spinner! Aber ja, sehr gern!" Dann küsste ich ihn. Seine Lippen waren warm und weich. Seine Nähe war alles, was ich brauchte, um zuhause zu sein. Auch, wenn es der kalte Schnee war. Wir brachten Attila zurück in seine Box. Chris hatte zur Bestechung Möhren und einen Apfel dabei. "Meinst du, der ist so blöd und lässt sich mit sowas bestechen?" grinste ich ihn an. Doch Attila schnupperte freundlich an Chris. "Oh Gott, Attila! Wirst du etwa weich und nachgiebig?" Chris sah ihn gedankenversunken an. Mein Kopf fiel an seine Schulter, sein Arm legte sich um mich. 

"Wann hat es eigentlich das letzte Mal so geschneit?" "Boah, das ist schon etwas her." "In Berlin vor über zehn Jahren." "Jetzt kann ich aber endlich mal erfolgreich eine Frau mit meinem Schlitten abschleppen" grinste er. Ich saß auf dem Holzschlitten und Chris zog ihn die Straße entlang. "Du sollst dich doch noch garnicht so anstrengen!" meckerte er los. Das musste ja jetzt kommen. "Wieso? Attila ist doch gelaufen!" verteidigte ich mich schwach. Streng blickte Chris  mich über die Schulter an. "Krieg ich gleich auch Kaffee auf dem Sofa?" fragte ich mit engelsgeicher Unschuldsstimme. "Ist doch wohl jetzt nicht dein Ernst?!" genervt drehte er sich wieder um. Jack trabte neben mir her und schaute abwechselnd zu mir und in die Gegend. Wir hatten es nicht weit bis zu unserem Haus. Hier war zwar noch nichts fertig, aber es war unser Eigentum. Im Herbst hatten Andreas und Chris heimlich über Nacht einen Rosenbogen am Eingangstor gesetzt. So einen, wie ich ihn mir von Anfang an gewünscht hatte. Am nächsten Morgen stand ich davor und konnte garnicht nicht mehr aufhören, Freudentränen zu vergießen und die beiden Brüder abwechselnd zu umarmen. Und der alte Kamin war auch wieder in Betrieb genommen worden. Kurz vor der großen Straße stieg ich ab. Hier waren die Straßen gestreut und Schlittenfahren nicht mehr möglich. Andreas schippte Schnee. Er winkte uns zu. Seine Kinder lieferten sich dem Lärm nach zu urteilen wieder eine Schneeballschlacht im Garten.  Keine Tour, Chris war zuhause. Aber trotzdem nur am Arbeiten. Und doch hatten wir viel Zeit für uns. So besonders selten war es jetzt nicht mehr, dass wir zusammen spazieren gingen, kochten, uns stritten und liebten. Den Haushalt teilten wir uns, er hat auch Attila schon alleine versorgt. Es gab Leute, die hatten sich inbrünstig gewünscht, wir würden an der Situation scheitern. Aber das taten wir nicht. Chris wechselte ein paar Worte mit seinem Bruder, ich fing Jack ein und kam dann dazu. "Ach, endlich hat er mal eine abgeschleppt!" grinste Andreas und zeigte auf den Schlitten. Wir rollten synchron mit den Augen. "Ey ihr macht das schon wieder!" sagte Andreas. Wir verabschiedeten uns mit einem Abwinken und stapften weiter Richtung Haus. Um das Grundstück stand jetzt ebenfalls ein hoher Zaun. Das war das Erste, was Chris veranlasst hatte, als ich ihm die Botschaft überbrachte, dass wir das Haus kaufen dürften. Er hatte einen Zaun bestellt und direkt aufbauen lassen. Es war zwar nicht bekannt und es hing auch kein Name vor der Tür, aber sicher ist sicher sagte er. Wir hatten von Andreas gelernt. Bei jedem Kommen und Gehen strich ich liebevoll über den Rosenbogen. Chris sah es und lächelte mich ebenso liebevoll an. Ich schälte mich im Haus