9 Küchengespräche

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Am Mittwoch wachte ich vor den Hühnern auf, es war erst halb sieben. Ich räkelte mich im Bett und gähnte ausführlich. In dem Moment bewegte sich etwas in meinem Augenwinkel. Klar, ich erinnerte mich wieder daran, das Chris auf der Couch schlief.  Leise stand ich auf und verschwand im Bad. Ich konnte mich heute tatsächlich wieder etwas besser bewegen. Gut gelaunt stellte ich das Radio leise an und sprang unter die Dusche. Als ich fertig war und die Zähne geputzt waren, schlich ich zurück und holte mir was zum anziehen aus dem Zimmer.  Ich zog mich um und beschloss, vom Supermarkt um die Ecke Brötchen zu holen. Ich freute mich schon auf ein ordentliches Frühstück. Schlafen konnte ich eh nicht mehr.

Als ich wieder kam und gerade den Innenhof betreten wollte, hörte ich Chris Stimmer auf dem Balkon. Er sprach offensichtlich mit seinem Bruder Andreas. Eigentlich wollte ich nicht lauschen. Aber es ging um mich. Ich hörte also gebannt zu und blieb in meinem Versteck.

"Ich musste dir das sagen. Es ist fast schon unheimlich. Diese Schmetterlinge sehen alle so aus wie der aus der Kirche damals.... ja... Bruder, wenn ich es dir doch sage... Außerdem kann ich förmlich hören, was sie denkt.... Was? Nein! Um Gottes Willen! Die hält mich für Irre und dann habe ich sie bestimmt verloren.... Meinst du das wirklich ernst?.... Echt jetzt?... und wenn sie wegrennt?... nein, ich will das noch nicht.... darauf muss ich erstmal selbst klarkommen.. ja, das mache ich... oh, sie kommt..." ich schlenderte langsam durch den Hof und ging hinauf. Das dauerte natürlich etwas. Chris machte mir schon die Tür auf. Er sah mich vorwurfsvoll an. Er hatte auch geduscht. Und irgendwie hatte er nur die Hose an. Ich blickte verstohlen an ihm herunter. Das Handy hatte er noch in der Hand. So eine schmale Brust hatte er ja garnicht. Ich ging langsam rein, drückte ihm die Brötchentüte in die Hand, strich die Schuhe aus und ging in Küche. "Kaffee?" fragte ich. Chris nickte. "Warum hast du mich nicht geschickt? Du warst auch echt lange weg." "Ich wollte dich nicht wecken. Und als Gastgeber kann man wohl schlecht die Gäste zum Brötchen holen aus dem Bett jagen!" gab ich frech zurück. Chris musterte mich von der Seite. "Ist was?" "Ja! Ich drückte gerade noch den knopf der Maschine und blickte ihm dann direkt in die Augen. "Mit wem hast du denn gerade über mich gesprochen?" "Woher weißt du das?" "Wenn man in einem Innenhof telefoniert, wirkt das schon mal wie ein leiseres Megafon..." sah ich ihn mit großen Augen an. Er sah definitiv getroffen aus. Ich hatte ihn erwischt. Mein Blick wanderte leider genau in diesem Moment wieder an seinem Körper herunter. Ich kam aus einer langjährigen Beziehung und hatte mich davor gründlich ausgetobt. Aber wenn ich erhlich war, hatte mich noch kein Mann mit dem bloßen Anblick so fesseln können. "Sag mal, gefällt dir da etwa, was du siehst?" grinste mich Chris an. "Lenk bloß nicht ab!" giftete ich etwas. "Was ist eigentlich los? Irgendwie war das gestern etwas......" ich suchte nach dem richtigen Wort. "Magisch?" half mir Chris. "Nein.. verhext!" entgegnete ich. "Ich versteh dich nicht?" spielte Chris den unschuldigen und lehnte sich an die Spüle. Ich lehnte ihm gegenüber an der Arbeitsplatte. Die Kaffeemaschine gluckerte. Ich sah ihn eisern an. Dann gab er nach. "Ich hab Andreas angerufen. Das mit den Schmetterlingen.... das ließ mir keine Ruhe...." druckste er herum. "Und was ist da noch?" bohrte ich weiter. "Woher willst du wissen, dass da noch was ist?" fragte er zurück. Ich sah ihn etwas irritiert an. "Ich weiß es einfach." darüber musste ich selbst mal kurz nachdenken. Aber ich fing mich und sah ihn wieder bohrend an. "Also gut.... ja.... also... irgendwie ist da was zwischen uns... ich weiß selbst nicht genau.... deswegen hab auch mit Andreas gesprochen. Er sagte, ich solle mit dir reden. Aber wenn ich das tue, muss ich dich vrher fesseln, sonst hältst du mich für irre und rennst weg von mir." Chris schaute wie ein Schuljunge, der gerade einen fiesen Streich gestand. "Fesseln? Na du hast ja Vorlieben." Etwas blitzte in unser beider Augen kurz auf. Ich drehte mich um. "Kaffee ist fertig!" Ich schenkte wei Tassen ein und setzte mich. Chris nahm seine Tasse, setzte sich, nahm einen Schluck und sah in meine erwartungsvollen Augen. "Also, das mit dem Schmetterling... Mein Vater... Als wir in beerdigt haben, da war in der Kirche ein Schmetterling. Genau so einer, wie er dir jetzt schon zweimal auf dem Arm saß und zwischen uns durchgeflogen ist. Ich und Andreas haben keine übersinnlichen Fähigkeiten und wir sind auch nicht auf einem Eso-Trip oder so...." er sah mich zweifelnd an. Ich hob beide Augenbrauen und bedeutete ihm, weiter zu reden. "Naja... irgendwie ist das alles komisch. Als ob er was mit Papa zu tun hat." Ich legte meine Hand auf seine und drückte leicht zu. "Vielleicht hat dein Vater etwas damit zu tun, dass ich genau zu dem Zeitpunkt genau dort war, wo wir uns über den Haufen gerannt haben, weil wir das Handy nicht aus der Hand legen wollten. Ich weiß bis heute nicht, warum ich am Donnerstag dort war. Ich meine, eigentlich mache ich keine so Spontansachen."  Ich überlegte, biss mir auf die Lippe und fuhr fort. "Ich bin irgendwie nur noch am arbeiten. Ich liebe meinen Job. der hat mich meine Beziehung gekostet. Attila ist der Einzige, bei dem ich irgendwie noch 'normal' bin. Ich bin ein Kopfmensch geworden." Chris sah mir nachdenklich zu. Er nickte. "Das willst du nicht sein?" Ich schüttelte den Kopf. "Früher wollte ich nie das machen, was ich jetzt tue. Ich wollte auch Attila nicht haben. Und ich weiß garnicht so recht, wie es mit dir weitergehen soll. Ich habe immer Schiss, bin garnicht mehr mutig, neue Wege zu gehen." Ich seuzte in mich hinein. "Wir schaffen das. Ich kann dich besuchen. Wir arbeiten zwar fast rund um die Uhr, aber Andreas schafft es trotzdem. Er ist vereheiratet und hat drei Kinder und Schafe zuhause. Und irgendwie kriegt er das hin." Chris sagte das irgendwie traurig. Ihn bedrückte was. Aber mir fiel wieder ein, dass da noch was war. Außer diesem Schmetterling. "Was war das andere, worüber due dich mit Andreas unterhalten hast? Was ist mit uns nicht in Ordnung?" "Dafür muss ich dich fesseln. Du rennst sonst trotz Rücken davon!" Ich setzte mich auf seine Beine und legte seine Arme um mich. "Handschellen hab ich keine mehr..." grinste ich. Chris machte sehr, sehr große Augen. "Also?" setzte ich nach. Chris packte mich in der Tat fester und drückte mich an sich. Vielleicht sollte ich mich doch auf was gefasst machen?

