68 Und in der Nacht

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Chris war mit Andreas in der Halle. Sie halfen beim Abbau. Sie hatten beide keinen Helm auf und alberten dort rum, wo vor wenigen Stunden die Bühne stand. Die Hallentechniker fuhren gerade das Prerik die letzten Meter nach oben. Andreas ärgerte Chris und bat ihn gerade darum, die restlichen Konfettis mit einem Handfeger zusammenzufegen. Allerdings war noch der ganze Hallenboden voll davon und Chris zog eine Schippe und guckte seinen großen Bruder genervt an. In diesem Moment knallte es über den beiden. Es gab zunächst ein dumpfes Geräusch und dann fiel ein kleiner Bolzen zwischen den Brüdern zu Boden. Andreas schaute nach oben und lachte noch "Puh... da haben wir aber noch mal Glück gehabt." Und Plötzlich schwand Chris Mimik. Er packte sich an den Kopf, verlor seine Körperspannung und sank in sich zusammen. "Chris!" schrie Andreas und ging neben seinem Bruder zu Boden, dessen Kopf gerade geräuschvoll auf den Boden geschlagen ist. Andreas nahm Chris Kopf auf seinen Schoß und hatte Blut an seinen Händen. "CHRIS.... Scheiße... HILFE WIR BRAUCHEN SOFORT HILFE!!!" schrie er verzweifelt. Als er wieder zu seinem Bruder sah, sah er wie ein dünnes rotes Rinnsal an dessen Schläfe entlang lief. Mit zitternden Fingern ertastete er den Puls. Doch er konnte ihn nicht spüren. Tränen rannen über seine Wangen. Chris war tot.

Andrea wachte schweißgebadet auf. Sie hatte sich hin und hergewühlt. Sie starrte auf ihre Uhr. Zwei Uhr morgens. Sie schlug die Bettdecke panisch beiseite und knipste das Licht an. Chris! Sie konnte nur an ihn denken und es überfiel sie eine niemals gekannte Angst. Sie strich sich die schweißnassen Haare aus dem Gesicht. Das konnte nicht sein. Sie griff nach ihrem Handy, ließ es jedoch fallen und hob es vom Boden auf. Mit zittrigen Fingern entsperrte sie es und drückte auf Chris Kontakt, um ihn anzurufen. Besetzt. Wie konnte das sein? Sie versuchte es wieder und wieder. Es war immer nur besetzt. Dann klingelte zwischen ihren Versuchen ihr Handy. Es war Chris. "Oh Gott, gehts dir gut?" fragte sie bibbernd vor Angst. "Ja. Was ist mit dir? Ich bin mit dem Gefühl wach geworden, das bei dir etwas nicht stimmt und du Panik hast." Chris klang sehr besorgt. "Ich.. oh Gott Chris... Geht es dir gut? Wo bist du?" "Im Bus. In meinem Bett. Was hast du denn?" "Du warst... ich habe gesehen wie du...." "Wie ich was? Andrea, meine Güte, was hast du denn?" "Chris du bist in meinem Traum gerade gestorben!" Stille. Keiner konnte etwas sagen. Ich konnte nicht mehr als zittern und seiner Atmung zuhören. Nach einer Ewigkeit fand Chris die Sprache zuerst wieder. "Was? Ich meine, warum? Wie?" "Du hast ohne Helm mit abgebaut und plötzlich fiel eine Schraube von der Decke und hat dich am Kopf getroffen. Und dann bist du zusammengesackt und warst tot. Andreas war bei dir. Es war so schrecklich!" Wieder kamen Tränen aus meinen Augen.

Chris redete über eine Stunde auf mich ein und musste mir versprechen, immer seinen Helm zu tragen. Dann legten wir auf und ich machte mir ein Hörbuch an, um einzuschlafen. Morgen würde ich mir in der Apotheke Baldrian holen. So ging es nicht weiter. Die Woche war noch nicht mal zur Hälfte rum und ich fantasierte so etwas schlafend zusammen. Über Tag lenkte mich der Job voll ab und am Nachmittag nahm Attila mich in Besitz. Abends fühlte ich mich schrecklich einsam. Den Wein hatte ich vorsorglich, wie allen Alkohol, gut weg gestellt. Das konnte ja keine Lösung sein. Aber nun wusste ich nicht mehr weiter. Ich wollte nur noch zurück zu Chris. Die erste Nacht ohne ihn hatte ich nicht zehn Minuten am Stück geschlafen. Die zweite Nacht war genauso. Und diese Nacht habe ich, kaum, dass ich endlich eingeschlafen bin, seinen Tod geträumt. Und jetzt lag ich wach. Das Hörbuch interessierte mich nicht ein bisschen. Es ging nicht mal zum einen Ohr rein und zum anderen Ohr wieder raus. Nein, es ging einmal außen am Kopf drumzu und weg. Es drang kein Wort davon zu mir durch. Bilder ansehen, Fotos von uns, Interviews anhören und Telefonieren, nur um ihm näher zu sein - nichts, wirklich garnichts half.  Mittlerweile hatte ich schon ziemlich dunkle Augenringe und man hatte mich auf der Arbeit durchaus darauf angesprochen. Gestern hatte ich nach Feierabend schließlich bei Kathrin angerufen und gefragt, wie man sowas überschminkt. Es folgte ein langes Videotutorial via Videotelefonie. Dies war die Nacht zu Freitag.  Am Samstag würde ich mit Janin Attila begleiten. Sie würde fahren. Ich konnte in dem Zustand nicht fahren. Das hatten sie und Chris mir verboten. Damit war ich einverstanden. Mir war fast alles egal. Ich befand mich auf meinem ganz persönlichen Horrortrip.

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