6 Zuhause

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Als ich endlich irgendwie in dieses Auto eingestiegen war, dachte ich voller Vorfreude an meine Schmerzmittel zuhause. Jetzt durfte ich sie endlich nehmen. Ich atmete kurz durch. "Alle okay bei dir?" fragte Chris mich, als er auch eingestiegen war. "Ja klar. Jetzt wieder" grinste ich zurück. Er lächelte mich an. "Wo muss ich hinfahren?" Ich lotste ihn natürlich durch die Straßen. Es dauerte nur eine Viertelstunde, bis wir auf einem großen Parkplatz nahe meiner Wohnung parkten. Chris wollte, dass ich ihm erzähle, was heute alles passiert ist. Ich berichtete ihm von der Visite heute morgen. Mein Nervenwasser wies ebenfalls keine Anzeichen von Krankheit oder Entzündung auf. Somit stand für die Ärzte fest, dass es wohl tatsächlich nur diese Blockade war. Ich hatte ja auch sonst keine weiteren Anzeichen eines Schlaganfalls gehabt. "Und was hat dein Hausarzt gesagt? Und der Osteopath?" wollte er neugierig wissen. Es freute mich, dass er so ein Interesse an der ganzen Sache hatte und immer wieder garnicht dumme Zwischenfragen stellte. Er wollte wissen, warum ich jetzt erst Schmerzmittel nehmen durfte und wann ich wieder zu Attila konnte. Ich erklärte ihm, dass der Osteopath schon das ganze Bild und nicht das schmerzgeminderte Bild von mir brauchte. Das verstand er, denn er nickte langsam und nachdenklich.

"Geht es? Oh man, ich hab mir ne achtzijährige Oma geangelt!" feixte Chris frech, als er mich stützend langsam aus dem Auto steigen sah. "Pass mal auf, wer hier h'gleich auch achtzig Jahre und Opa ist" drohte ich ihm und wollte ihn in die Seite knuffen. Leider blieb die schnelle Bewegung nicht ohne Folgen und ich verzog das Gesicht zu einem Zitronengesicht. "Okay. Ich seh schon, heute kannst du dich maximal verbal wehren." meinte Chris und rieb sich die Hände böse lachend. "Sehr witzig, Herr Ehrlich!" schmollte ich.  Er nahm mir meine Handtasche ab und bot mir seinen Arm zum Unterhaken an. Ich nahm das Angebot dankend an. Etwas Angst hatte ich vor den Stufen hoch in den ersten Stock. Wird schon, machte ich mir Mut. Wir gingen also im Schneckentempo zu meinem Wohnhaus. Chris gabg mir den Schlüssel aus der Tasche. Ich schloss auf und wir gingen bis in das Hibterhaus. Dort stand ich nun vor der Treppe. "Ich hoffe du hast heute nichts mehr vor! Das dauert jetzt ne Weile." Ich sah ihn ernst an. Er zuckte die Schultern und sah mir zu, wie ich die ersten drei Stufen langsam nahm. Dann spürte ich von hinten einen festen Griff an meinem Rücken, Arm und den Beinen und schneller, als ich es realisieren konnte, war ich AUF Chris'seinen Armen. "Wie hoch müssen wir denn?" fragte er und lief dabei Stufe für Stufe weiter hoch. "In den ersten Stock. Zum Glück..." gab ich erstaunt und gerührt zurück. Auch sowas war mir noch nie passiert. Das er mich tatsächlich tragen konnte, hätte ich im Leben nicht gedacht. Ich war zwar nicht dick, aber halt auch nicht federleicht. Und er sah so dünn aus.... Vorsichtig setzte er mich im ersten Stock ab, gab mir wieder den Schlüssel und ich schlich zu meiner Tür, schloss auf und war froh, dass er orentich und sauber war.

