44 Endlich daheim

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Mein Wecker klingelt pünktlich um sieben Uhr. Ich schälte mich aus meiner Bettdecke und stand auf. Kurze Zeit später trank ich frisch gewaschen meinen Kaffee und aß ein bisschen Müsli. Danach zog ich mir eine enge Jeans, meine warmen Boots und eine weißen Wollpullover an. Dann packte ich meine Taschen und schloss die Wohnung hinter mir ab. Als alles im Auto verstaut war, kratzte ich die Scheiben frei, hängte den Glücksbringer an den Rückspiegel, schrieb Mama, Chris und Janin, dass es losging und lenkte den Wagen in Richtung Autobahn. Nach ungefähr zwei Stunden machte ich eine Pause. Die Sonne ist kurz rausgekommen, aber es war trotzdem saukalt und windig. Ich rief natürlich bei Chris an. Er schien wieder in der Werkstatt zu sein, denn es schepperte im Hintergrund und Andreas schimpfte dann ziemlich laut.  Chris freute sich, mich zu sehen. Mit einem Lächeln auf den Lippen stieg ich wieder ein und fuhr die letzten zwei Stunden. Als ich auf der Autobahn die ersten Schilder mit der Abfahrt in Bünde sah, kam mir der Gedanke, einen kurzen Zwischenstopp einlegen zu können. Ich fuhr also ein paar Minuten später ab. Den Weg zur Werkstatt kannte ich immer noch. Ich parkte mein Auto mit Absicht im Wohngebiet und schlenderte dann zu den Hallen. Die Tür war nicht abgeschlossen. Ich lugte hindurch. Und dann sprang mir etwas von hinten ans Bein. Als ich mich umdrehte, erkannte ich Charlys Hundenase. Und Mia. Ich ging in die Hocke und nahm Mia in den Arm. Ich war wirklich verliebt in dieses Kind. Charly sprang an mir hoch. Ich legte meinen Finger auf meine Lippen und gemeinsam schlichen wir uns in die Werkstatt. Mia auf dem Arm, Charly an meinem Bein. Wir standen an der Tür und sahen Chris und Andreas zu, die mit Manu an etwas schraubten. Chris hatte im Gesicht schwarze Schmiere und Andreas die ganzen Hände voll. Manu hatte einen hochroten Kopf, denn er stemmte gerade irgendwas Schweres hoch. Dann sah Manu auf und mich an. "Hey, Chris. Du hast Besuch!" Manu ließ das Teil runter während Chris und Andreas Aufsahen. Beide hatten auf einmal leuchtende Augen und kamen auf mich zu. Andreas war zuerst da und umarmte mich ganz vorsichtig, denn er wollte mich nicht vollschmieren. Chris kannte da nichts und drückte mich fest an sich. "Onkel Chris, ich krieg keine Luft mehr!" protestierte Mia auf meinem Arm und Charly kläffte Chris böse an. Er ließ uns los. "Kaffeepause?" "Kaffeepause!" bestätigte Andreas ihn. "Wolltest du nicht erst zu deinen Eltern?" "Die Schilder 'Ausfahrt Bünde' waren zu verlockend" gab ich zu. Chris grinste mich an. Und ich grinste zurück. Im Büro und nach einigen Minuten des Händewaschens tranken wir einen Kaffee. Chris nahm meine Hand und sah auf den Ring. "Du trägst ihn noch." "Natürlich. Ich nehm ihn nicht mehr ab." "Garnicht?" "Nein" sagte ich und schüttelte den Kopf. "Das ist schön." Andreas sah uns an. Seine Tochter saß mit Charly auf dem Boden und spielte mit dem Tier. "Kein Verlobungsring, he?" grinste Andreas. "Nein!" sagten wir beide wie aus der Pistole geschossen. Andreas lachte kopfschüttelnd.

"Ich hab die Mail hier auf meinem Handy" sagte ich ernst. Ich öffnete mein Emailprogramm und klickte das Dokument auf, was von dem Anwalt gekommen ist. Er hatte es stichwortartig zusammengefasst auf Papier gebracht, was Frau Bennewitz ausgesagt hatte.

