56 Nur noch ein Mal

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Ich ignorierte ihn einfach und genoss stattdessen das Gefühl von schmelzender Schokolade auf meiner Zunge. Er setzte sich mir gegenüber und sah mich nur an. Das dafür allerdings sehr durchdringend. Nach dem ich in aller Seelenruhe aufgegessen hatte, sah ich ihn endlich an. Das erste Mal, nach dem ich von der Bühne runter bin. "Was willst du? Ich hab gerade Pause." "Ich auch." "Na und?" Ich zeigte ihm die kalte Schulter. Ich war immer noch sauer auf ihn. Er hatte mich gestern bloß gestellt, mir seinen Willen aufdrängen wollen. "Du hast ja alles bekommen, was du willst. Ich bin noch hier und war sogar ganz aktiver Teil dieser Show. Und jetzt lass mich mal alleine darauf klarkommen. Das ist etwas viel für diesen Kopf." Ich deutete mit dem Zeigefinger auf meine Stirn. "Kommst du gleich wieder?" "Ja keine Angst, ich falle DIR bestimmt nicht in den Rücken! Und jetzt lass mich bitte in Ruhe!" antwortete ich genervt und zickig. Er machte keine Anstalten, zu gehen. Also stand ich stöhnend auf. Dann würde ich halt gehen. Auch gut. Ich musste alleine sein. Das war wirklich zu viel Input für mich gewesen. Chris stand ebenfalls auf. Er folgte mir. Natürlich. Ärgerlich ging ich auf dem großen Platz umher. Bewegung und die kalte Luft taten gerade gut. Die ganzen Eindrücke wollten sich irgendwie nicht setzen. Chris stand am Bus und beobachtete mich amüsiert, wie ich hin und her tigerte. Auch Andreas kam nun raus.  Er hatte wohl uns beide gesucht. "Du bist ja jetzt schon fast eine echte Ehrlich!" rief er mir freudig zu. "Was hast du gesagt? Kannst du das noch mal wiederholen?" Chris fiel Andreas ins Wort. "Er hat nichts gesagt. Er meinte doch nur, dass du jetzt auch mal auf ner Bühne standest, so wie wir." "Nein, nein, es war schon auch anders gemeint." Chris kniff die Augen zu, denn er ahnte das ich den nächsten Ausbruch bekam. "Eine Ehrlich? Nie im Leben würde ich DIESEN Namen annehmen!" Meine Augen weiteten sich. Wäre ich doch bloß gefahren heute morgen. "Wie wollt ihr das eigentlich erklären mit mir? Management, Mitarbeiter, der Sachen verkauft, Tänzerin und dann Ehefrau? Nein, so will ich ganz sicher nicht da stehen!" Ich drehte mich um. "Danke, Bruder!" zischte Chris Andreas an. "Seid ihr echt noch nicht verlobt?" kam es von Andreas. NEIN! brüllten wir ihn beide an. Andreas zog sich etwas pikiert zurück. Ich knurrte wieder in den Nebel hinein, der über dem Gelände lag. Hatte das alles hier überhaupt einen Sinn? Die Leute würden mich doch für bekloppt halten. "Du würdest nicht meinen Namen haben wollen?" fragte Chris traurig hinter mir. Mein Kopf war wie in Watte gepackt. Ein Wunder, dass noch kein Qualm aus den Ohren kam. Oder vielleicht doch? Ich schüttelte den Kopf. "Nein. Nicht Ehrlich. Niemals." "Warum? Willst du mich nicht mehr?" Seine Stimme klang so unglaublich verletzt und traurig, dass ich hinter mich griff. Ich bekam seine Lederjacke zu fassen und zog ihn an meinen Rücken. "Hältst du mich bitte einfach mal nur fest?" fragte ich ihn. Er legte sein Kinn auf meinen Kopf ab und seine Arme von hinten um mich. Hinter uns waren Schritte und Flüstern zu hören. Aber niemand blieb stehen. Wir bekamen Zeit für uns. Wieder sah ich vor meinem inneren Auge, wie wir zusammen gestoßen sind, wie ich ihm die Cappy aufsetzen wollte und unsere Lippen sich als Folge dessen zum ersten Mal berührt hatten. Ich sah ihn vor mir, wie er mich an Weihnachten darum gebeten hatte, mit zu kommen, die Musik, die Rose. Ich sah ihn auf der Bühne vor mir. Wie seine Hand meine nicht ein einziges Mal losgelassen hatte. Ich realisierte, wie sein Blick mir gegenüber war. Sein Blick. Mir wurde eiskalt. Chris hatte mich nicht so angesehen, wie er sonst auf der Bühne schaute. Und wir waren die ganze Zeit in Nahaufnahme zu sehen. Ich riss die Augen auf und drehte mich blitzschnell um. "Wo ist das Video?" "Hä?" Es gibt ein Video von meinem Auftritt. Wo ist das? Panisch flackerten meine Augen über sein Gesicht. Er schüttelte verständnislos den Kopf. "Chris, bitte!" flehte ich ihn an.

