Am nächsten Tag wurden wir beide von meiner Mutter geweckt. Das Frühstück stünde schon auf dem Tisch. Völlig verschlafen und mit einem heftigen Muskelkater stiegen wir aus dem Bett. Chris brauchte noch einen Moment und so drängelte ich mich ins Bad vor, um mich zu waschen. Chris folgte mit total kleinen Augen. Ich lächelte ihn an. Er war kein großartiger Morgenmensch. Vor allem nicht, wenn er am Tag davor richtig geackert hatte. Seine Haare standen ihm etwas komisch ab und er setzte sich nur die Cappy auf, nachdem er fast schon angwidert an den Enden gezupft hatte. Das war ein Bild für die Götter, wenn Chris einen richtigen Bad-Hair-Day hatte. Am Küchentisch gab es Kaffee und eine Lagebesprechung. Jemand musste in den Baumarkt fahren und Material holen. Und dann waren viele Kleinigkeiten am und ihm Haus zu reparieren. Türdrücker, Holzverkleidungen, sich ablösende Tapeten und dergleichen. Für mich war das kein Problem, aber man musste Zeit investieren. Mit einem Blick auf Chris sagte Mama, sie fährt mit mir zusammen los. Chris lächelte zufrieden. Er musste sich scheinbar noch etwas mit Kaffee wecken. Außerdem piepte sein Handy andauernd. Ohne Arbeit konnte er scheinbar nicht.
Nachdem wir sichergestellt hatten, das Papa und Chris versorgt waren, fuhren wir los. Kaum, dass wir im Auto saßen und aus der Einfahrt raus waren, wollte Mama wissen, wie es zu diesem Ring kam. Und wie es in Düsseldorf war. Ich holte also aus und erzählte ihr alles. Auch, dass ich total betrunken von Andreas getröstet werden musste, nachdem ich ausgerastet war und die beiden sich fast geprügelt hätten. Mama sah mich ganz schön schief von der Seite an. "Und das musste unbedingt sein?" "Der Alkohol oder der Ärger?" "Beides!" "Ja! Ganz entschieden. Ich glaub nicht, dass ich damit jemals klarkomme. Diese ganzen Fans sind verrückt nach ihm. Und es gibt definitiv welche, die mich gerne absägen würden. Außerdem ist das doch mehr eine Fernbeziehung als alles andere. Mama, ich weiß nicht, ob ich das kann.... und ob ich das wirklich will...." Mama sah mich an und legte ihre freie Hand auf meinen Arm. "Mensch, du weißt garnicht, wie ihr nach außen wirkt, oder? Eure Blicke sprechen Bände. Papa und ich waren früher genauso verliebt. Und jetzt sind es schon fast 40 Jahre." "Ich hab Angst." So, jetzt war es raus. Ich hatte gewaltige Angst vor der Zukunft. Denn wenn sie mit Chris sein sollte, musste ich mich ändern. Und zwar gewaltig. So würde das niemals lange gut gehen. Aber ich wollte mich nicht ändern. Oder?
"Hörst du mir überhaupt zu, wenn ich dir was sage?" holte die vorwurfsvolle Stimme meiner Mutter mich wieder aus den Gedanken zurück ins Auto. "Was denn?" fragte ich genervt zurück. "Vor was hast du denn Angst?" Schulterzucken war alles, was ich dazu sagen konnte. Woher soll ich das so schnell wissen, hatte ich mir das doch gerade selbst erst klar gemacht. Wir parkten vor dem Baumarkt ein und besorgten die ganzen Kleinigkeiten, die fehlten. Auf dem Rückweg redete meine Mutter von Papa und wie verliebt sie waren und wie spannend alles damals war. Nicht, dass sie mir und meiner Schwester das nicht schon etliche Male erzählt hatte. Als wir wieder ins Haus gingen, saß meine Schwester mit den Männern am Küchentisch und der arme Chris musste alles aus dem Zauberkasten vorzaubern. Ohje. Aber scheinbar machte er es gerne. Lächelnd blieb ich in der Tür stehen, während Mama sich dazusetzte und gespannt ansah, was so alles geschah. Chris passte zwar optisch nicht ganz ins Bild mit seiner Cappy und der blonden Strähne, aber er fügte sich doch irgendwie gut ein in dieses Haus und in das Bild meiner Familie. Sollte es vorbei gehen mit uns, würde ich ihn sehr vermissen. Dann würde ein Stück von mir für immer fehlen. Aus welchem Grund auch