93| Zwei Auren, die einst mal eins waren

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𝙻 𝙸 𝚈 𝙰

Etwas schnitt mir jede einzelne Ader meines Körpers durch, ohne, dass auch nur ein einziger Tropfen Blut aus mir heraus floss. Vielmehr stockte es, als wäre es gefroren. Das warme dickflüssige Blut, eingefroren wegen diesem eisernen Schauer, der einfach nicht aufhören wollte mich zu umarmen. Schnelle, unfassbar schnelle Atemzüge. Einer nach dem Anderen, doch kein Hauch von Sauerstoff schien meine Lungen zu erreichen. Ich hing wie die Beute im Spinnennetz. Ich war meine eigene Beute meiner eigenen Gedanken, mein eigenes Opfer und mein eigener Mörder. Kein einziges Bild kreuzte meine Sicht und doch sah ich so viel. Eine traumatische Erinnerung nach der anderen funkte in meinem Gehirn auf und brachte meinen immer und immer wieder platzenden Kopf zum dröhnen. Mir fielen meine aufgeschnittenen Adern wieder ein. Hektisch versuchte ich sie zu sehen, doch keinen einzigen Strahl Licht erblickten meine Augen.

,,Pscht.. Es ist alles ok"

Mit einem heftigen Keuchen richtete sich mein Körper ruckartig wie eine Marionette am Faden, dessen Marionettenspieler einen Anfall erlitt, im Bett auf. Vollkommen orientierungslos huschten meine Augen hin und her, bevor ich schnell von seinen starken Armen umschlungen wurde und meinen Kopf auf seiner warmen Brust erschöpft ablegte. Zittrig von entleerten Nerven und überkommen vom kaltem Schweiß, verließ jeglicher Stolz meinen Körper. Ich umarmte seinen Nacken so doll, dass er wahrscheinlich kaum Luft mehr bekam. Sanft streichelte er mit einer Hand meine Haare und mit der anderen meinen Rücken, während seine raue, tiefe Stimme mir noch immer beruhigendes zuflüsterte und er seine, von seinem pieksigen Bart umgebenen, weichen Lippen immer wieder für einen Kuss auf meinem Kopf platzierte.

,,Es tut mir leid, dass ich dich geweckt ha-"

,,Psshtt.", unterbrach er mich. ,,Es ist alles gut. Es war nur ein Traum. Hör einfach nur meinem Atem zu, ok?"

Hastig nickte ich bloß und versuchte nur noch zu hören... alle anderen Sinne zu unterbinden und nur noch dem leisen Rauschen seiner regelmäßigen, langsamen und kontrollierten Atemzüge zu lauschen. Könnte ich doch bloß meine Zwangsgedanken genauso unterbinden wie meinen Sehsinn. Ich bräuchte nur meine Augen schließen und schon sah ich nichts mehr. Würde es doch bloß so ein Lid für die Gedanken geben, welches sich einfach drüber legt und sie für wenigstens einen Wimpernschlag lang lahm legt.

Es half mir sehr, mich nur auf seinem sich langsam auf und ab bewegenden Brustkorb zu fokussieren. Noch immer leicht aufgewühlt umklammerte ich seinen Hals noch fester und kletterte auf seinen Schoß.

,,Hier ist nichts und niemand, der dir etwas antun kann. Nur du und ich. Sonst nichts. Es war bloß ein Traum" Seine warmen Worte umschlingen meine fast erfrorene Seele und tauten sie Stück für Stück auf. ,,Stell dir einfach vor, wie wir gerade auf einer Wiese sitzen und weit und breit niemand da ist außer du und ich. Ein kleiner See fängt die Sonnenstrahlen auf und wirkt fast glitzernd. Das Wasser plätschert leise, weil ein paar Fische drin schwimmen und sie unter Wasser blubbern... und dabei aussehen wie du mit deinen speckigen Wangen..", erzählte er mir leise und brachte mich leicht zum Lachen. Ich schlug ihm gegen die Brust. Diesmal war ich aber gar nicht böse für diese Bemerkung. Mein Atem beruhigte sich enorm. Langsam lockerte sich mein fester Griff von ihm. Er gähnte mehrmals. ,,Alles wieder gut mein Engel?", murmelte er beim ausatmen.

Ruckartig zog ich meinen Kopf von seiner Brust weg und sah ihn verdutzt an, während er nur beschämt seine Augen zukniff und sein Gesicht anschließend mit seiner Hand verdeckte.

,,Sag nichts, Popel!", kam es bloß von ihm. ,,Ich bin müde okay", versuchte er sich rauszureden.

,,Alles wieder gut", antwortete ich lachend.

Ego vs. EgoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt