26 Überraschungen

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Kaum stand das Auto auf dem Parkplatz neben meinem Auto, sprang Chris aus dem Wagen und öffnete meine Tür. Er packte mich wieder an der Hand und hatte es ziemlich eilig, in die Wohnung zu kommen. Ich machte mich innerlich auf ein Donnerwetter oder einen Wutausbruch oder so gefasst. Was aber dann kam, hätte ich mir ja nicht träumen lassen. Kaum war die Tür hinter mir zu fiel Chris über mich her. Er zerrte an meinem Schal, der Jacke und ich versuchte, wenigstens die Schuhe irgendwie auszuziehen. So ist es noch nie gelaufen. Kaum hatte ich endlich die Schuhe ausgezogen, waren seine Hände schon unter meinem Pulli und überall anders. Er führte mich knutschend bis zum nächsten Tisch, gegen den ich stieß. Langsam kam ich aus der Schockstarre heraus und begann, ihn genauso wild zurück zu küssen. Ich zog ihm sein Oberteil aus, öffnete seine Hose und küsste seinen Hals. Meine Sachen verteilten sich bereits über den Fußboden der Wohnung. Wir kamen nicht weiter, als bis zum Tisch. Es war wild und leidenschaftlich, besitzergreifend und einfach unglaublich.

Schwer atmend hing ich an ihm. Ich traute mich nicht mehr, in seine Augen zu sehen. "Was war das denn jetzt?" "Ich wollte halt nur mal meinen Standpunkt klarmachen!" Chris sagte das mit einer Inbrunst, dass ich doch lachen musste. "Moment mal... Wenn ich mit Andreas tanze... Dann ist das dein Standpunkt dazu?" "Du wirst nicht mehr mit ihm tanzen. Ganz einfach. Und sonst auch mit keinem mehr!" Wie ein kleines Kind! Meine Güte. Ich gluckste immer noch. "Eifersüchtig bist du auch garnicht, oder?" "So ein Quatsch." "Chris, es war dein Bruder. Da war nichts. Und im Übrigen erwähne ich jetzt nur mal die ganzen Fotos, wo dir ein weiblicher Fan am Hals hängt, die Illusionen mit den wirklich netten und hübschen Tänzerinnen..." "Ja, ist ja gut." Chris ließ mich ihn küssen. Dann glitt ich an ihm vorbei und ins Badezimmer. Ich wollte duschen und in warme Klamotten schlüpfen. Außerdem hatte ich Hunger. Ich stellte die Dusche an und schlüpfte darunter. Den Fuß hatte ich mir ausbandagiert. Dick und blau war er noch.  Das warme Wasser lief über meine Haare und meinen Körper. Er war tatsächlich eifersüchtig. Wer hätte das gedacht, wo eigentlich er der Profi von uns beiden war. Als ich so drüber nachdachte, musste ich wieder lächeln. Ich hatte ein gutes Gefühl im Bauch. Doch es sollte noch spannend werden zwischen uns. Auch das hatte ich im Gefühl.