Was er mir dann erzählte, machte mich wirklich stutzig. "Ich wusste genau, wann du von mir die Tricks sehen wolltest. Und ich wusste auch genau, dass du geträumt hast, das uns etwas verbindet. Irgendwie bist du manchmal in meinem Kopf drinnen gewesen." Schweigen. Ich hätte jetzt statt Kaffee nen Schnaps vertragen können! Ich drehte mich langsam zu ihm um. Also doch! Er schaute mich fast schon flehentlich an und verstärkte seinen Griff noch. "Sag mal, verarscht du mich gerade?" Er schüttelte völlig treuseelig den Kopf. Seine blonde Strähne hing ihm halb übers Gesicht. Hat er Locken? Irgendwie kringelte sich das Haar hinter seinem Ohr. Er lockerte den Griff und ich drehte mich etwas. Sanft strich ich ihm durch Haar. Das war tatsächlich eine Locke.

Wie leicht sie sich ablenken ließ. Und sie hatte die kleine Locke entdeckt. Zum Glück hatte ich nicht so viele davon wie Andreas. Verträumt blickte sie an mir vorbei und spielte mit meinen Haaren. Statt wegzurennen saß sie auf meinem Schoß und spielte mit meinen Haaren. Eigentlich hasste ich das. Aber bei ihr machte mir das nichts aus. Selbst Kathrin war nicht so angenehm an meinem Kopf. Und sie war schon so lange dabei.