Wenig später sah ich mir den Mitschnitt auf dem Laptop an. Hilde und Thomas saßen neben mir. "Seht ihr, Chris sieht mich wirklich anders an. Das haben bestimmt welche gemerkt. Wenn jetzt doch Fragen aufkommen? Schließlich werde ich hier schon in drei Rollen verkauft!" Wenigstens der Knutschfleck war einwandfrei überschminkt gewesen. Panisch wandte ich mich um. "Dann sag ich denen die Wahrheit." Chris legte einen sturen Blick auf. Andreas nickte nur. "Ich hab Angst." Das wars. Mehr konnte ich nicht mehr sagen. Das war einfach alles ein Fehler. Am ganzen Körper zitternd suchte ich wie automatisch die Nähe von Chris. Er sah mich etwas besorgt an. Wir standen mittlerweile alleine in dem Raum. Die Tür hatte man zu gemacht. "Du musst keine Angst haben. Wovor denn? Die Fans fressen dich nicht!" "Hab ich aber. Ich kann ja Kritik an meiner Arbeit einstecken. Aber wenn mich alle wegen meiner Selbst in der Luft zerreißen...." Ich stöhnte gequält auf. Das war doch logisch gewesen, dass das passieren konnte. Auf dem Mitschnitt war klar zu sehen, wie er mich ansah. Ich hatte es vermieden, direkten Augenkontakt herzustellen. Aber er hatte genau das verzweifelt getan. Immerhin hatte er mir nicht noch einen Kuss aufs Haar gesetzt oder sowas. Chris zog sein Handy aus der Tasche. Er setzte sich hin und zog mich mit sich nach unten. Eng an ihn geschmiegt sah ich auf das Display. Andreas hatte das Selfie vorhin gepostet, da Chris ja mit mir beschäftigt war. Die Kommentare waren alle ganz normal. Ich wischte auf dem Bildschirm vorsichtig herum. Die Beiträge, die einige selbst über die beiden erstellt hatten, sahen aber anders aus. Dort wurde tatsächlich gemutmaßt, dass die 'Neue' Chris näher stehen könnte, als manchem lieb wäre. Ich sah von den Worten auf dem kleinen Bildschirm auf und in Chris braune Augen. "Bitte verlass mich nicht deswegen" flüsterte er tonlos. Sein Blick war traurig. Mein Kopf riet mir selbstverständlich zur Flucht. Aber mein Herz hielt sich an Chris Herz fest. 'Wenn aus Ich und Du ein Wir wird'. Dieser Satz ist bereits gefallen. Ich sah auf die Uhr. Es war fast Zeit für Runde Zwei. Für mich hieß es jetzt alles oder nichts. Ich wusste, dass ich ihn nur mit diesem Anhängsel haben konnte. Und ich wusste, dass ich nicht mehr so schnell glücklich sein würde ohne ihn.

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