"Chris?" rief ich nach ihm, als ich im Schlafzimmer meine Sachen suchte. Sie waren irgendwie nicht mehr da, wo ich sie abgelegt hatte. Chris kam hinter mir zur Tür rein, lehnte sich in den  Türrahmen und schmunzelte. "Ja?" "Weißt du, wo meine Sachen sind?" "Hmm.. nimm doch meine. Mittleres Schrankfach." "Aber wo sind denn meine Sachen?" Er schmunzelte nur weiter, ich seufzte und machte den Schrank auf. Und da, im mittleren Schrankfach, hatte er meine Sachen eingeräumt. Alles da. Und es lag ordentlich aufeinander. Anders als seine Sachen. Ich hörte seine Schritte hinter mir und spürte dann seinen Atem an meinem Nacken. Seine Arme legten sich von hinten um mich. "Du sollst dich hier nicht nur wie ein Gast fühlen", flüsterte er mir zu. Ich schluckte und meine Augen waren feucht von aufsteigenden Tränen. Das haute mich um. Noch so etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. "Danke", flüsterte ich tränenerstickt zurück. Dann griff ich nach meiner Wäsche, drehte mich in seinen Armen und gab ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. Ich ging wieder ins Bad und zog mich an. Die Haare kämmte ich mir zur Abwechslung mal und flocht sie einfach zu einem Zopf zusammen. So fühlte ich mich schon wieder etwas wohler. Als ich aus dem Bad kam, roch es nach Pizza. Chris hatte offensichtlich Pizzen in den Ofen geschoben, denn auf dem Tisch standen zwei Flaschen Bier und zwei große Teller. Mit einem Blick in den Ofen bestätigte sich meine Vermutung. Die Pizzen sahen noch etwas blass aus. Dann hörte ich, wie die Dusche anging. Ich setzte mich an den Tisch und nahm mir eine Flasche Bier. Nach einem großen Schluck überlegte ich mir, was ich morgen machen könnte. Mama wollte nicht, dass ich wegen dem Fuß diese Woche noch was machte im Haus. Aber wenn ich zwei Spaziergänge und tanzen hinter mich bringen konnte, könnte ich mich morgen wenigstens mit meiner Schwester in Osnabrück treffen. Also holte ich mein Handy aus der Tasche und rief sie an. Sie freute sich und wir verabredeten uns für morgen zum Brunch in der Stadt.  Als ich auflegte, kam Chris mit nassen Haaren und nur einer Boxershorts in die Küche. Er holte die Pizzen aus dem Ofen. "Kannst du sie schneiden? Dann zieh ich mir was an." "Warte mal", bat ich ihn, stand auf und kuschelte mich an ihn. Er roch einfach so gut. Er lächelte an meiner Stirn, schob mich sanft weg und ging sich was zum Anziehen holen. Ich suchte in seinen Küchenschränken nach einem geeigneten Schneidewerkzeug. Ich fand tatsächlich einen Pizzaschneider und ging gleich ans Werk. Als Chris sich setzte, schnitt ich gerade das letzte Stück meiner Pizza. Wir saßen zufrieden am Tisch und aßen unsere Pizzen. "Morgen haben wir Fans in der Werkstatt. Die haben bei einem Gewinnspiel von uns mitgemacht. Weiß nicht, ob du dir das ansehen willst", erzählte Chris. "Macht nichts, ich bin mit meiner Schwester in Osnabrück verabredet. Wir wollen brunchen und dann shoppen. Haben wir seit Jahren nicht mehr gemacht." "Hört sich nach einem Plan an. Ich bin morgen sehr früh weg. Erst Büro, dann Fantreffen, dann arbeiten. Die Illusion von heute muss morgen endlich mal ein Stück weiter kommen. Das läuft einfach nicht so wie es soll." Er verzog dabei sein Gesicht zu einer Grimasse und ich musste lachen. "Was willst du denn Shoppen?" "Weiß ich noch nicht." "Und dein Fuß?" Ich hielt ihn neben dem Tisch hoch und Chris sah ihn an. "Naja, er ist auf jeden Fall bunt!" Wieder lachten wir. Nach dem Essen räumte ich die Spülmaschine ein. Da sie voll war, bat ich Chris, sie anzustellen. "Echt? Du kannst das nicht?" "Wie du sehr genau weißt, besitze ich diesen Luxus zuhause nicht!" "Aber in diesem Zuhause von dir schon." Wir lachten und betitelten uns gegenseitig als doof. Vorm Schlafengehen zappten wir durchs Fernsehprogramm. Werbung hassten wir beide und schalteten immer weiter. "Chris? Kannst du mir noch was zaubern?" Sein Blick hellte sich direkt auf.  "Klar, ich hab schon eine Idee." Er stand auf und suchte irgendwas. "Hast du einen Geldschein?" "Hä? Soll ich dich jetzt dafür bezahlen?" "Nein, aber ich brauche einen Geldschein." "Okay, okay, ich schau mal. Ich humpelte zu meiner Tasche im Flur und schaute in meine Geldbörse. "Zehn Euro?" "Ja, geht. Bring mit." Ich brachte ihm den Geldschein und setzte mich wieder hin. Gespannt, was jetzt mit dem Schein passieren würde, sah ich ihn erwartungsvoll an. "Schau gut zu. Ich habe hier deinen Geldschein. Und was würdest du sagen, wenn ich ihn jetzt falte", dabei faltete er den Schein geheimnisvoll, "und ihn dann verwandle." Dabei pustete er den Schein an und als er ihn drehte, war er braun. Das konnte doch nicht sein. Er faltete ihn auseinander und es war ein Fünfziger in seiner Hand. "Hammer!" "Hey, du kopierst mich so langsam echt gut!" Ich lachte nur. Dann gab er mir den Schein. Der konnte doch nicht echt sein. "Untersuche ihn. Ist er echt?" "Wie geht das? Das könnte ich öfter gebrauchen." "Gut", grinste er. Ich legte den Schein auf den Tisch. "Wo ist der Zehner?" "Der ist zu einem Fünziger geworden!" behauptete er und machte eine magische Geste mit den Händen. Ich fiel ihm lachend um den Hals und durchsuchte ihn. Den Zehner fand ich natürlich. Wie er das gemacht hatte, war mir allerdings schleierhaft. Gesehen hatte ich es nicht. Wir lagen noch knutschend und kuschelnd auf der Couch, bevor wir ins Bett gingen.