- Die Beschuldigte gibt zu, das Pferd Attila am Unfalltag aufgesucht und mit einer mitgebrachten Gewindestange am Hinterbein mehrfach geschlagen zu haben, nach dem sie es minutenlang gescheucht hatte, bis sie es in die Ecke drängen konnte - Die Beschuldigte gibt zu, bewusst das Pferd Attila verletzt zu haben - Auf die Frage nach den Gründen gab die Beschuldigte an, dass die Besitzerin des Pferdes mit ihrem Mann durchgebrannt sei - Auf weiteres Hinterfragen handelt es sich bei dem Mann um Christian Reinelt genannt Ehrlich - Die Beschuldigte brachte während der gesamten Vernehmung wüste Beschimpfungen gegenüber der Beschädigten zum Ausdruck

Andreas und Chris lasen das Dokument offensichtlich auch mehrmals. Dann sah Chris mich an. "Ich kenn die nicht mal! Wirklich!" Panik stand in seinen Augen. Ich schloss meine Augen und griff nach seiner Hand. Tonlos sagte ich "Ich weiß". Andreas saß kopfschüttelnd vor uns. Er begriff das scheinbar garnicht. So hatte ich gestern auch gesessen. "Chris, Attila muss da weg. Durch die Shows wissen die Leute sehr schnell, wo er steht" sagte ich. Andreas sah mich an. "Unsere Schwester hat das gehört und hier mal nachgefragt. Es gibt in der Nähe eine Art Rehastall für Pferde. Schon verrückt, was es alles gibt. Naja, der Besitzer kann ganz gut mit Stephanie und er hat gesagt, Attila könne da für ein paar Wochen hin und sich erholen. So mit Wassergymnastik, Auslauf und Physiotherapie. Und als Stephanie ihm erzählt hat, was da los war hat er angeboten, nur das zu nehmen, was Attila am jetzigen Stall kostet. Praktisch Selbstkostenanteil. Wenn du magst, heißt das.... Also Stephanie hat drum gebeten, dass wir dir das erzählen." "Ich danke euch!" Ich fiel den beiden um den Hals und war froh darüber, dass die beiden sich auch einen Kopf um Attila machten. Die Zwei und Stephanie. "Ruf mal deine Schwester an. ich möchte mich bedanken." Chris rief sie an und ich sprach einige Minuten mit ihr. Sie erklärte mir nochmal alles und bat an, sich den Stall mit mir anzusehen, wenn ich wollte. Natürlich wollte ich das. Das Angebot war Gold wert. Schließlich war Attila noch nicht alt und sehr wertvoll. Und er war tatsächlich ein Showpferd. Noch nie hatte ich mir das so deutlich gemacht. Als ich auflegte, sah ich Chris an. "Die Presse weiß davon." Er legte den Kopf schief. "Wie? Woher?" "Naja, Attila ist tatsächlich bekannter, als ich es bislang gesagt habe. Er ist bereits oft bei Verfilmungen zu sehen gewesen und bei einer großen Pferdeshow immer wieder zu Gast. Praktisch so ein bisschen so berühmt wie ihr. Nur unter Pferdefreaks halt." "Ach so? Dann sind wir ja quasi Kollegen." "Ja. Und ein Reporter hat sich bei Lars gemeldet, weil er was gehört haben will. Attila muss da weg sobald ich wieder in Berlin bin." "Ja, das wäre bestimmt am besten" warf auch Andreas ein.

Als ich wieder im Auto saß, war ich etwas ruhiger. Bei meinen Eltern gab es leckeres Essen und danach stritt ich mich mit meiner Schwester darum, wer die Lichter und wer die Kugeln an den Baum bringen durfte. Wir lachten uns gegenseitig aus, denn ich hatte die Kugeln bekommen und steckte sie anstatt an den Baum hinter meine Ohren und  meine Schwester leuchtete um den Kopf wie der Tannenbaum. Wir hatten viel Spaß und irgendwann später war der Baum fertig. "Wo wirst du eigentlich schlafen?" fragte Mama und grinste schelmisch. "Weiß ich noch nicht." Als ich ins Bad ging, schaute ich in mein Kinderzimmer. Dort lagen lauter Sachen auf meinem Bett. Normalerweise räumte Mama das immer ab. Plötzlich stand meine Mutter hinter mir. "Los, hau schon ab. Ich hab dir die Entscheidung abgenommen. Aber zur Kirche morgen bist du wieder hier!" Ich umarmte Mama sprachlos. "Danke" war alles, was ich flüstern konnte. Dann machte ich mich schnell frisch, verstaute die Sachen, die hierbleiben konnten, schonmal in meinem Schrank und bestaunte mit Papa den Baum noch kurz. Es folgte ein Selfie mit allen vorm Weihnachtsbaum und ich fuhr wieder los. Von dem Gerichtsverfahren und der Aussage hatte ich meinen Eltern noch nichts erzählt. Sie sollten sich keine zu großen Sorgen machen. Nur meiner Schwester hatte ich vorhin in einer ruhigen Minute gesagt, dass Attila vielleicht zur Kur für ein paar Wochen hier in die Nähe kommen würde und sie sich kümmern müsste. Das wollte sie aber gerne tun. Ihr hatte ich auch das Video von gestern gezeigt, wo ich das erste Mal wieder eine Runde auf ihm saß. Sie hatte auch Tränen in den Augen.