Noch immer peinlich berührt, ließ ich mir aus den Schuhen helfen. Es war nun halb vier und mein Magen knurrte. So laut, dass es auch Chris hörte. Völlig rot vor Scham anlaufend drehte ich mich weg. Es war schon wieder alles zu viel. Chris stand in meiner Wohnung und hatte mich sogar die Treppe hochgetragen. Gott, war das alles strange und crazy und was weiß ich noch alles. Ich ging in die Küche. "Möchtest du was trinken? Ich hätte Wasser, Saft oder Cola da." "Ein Glas Saft wäre gut. Ich holte zwei Gläser und den Saft und setzte mich in Bewegung Richtung Zimmer. "Setz dich doch." forderte ich Chris auf und nahm sehr vorsichtig und umständlich auf der Couch Platz. Meine Schmerztabletten lagen auf dem Couchtisch. Ich nahm eine und trank würgend einen Schluck Saft hinterher. Währenddessen stand Chris noch zögerlich mitten im Raum. "Klein aber fein" sagte er läechelnd und sah hinter mich auf die Fotowand. Es hingen bestimmt dreißig Fotos aus meinem Leben an dieser Wand. Fotos meiner Familie, Freunde und Tiere. Er kam näher und schaute sehr intensiv jedes Einzelene genau an. "Sind das alles deine Familienmitglieder und Tiere?" Ich drehte mich so gut es ging und erklärte zu jedem der Bilder die Geschichte. Mein Seelenpferd und mein Hund, die beide gestorben sind. Meine Eltern, meine Großeltern, Attila, meine Kaninchen und Wellensittiche und natürlich ein Bild von einer großen rosafarbenen Duftrose.  Und ein Bild von mir und Janin, glücklich lachend auf unseren Pferden. Beim Erzählen rannen mir Tränen über die Wangen. Ich knnte nach wie vor nicht gut gerade über mein totes Pony und den Hund sprechen. Sie fehlten mir jeden Tag. Ich hatte sie wegen des Studium zurückgelassen und sie gingen beide ohne mich über die Regenbogenbrücke. Mit Max war ich aufgewachsen. Von ihm hatte ich meinen doch etwas besonderen Umgang mit Problempferden gelernt. Und Will kam aus dem Zwinger. Ich habe mich damals unsterblich in diesen kleinen Jack Russel verliebt. Chris setzte sich zu mir und nahm meine Hand. "Und deine Oma?" Er zeigte auf das letzte Bild. Dies zeigte meine Oma mit Max. Es war auf dem letzten Geburtstag von mir entstanden, an dem Oma noch lebte und ich nicht zuhause sein konnte. Monate später hatte sich Oma bei mir verabschiedet und ging nur wenge Wochen darauf von uns. Zu ihrem Todeszeitpunkt war ich bei Attila. Als Mamam anrief und mir das sagte, war Attila derjenige, der mich auffing und die besorgten Leute am Stall nicht an mich ranließ.  Ich trank den Rest von dem Glas Saft aus. Chris holte mir die Taschentücher neben meinem Bett. Er hatte nichts gesagt. Nur gelauscht. Er hatte allerdings auch feuchte Augen, bildete ich mir ein. Mein Magen knurrte wieder. Beschämt sah ich weg. Aber ich hatte bislang noch keine Zeit zum essen gehabt. Es war schon fast fünf. "Wirkt die Tablette? Meinst du, wir können irgendwo was essen gehen? Und danach könnte ich dich vielleicht zu Attila fahren. Ich würde dieses besondere Pferd gerne kennenlernen, was dir so viel bedeutet." Seine Augen leuchteten vor Vorfreude. Ich drehte mich vorsichtig in der Hüfte hin und her und vor und zurück. Es war zwar noch etwas wie blockiert, aber schmerztechnisch auszuhalten. "Ja, ich glaube das geht. Magst du Pizza?" "Ja." "Dann würde ich sagen, fahren wir auf dem Weg zu Attila bei einer netten Pizzeria ran. Die machen die Pizza in einem echten Steinofen." Chris nickte und klatschte begeistert in die Hände. Ich stand auf machte mich kurz im Bad frisch. Chris räumte die Gläser in die Küche. Ich nahm mir also schnell noch andere Klamotten aus dem Schrank und verschwand im Bad. Schließlich wollte ich ordentlich aussehen und nicht optisch auch eher wie achtzig rüberkommen. Eine Jeanshotpants, Shirt und Ballerinas, etwas Mascara, Ohrringe, mein geliebtes Armband und Deo. Haare noch kämmen. Fertig.