immer wusste ich das. Da mir dieser Gedankengang aber so garnicht passte, ging ich nach draußen und fing an, die blöde Holzverkleidung am Dachüberstand zu flicken. Leider hatte die Verkleidung einen ebenso starken Willen, kaputt zu bleiben, wie ich, sie heile zu machen. Ich schimpfte wie ein Rohrspatz, während ich die Bretter löste und langsam eins nach dem anderen schwankend von der Leiter runter trug. Dann sah ich mir den Schaden an und ging in den Werkkeller, um neues Holz zu sägen und einzubauen. Das klappte auch nicht und ich schwankte vor Wut gefährlich auf der Leiter hin und her, während ich dieses verdammte Holz in dieses verdammte System einzubringen versuchte. Auf einmal legten sich Hände an meine Beine und ich schrie laut auf vor Schreck und lies das Brett fallen. Es landete scheppernd auf dem Boden und streifte dabei Chris am Arm. Erschrocken sah ich an uns herunter auf das Brett. "Verdammter Mist. Das hätte schief gehen können." "Sag mal, wieviele von diesen Schimpfwörtern kennst du eigentlich noch?" "Ne Menge. Hallo? Ich arbeite auch auf dem Bau. Da lernt man sowas schneller als du dir die Ohren zuhalten kannst." Langsam kletterte ich von der Leiter runter und in seine Arme. "Ich krieg den Scheiß hier einfach nicht hin. Da oben reicht meine Kraft nicht aus. Über Kopf arbeiten ist nicht meins." "Lass mal sehen." Chris nahm das Brett und stieg damit nach oben. Er hatte mehr Kraft und zack saß das Ding an seinem Platz. Papa kam dazu und reichte Werkzeug an, während ich Chris die Bretter angab. Nur das Letzte stellte sich quer und Chris bekam es auch nicht rein. Ich ging nochmal nach oben und entschied mich kurzerhand, das System zu ändern. Fünf Minuten später waren wir fertig. Und es fing genau in diesem Moment wieder an zu regnen. Wir räumten zu dritt schnell alles weg und standen auf der Terrasse. Es war fast Ende November und ziemlich kalt. "Wenn das mal Schnee wäre" seufzte ich. In diesem Moment öffnete Mama die Terrassentür und teilte mit, dass das Essen gleich fertig war. Papa war ganz schnell in der Küche. Ich stand mit Chris noch kurz draußen. "Ich könnte es für dich mal schneien lassen." "Du Spinner!" "Nein wirklich. Schau im Netz nach. Wir können das." Ich lachte ihn an und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Da das Essen noch kurz brauchte, fing ich schon an, drinnen den Rest zu reparieren. Mama musste mich in etwa fünf Mal zum Essen auffordern, ehe ich kam. Als ich mich dann endlich an den Tisch setzte, waren die anderen schon fast fertig. Chris sah mich lächelnd an, während ich Mamas Essen runterschlang. Ihr Essen und ihre Umarmungen vermisste ich immer am meisten, wenn ich abends alleine nach Hause kam, Hunger hatte und es zum Kochen aber wirklich schon fast zu spät war. Oder wenn ich alleine daheim saß und traurig war oder mich etwas bedrückte. Ich vermisste meine Familie. Aber die Karriere musste erstmal noch vor gehen. Ich hatte lange für die Position gekämpft und brauchte die Erfahrungspunkte. Wieder riss mich meine Mutter aus meinen Gedanken. "Ob du noch Nachtisch möchtest?" Ich nickte nur abwesend. Chris sah mich nachdenklich an. Nach dem ich auch den Pudding inhaliert hatte, stand ich hektisch auf und schraubte weiter an meinen Sachen rum. Ich war so in meinem Tun versunken, dass ich nicht mitbekam, wie die Zeit vergang und erst, als ich fertig war, merkte ich, das Chris hinter mir saß. "Ich muss gleich los. Andreas bringt mich um, wenn ich da heute nicht auftauche." "Okay, ich würde lieber hierbleiben." "Was? Wieso? Ist doch alles fertig." "Ich möchte bei meinen Eltern bleiben. Ich bin ja auch wegen Ihnen hier. Gönn mir bitte ein paar Tage hier." Chris sah aus, als hätte ich ihm eine Backpfeife gegeben. Ich wollte aber wirklich nicht mit zurück.