Meine Lippen zuckten. ich versuchte, die Worte zu formen, die mich am meisten beschäftigten. Es war garnicht so leicht. "Ist das normal bei euch? Ich meine... hattest du sowas schonmal... oder ist das ne Masche, um mich ins Bett zu kriegen?" Chris sah mich etwas schockiert an. Meine Hand glitt auf seine Schulter und blieb dort liegen. "Um dich ins Bett zu kriegen, bräuchte ich bestimmt keine solchen Sachen erfinden!" entgegnete er selbstsicher. "Und nein... ich dachte noch nie, ich wüsste, was die Frau mir gegenüber gerade tatsächlich denkt. Also natürlich weiß ich, wie ihr Weiber so tickt, aber bei dir gestern war das ne andere Hausnummer!" Ich musste lachen. 'Ziemlich arrogant!'dachte ich.'Garnicht arrogant...' dachte Chris.

Okay, ich bräuchte eigentlich einen Schnaps, aber ein zweiter Kaffee tut es bestimmt auch. Ich stand auf und bat Chris, mir noch einen Kaffee zu holen. Er stand auf und holte den Kaffee von der Arbeitsplatte. Er hatte noch immer kein Shirt an. Ich sah ihn mir auch von hinten an. Garnicht so mager, wie ich dachte. Anerkennend nickte ich seiner Rückseite zu. Dann drehte er sich und kam mit der Kaffeetasse zurück. Er stellte sie auf den Tisch, legte die Hände hinter mir links und rechts auf die Stuhllehne und seine Augen funkelten mich an. Lange könnte er sich nicht mehr zusammen reißen. Er wollte sie. Aber irgendwie auch nicht. Er wollte nicht nur mit ihr ins Bett. Dieses Mal hatte er Blut geleckt und wollte dieses aufreizende Spiel behalten. Dieses Mal ging es ihm nicht nur um das Bedürfnis nach Befriedigung. Außerdem war Andrea extrem schlagfertig und garnicht dumm. Und sie hatte dieses kindliche Feuer in sich, was sie selbst wohl nicht mehr erkannte. Er dachte an Andreas. Dieser hatte bereits am Montag etwas fallen lassen, was Chris jetzt zum schmunzeln brachte. Andreas meinte, dass Andrea am Ende womöglich genauso durchgeknallt war, wie die beiden selbst. Und nun stand er gebeugt vor ihr und konnte an nichts anderes denken, als an ihre bebenden Lippen und die glänzenden Augen. Dahinter loderte es bereits, das Feuer. Er wollte es jedoch noch nicht entfachen. Irgendwas sagte ihm, dass er und Andreas noch viel erleben würden mit ihr. Er lächelte nun ganz offensichtlich und zog sich zurück. Andrea trank einen sehr großen Schluck Kaffee und fragte nach den Brötchen. Sie deckten den Tisch und vermieden Blickkontakt. Chris erzählte von der Tour.  Das war schon eine andere Welt.

Nach dem Frühstück ging ich ins Zimmer und rief auf der Arbeit an. Ich unterhielt mich kurz mit meiner Chefin. Sie war froh, dass alles gut war mit mir und sagte mir dann, dass es total okay sei, wenn ich in den drei Wochen Krankschreibung etwas Erholung außerhalb der Stadt suchen würde. Das war ja ein Freifahrtsshein für die Show am Samstag.

Ich schrieb Janin wegen Freitag. Sie rief keine fünf Minuten später zurück. Sie stimmte zu, dass wir also am Freitag mit Chris fahren würden. Aber sie sprach auch gleich weiter. Hotel, Rckfahrt und soweiter wollten organisiert werden. Ich machte das natürlich. Hatte ja jetzt Zeit.

Da ich sowas ja eher selten mache, half Chris mir bei der Hotelsuche. Klar kannte er sich da besser aus. Und die Zugtickets urück konnte man ja spontan vor Ort kaufen. Janin war zufrieden und ich wusste wieder nicht, was ich machen sollte. Chris saß am Küchentisch und schrieb und zeichnete die ganze Zeit etwas. Ich zog mich zurück. Seine Arbeit ging mich schließlich nichts an.  Unschlüssig und müde legte ich mich einfach wieder in mein Bett. So ein Mittagsschlaf war schon was schönes. Und ich träumte natürlich von Chris, einem Schmetterling und einem Band aus Licht, was uns verband.


Für heute ist Schluss. Hoffentlich gefällts euch. Wie es wohl weiter geht. Bis Leipzig sind es noch ein paar Tage....

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