Chris sah mich merkwürdig an, ging das auch kurz ins Bad und hielt mir im Anschluss die Wohnungstür auf. Er war sehr charmant. Als ich alles abgeschlossen hatte, trug er mich die Treppe runter. Ging schneller, sagte er. Ich hatte eher den Eindruck, das es ihm gefiel. Also grinste ich ihn bloß wissend an und schmiegte mich an seine Brust. "Du hast gerade überhaupt nichts mehr gesagt" bemerkte ich auf dem Weg zum Parkplatz. Abrupt blieb er stehen. "Du bist so eine bewundernswerte Frau. Wie du deine Familie und die Tiere siehst, beschreibst und mit welchen Emotionen du dabei bist.... Ich wollte dir einfach nur zuhören." Er sah mir direkt in die Augen. Ich schluckte. Seine Stimme war nicht so fest, wie sonst, sondern fast etwas gebrochen. "Habe ich etwas falsches gesagt oder getan?" fragte ich unsicher. "Nein. Ganz im Gegenteil! Er kam zu mir und nahm mich vorsichtig in den Arm. "Ich mag dich wirklich immer mehr und mehr." Dann löste er sich, hakte mich unter und wir gingen zum Auto. Als wir beide saßen, konnte ich nicht anders. Ich drehte mich zu ihm. "Chris?" Er schaute mich aufmerksam an. "Könntest du mir einen Gefallen tun?" Er legte neugierig den Kopf schief. "Könntest du.... also.... ähm...." stotterte ich "würdest du vielleicht..." "Jetzt sag schon. Für dich würde ich sogar halbnackt Limbo tanzen" forderte er mich heraus. "Naja.... im Krankenhaus hab ich Videos von euren Tricks gesehen. Und ich weiß ja nicht, ob ich am Wochenende kommen kann wegen dem Rücken und so...." Chris riss gleich augenscheinlich der Geduldsfaden "Was? Soll ich etwas zaubern?" bot er an. Ich nickte schüchtern. "Aber ich würde gerne was bestimmtes einmal sehen." Jetzt sah er überrascht aus. Er legte die Strin in Falten "Eine Frau, die weiß, was sie will. Also, mit was kann ich glücklich machen?" "Mit einem Kuss..." schoss es mir schon wieder direkt aus dem Herzen über die Zunge. Ich schaute sofort weg. Chris lachte und lehnte sich zu mir, drehte meinen Kopf zu sich und drückte mir ganz sanft seine Lippen auf die meinen. "Aber das ist ja nicht wirklich zaubern" hauchte er an meine Lippen. "So ungefähr zwei Millionen Schmetterlinge in die Magengegend zauberst du mir schon damit" flüsterte ich. Dann zog ich meinen Kopf zurück. Puterrot im Gesicht sah ich ihn fest an und atmete tief durch. "Feur in der Hand." presste ich hervor. Er sah mich belustigt an. "Mehr nicht? Das ist nicht wirklch eine Herausforderung!" gluckste er fröhlich startete den Motor. "Das zeige ich dir gerne heute Abend. Und jetzt ab zum Essen. Mein Magen fängt auch an, sich zu melden. Und du hast bestimmt drei Tage nur Pappe gegessen, oder?" Ich lachte nun auch.  Zwanzig Minuten später parkte Chris den Mietwagen bei dem kleinen Restaurant mit Biergarten ein. Er half mir aus dem Auto. Das Bewegen ging nun langsam besser. Endlich! Wir setzten uns an einen abgelegenen Tisch mit Blick auf die Felder. Der Italiener war außerhalb und fast auf dem Weg zu Attila gelegen. Ich bestellte mir natürlich eine Salamipizza. Chris nahm auch eine Pizza. Dazu gab es nur Wasser. Ich hatte einfach nur Durst und Chris musste ja fahren. Sehr vernünftig, dachte ich bei mir. Als das Essen kam, fielen wir beide hungrig über die Pizzen her und waren danach fürs Erste satt. Wir zahlten und gingen wieder zum Auto. "Schön hier. Normalerweise sehen wir nicht so viele von der Welt, obwohl wir viel rumkommen" sagte er nachdenklich. Ich lehnte mich an ihn. Dieses Gefühl war nach wie vor unbeschreiblich. Ein Gefühl von Zuhause.

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