aus diversen Schichten an Bekleidung und holte mir aus dem Bad einen Bademantel. Drei Nummern zu groß. Meine extradicken Warmhaltesocken taten den Rest. Aus der Küche brummte die Kaffeemaschine. Es gab aufgebackene Brötchen und einen wunderschönen Ausblick in den Garten. "Wenn ich hier so sitze, kann ich es noch garnicht richtig glauben" sagte ich leise. "Ich auch nicht" sagte Chris leise. Wir lächelten uns an. Die Räume waren noch nicht fertig tapeziert, nichts war gestrichen, kein Teppich war verlegt. Das Badezimmer hatten wir fertig gemacht. Und die Küche stand. Und natürlich sein Kleiderschrank. Fast nichts war wichtiger gewesen als seine Klamotten. Überall standen Kisten, manche halb ausgepackt. Letzte Woche hatten wir meine Sachen von meinen Eltern geholt. Mein Blick glitt über das Wohnzimmer, die ganzen Kisten. "Wir müssen dringend die Möbel aufstellen." "Wir brauchen auch noch ein paar Möbel" seufzte Chris. Uns fehlte etwas die Energie. Ich hatte eine Entschuldigung dafür. Er nicht. Ich schloss die Augen, genoss seine Hand in meinem Nacken und nippte an dem heißen Kaffee. Pures Glück durchströmte mich. "Sag mal, den Kaffe habe ich ja. Aber was ist jetzt mit dem Sofa?" Genervt verdrehte er die Augen. Aber er bewegte sich in die richtige Richtung. Das Sofa stand noch in Einzelteilen dort und musste wieder zusammengesteckt werden. Das Ding war aber so schwer, das einer alleine es nicht schaffte. Ich stellte die Kaffeetasse ab. "Wo willst du die denn jetzt stehen haben?" fragte er geschlagen und schaute unbeholfen umher. "Na so, dass wir in den Garten sehen können. Guck mal, an die beiden Wände da." Ich zeigte ihm in der Luft, wie ich es mir dachte. Er knurrte etwas, aber räumte die Teile frei und bedeutete mir, dass ich am anderen Ende anfassen sollte. Ächzend trugen wir die Teile an ihre Position und ich schob, während er jedes Teil wieder mit dem nächsten Teil verband. Auf drei ließen wir uns auf die Couch fallen. Wir hatten sein Riesenteil von Couch mitgenommen. Jack sprang ebenfalls drauf und gesellte sich zu uns. Lamge hielt es nicht aus. Den Tisch rückte ich an die Couch und holte unser Frühstück. Dann setzte ich mich wieder. Chris grinste zufrieden vor sich hin und trank seinen Kaffee. "Wir sollten vielleicht doch mal Gas geben hier zuhause" sagte er plötzlich und sah mich an. Das Haus gehörte uns schon fast ein Jahr, wir sind aber erst vor wenigen Wochen eingezogen. Und hier war praktisch noch alles roh.  Gut, an dem Umstand trug ich mit die Schuld. Aber es war nebendran halt auch ein großer Schritt, ein Haus zu kaufen und sich dort als Paar einzurichten. Wieder einmal spielte ich mit dem Ring an meiner linken Hand. "Es hat doch noch alles Zeit, oder?" "Wir haben momentan ganz viel Zeit, mein Schatz!" Sein Lächeln war aufrichtig und liebend. Seine Hand strich über meine Wange. "Wir machen das schon!" Diese Worte sagte er mir immer und immer wieder. Sie beruhigten mich wie ein Mantra. "Wollen wir gleich noch die Regale und so hinstellen? Dann könnte ich später schon mal Kisten hier auspacken. Und du könntest den Fernseher anschließen." "Okay, wie du wünscht, Chefin." Er gab mir einen Kuss auf die Nasenspitze und stand auf, um den Werkzeugkasten zu holen.

~ Das Ende ~


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