Als ich bei Chris auf den Parkplatz fuhr, machte sich eine wohlige Vorfreude breit. Wir wollten zusammen essen und dann Tischtennis spielen. Als ich ausstieg und meine Tasche nahm, sah ich zu Chris Auto hinüber.  Lächelnd schloss ich meins ab und lief zur Haustür. Nach dem Klingeln ging der Summer und ich lief genau in seine Arme hinein. "Willkommen zuhause" sagte er. Ich ließ die Tasche fallen und schlang meine Arme um seine Hüfte. Ich atmete tief ein. Es roch nach Chris... und es roch nach Essen. Ich hob meinen Kopf und lugte an ihm vorbei. Dann löste ich mich von ihm und lief dem Geruch nach in die Küche. Ich lugte in die Töpfe. Es gab Kartoffeln, Gemüse und Hähnchenfleisch. "Du hast gekocht?" Chris war hinter mich getreten und umarmte mich von hinten. "Ja, manchmal tue ich sowas. Ganz unzauberhaft." Ich drehte mich in seinen Armen um und küsste ihn. "Das ist sogar noch zauberhafter als eure Tricks!" "Das warten wir mal noch ab." "Schmeckt das nicht?" "Finden wir es heraus."

Wir saßen am Tisch und Chris hatte die Teller mit dem Essen gebracht. Es roch köstlich. Und es schmeckte auch gut. Immer wieder sah er mich prüfend an. Als ob er erwartete, dass ich mit Vergiftungserscheinungen vom Stuhl kippte oder sowas. War er etwa nervös? Ich fand es süß. Noch nie hatte ein Mann für mich gekocht. Bislang war das immer ich.  "Wann müssen wir denn los?" "Wenn wir mit Essen fertig sind. Ich hab denen gesagt, dass du erst Hunger haben wirst." "Und es schmeckt wirklich gut!" "Danke!" "Ganz zauberhaft" zwinkerte ich ihm zu. Nach dem Essen räumten wir noch auf und dann musste Chris sich noch umziehen. Jogginghose war nicht so ganz ausgehfein fand er. "Muss ich mich auch umziehen?"  Er sah an mir rauf und runter. "Nö." Ich zuckte mit den Schultern und zog schonmal die Schuhe wieder an. Chris kam dann mit einer Jeans und einem blauen Pulli wieder raus. Konnte man denn so Tischtennis spielen? "Sag mal, Tischtennis ist doch schon ein Sport oder nicht?" "Ja. Wieso?" "Na sind wir dazu nicht zu warm angezogen?" "Nee. Denke nicht." Ich zog die Augenbrauen hoch, aber Chris schaute demonstrativ weg und war ganz damit beschäftigt, seine Schuhe anzuziehen. Dann nahm er seine Jacke, seinen Schlüssel und meine Hand.

Draußen gingen wir nicht zu seinem Auto. Wir liefen daran vorbei und durch die dunklen Straßen der Nachbarschaft. Chris hielt meine Hand und sah mich von der Seite an. "Ich möchte dir gerne mal die Nachbarschaft zeigen. Vielleicht bekommst du ja doch Lust, hierher zu ziehen." "Vielleicht. Aber versuche nicht, mich zum Hausbau zu überreden! Den Stress tu ich mir nicht auch noch privat an!" lachte ich. Chris sah mich jedoch ernst an. "Bitte kein Hausbau!" flehte ich. Er grinste nun auch ein bisschen. "Und renovieren?" "Das schon eher..."

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