Als der Wecker am nächsten morgen um halb sieben ging, stand ich senkrecht im Bett. Ich hatte wieder von Schmetterlingen und Flügeln geträumt. Diesmal hatte ich mit den beiden Brüdern auf der Bühne gestanden und gerade, als das Licht im Zuschauerraum anging und ich die vollen Ränge erkannte, klingelte dieser Wecker. Chris sah mich verschlafen an, griff nach seinem Handy und stellte den Wecker weiter. Er zog mich zurück auf seine Brust, wo ich seinem Herzschlag und dem ruhigen Atem lauschte. Mein Puls ging wieder runter. Was für andere vielleicht die Erfüllung aller Träume war, war für mich ein Albtraum. Ich will niemals vor so vielen Menschen stehen. Sein Herz schlug weiter ruhig in seinem Takt. Ich erinnerte mich wieder an das Tanzen von gestern. Seine Finger strichen durch meine Haare. "Was ist denn los?" fragte er mit dieser rauen Stimme. Diese Stimme brachte mich sofort wieder runter. "Albtraum" erklärte ich nur knapp. Als der Wecker fünfzehn Minuten später wieder klingelte, stand ich auf. Diesmal sogar vor Chris. Ich konnte garnicht mehr schlafen. Ich tapste ins Bad und wusch mich, machte mich fertig und schnappte mir mein Verbandszeug. In der Küche kochte ich Kaffee. Ich brachte meinem Freund den Kaffee ans Bett und ließ mich neben ihn nieder. "Wann musst du denn im Büro sein?" Er grinste mich schief an. "Wenn ich dich nochmal richtig ausführlich geküsst habe. Und einen Kaffe getrunken habe." Ich lehnte mich an ihn, während er einen Schluck Kaffee trank. Diese Zeit, wo nur er und ich waren, genoss ich einfach. Nachdem ich mich umgezogen hatte, drehte ich mich nochmal zu ihm um und lächelte ihn nur glücklich an. In der Küche machte ich mir ein Müsli mit frischem Apfel fertig. Mein Handy zeigte keine Nachrichten an. Ich suchte mir Lieder von den Ehrlich Brothers im Netz und spielte sie ab. Dann kam Chris rein. Er hatte mittlerweile größere Augen und war auch angezogen. Ich schob ihm die zweite Schüssel Müsli rüber. Er lächelte mich an und deutete auf mein Handy. "Weiterbildung?" Ich nickte nur.