Chris fuhr dann alleine mit Andreas Auto zurück nach Bünde. Unterwegs rief er seinen Bruder an und gab Bescheid, dass er auf dem Weg war. Andreas machte ihm natürlich eine Standpauke, weil es schon später nachmittag war. Das war Chris total egal. Er hatte die Nase voll, nichts mehr vor heute und würde einfach durcharbeiten. Es war sehr geschockt, dass seine Freundin absolut nicht mehr mit zu ihm wollte. Und er hatte Angst, dass er sie nicht mehr zurückgewinnen konnte. Es war vielleicht doch schlimmer, als er zunächst dachte. Er grübelte, bis er auf den Hof von Andreas fuhr, wo er das Auto wieder hinter der hohen Mauer versteckte. Als er zu den Gebäuden ging, kam Stephanie ihm entgegen. "Alleine?" "Ja" gab er zerknirscht zurück und ging ohne ein weiteres Wort an seiner Schwägerin vorbei. In der Werkstatt verschanzte er sich mit lauter Musik hinter seiner Arbeit. Andreas sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, ließ ihn aber in Ruhe. Er hatte bereits gehört, dass er alleine zurückkam. Allerdings hatte er ihr Auto dabei. Wären sie getrennt oder arg zerstritten, wäre das wohl nicht der Fall. Sollte er sich jetzt doch Sorgen machen? Hatte Chris es schon wieder verhauen? Als Chris sich noch immer mit lauter Musik in den Ohren an ihm vorbei ins Büro schob, ging er hinterher. Hilde sah Chris etwas misstrauisch an. Musik gabs ja öfter, aber so laut war schon ungewöhnlich. Sie sah Andreas fragend an. Dieser zuckte nur mit den Achseln, hob die Hände und blieb neben Hilde stehen. "Stress?" "Weiß ich noch nicht." "Klärst du das bitte? Hannover steht an!" Andreas nickte seufzend, atmete nochmal durch und ging seinem Bruder hinterher zum Büro. Durch die Glasscheibe sah er allerdings, dass Chris mit glänzenden Augen und aufeinandergebissenen Zähnen vor seinem Laptop saß. Vorsichtig betrat Andreas den Raum. Er bedeutete Chris, die Musik auszumachen. "Was ist los?" "Nichts." "Noch mal: Was ist los?" fragte Andreas mit deutlichem Nachdruck. "Was willst du denn wissen?" "Wo ist deine Freundin? Warum guckst du so komisch? Wieso die sehr laute Musik?" "Sie ist bei ihren Eltern. Außerdem geht sie gerade auf Abstand." Andreas ließ sich auf seinen Bürostuhl fallen. "Ich dachte, es ist alles wieder okay?!" "Scheinbar nicht." Chris antwortete sehr patzig. "Sie braucht vielleicht einfach auch mal eine Auszeit von dem Chaos hier? Hast du doch selber gesagt?" "Man, Bruder, ich weiß auch nicht mehr. Sie geht sogar körperlich auf Abstand...." "Ach daher weht der Wind. Du weißt schon, dass Frauen manchmal sowas haben", setzte Andreas an und wurde von Chris direkt unterbrochen. "Nein, das ist es nicht. Sie hat mir ins Gesicht gesagt, dass sie nicht will, dass ich sie anfasse und das sie Angst hat." "Was hast du gemacht?" "Nichts." Andreas kratzte sich am Kopf. Die weibliche Psyche ist manchmal zu viel für ihn. Selbst seine Frau ist manchmal ein großes Mysterium für ihn. Auch nach den vielen glücklichen Ehejahren noch. "Ihr habt euch aber wirklich ausgesprochen?" Chris erzählte dann endlich alles, was passiert war, nachdem Andreas sie in das Hotelzimmer gebracht hatte. Er ließ auch nicht aus, das er nicht mehr ran durfte und wie sie reagiert hatte. Und auch die Vermutung von Janin erzählte er seinem Bruder. Als er fertig war, sah er Andreas aufmerksam an. Er hoffte, sein Bruder konnte ihm helfen. "Chris, ich glaube tatsächlich auch, dass sie etwas geschockt ist von all dem. Sie hat vorher ein beschauliches und zurückhaltendes Leben geführt. Sie war nicht auffällig. Und sie hat auch nie damit geprahlt, was sie alles kann, nehme ich mal an. Also ein bisschen das Gegenteil von deinem Berufs-Ich. Privat passt ihr total zusammen. Aber sonst... Hmm... da werdet ihr euch beide etwas ändern müssen." "Wie soll ich mich denn ändern? Wir sind selbstständig und nunmal auf der Bühne und so." "Chris! Du solltest dir Zeit nehmen für dein Privatleben. Es sollte sich immer etwas die Waage halten. Du verlangst schließlich von ihr auch einiges ab. Überleg mal, sie hat die Fans ja jetzt erst realisiert, begreift jetzt erst, was hinter uns steckt. Und sie hat sich in dein privates Gesicht verliebt. Das muss sie vielleicht erst mal voreinander bekommen. Sei nicht so ungeduldig. Das braucht Zeit, bis sie da reinwächst. Sie ist kein Fan oder eine Frau, die um jeden Preis neben Chris Ehrlich stehen will. Sie will nur neben dir sein. Verstehst du das?" Chris nickte nur. "Was mache ich denn jetzt?" "Abwarten, Bruder. Abwarten."
Andreas machte Schluss für heute, aber Chris machte weiter. Er hatte im Büro noch so das ein oder andere zu tun und war nicht scharf darauf, jetzt alleine in seine Wohnung zurück zu kehren. Dass er sie noch eine ganze Weile nicht sehen würde, ahnte er zwar tief in sich drinnen, aber er hoffte, es würde anders kommen.
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My Changeover
FanfictionErstes Buch Wenn aus LIEBE VERÄNDERUNG wird Wie man jemanden treffen kann, den man eigentlich weder kennt noch weiß, das man ihn kennt und sich dann auch noch verliebt. "Was im Leben, was schön ist, ist perfekt? Wo doch alle Ecken und Kanten das, ...