"Du kommst mich doch auf der Tour besuchen, oder?" Ganz langsam hob ich den Blick zu seinen Augen, die mich hoffnungsvoll musterten. Machte er sich etwa dieselben Gedanken? "Ich versuche es. Aber viel herumreisen kann ich nicht mit Arbeiten und Attila. Außerdem würde das auf Dauer zu teuer werden." "Wir sehen uns heute vielleicht einfach mal den Tourplan an. Und den Rest kriegen wir hin", erklärte mir Chris zuversichtlich. "Ich will dich sehen. Auf dich möchte ich nicht mehr verzichten müssen!" "Oh Chris, du bist echt süß!" Ich stand auf und fiel ihm um den Hals. Er machte mich so unglaublich glücklich. "Nur du und ich." "Nur du und ich!" Nach dem Frühstück machte Chris sich fertig und ging zur Tür. "Kommst du hier alleine klar?" wollte er wissen. Ich nickte schüchtern und sagte "Glaub schon, ja." Chris kramte in seiner Tasche und zog dann einen Schlüssel heraus. Er sah von dem Schlüssel zu mir. Dann streckte er die Hand aus und drückte den Schlüssel in meine Hand, meine Finger schloss er um den Schlüssel wieder. "Ich vertraue dir." Wow. Ich küsste ihn einfach. Meine Arme schlangen sich um seinen Hals. "Du musst los." "Ich weiß." Und wir knutschten trotzdem weiter. Es dauerte einige Minuten, bis wir uns trennen konnten und er verschwand. Ich schloss die Tür hinter ihm wieder. Wahnsinn, er hatte mir einen Schlüssel gegeben.

Es war noch nicht ganz acht Uhr morgens. Mit meiner Schwester war ich erst um 11 verabredet. Vor halb elf musste ich also nicht los. So suchte ich mir jetzt also Beschäftigung. Bett machen, aufräumen, staubsaugen, Geschirrspüler ausräumen und wieder einräumen. Außerdem benutzte ich die Waschmaschine. Ich hatte ja nicht genug Sachen mit für zwei Wochen. Ich fand sogar den Wäscheständer. Außerdem wusch ich sein Zeug gleich mit. Ich könnte später was ordentliches Kochen. Ich warf einen Blick in den Kühlschrank. Super, ich konnte einkaufen gehen. Ein Blick aufs Handy verriet mir, wo ich zum nächsten Laden herfahren musste. Ich schrieb einen Einkaufszettel und los gings. Es war erst neun Uhr. Mit meinem Auto fiel ich auf. Es schauten viele Leute auf das berliner Kennzeichen. Ich schob den Einkaufswagen durch die Gänge und nahm mit, was auf dem Zettel stand. Als ich wieder bei Chris war, war ich aufgeregt. Das erste Mal kam ich zu ihm und er war nicht da. Mittlerweile war es nach zehn Uhr. Die Einkäufe waren eingeräumt und ich hing noch die Wäsche auf. Dann huschte ich ins Bad, schminkte mich und frisierte mir die Haare. Um kurz nach elf war ich am Treffpunkt. Meine Schwester erzählte mir die neuesten technischen Details, die meine Eltern zu verstehen versuchten. Und über ihr Studium, die Männer, Ihren Job und dass sie bald ihre Bachelorarbeit schrieb. Dann sagte sie noch, dass sie aus dem Zauberkasten schon ein paar Tricks gelernt hatte. Ich kam garnicht zu Wort. Das war aber auch nicht schlimm. Ich hörte ihr gerne zu. Dann suchten wir für sie nach neuen Schuhen und Klamotten. Auch hier kam ich selbst nicht dazu, etwas für mich zu schauen. Immerhin hatte ich leckeres Essen gehabt. Meine Schwester verabschiedete sich samt ihrer Einkaufstüten, da sie eine Vorlesung in der Uni hatte. Ich stand dann dort, in der Stadt meiner Kindheit, und ich war alleine.

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