Ich liege auf dem Sofa und schaue die Decke an, Ren läuft durchs Wohnzimmer, auf und ab. Es ist düster draußen, es regnet wieder einmal.
Es ist fast eine Woche vergangen, gestern durfte ich endlich das Krankenhaus verlassen. Kiyo, Iku, Aki, Shima, Rens Schulfreund... alle haben mich besucht. Anwälte seitens der Koba-Familie, Shougo-san und Mikiko, die Freundin meiner Mutter und gleichzeitige Familienanwältin. Ja sogar Haruko hat angerufen, weil Ren so am weinen war am Telefon, dass sie dachte, ich sei gestorben oder sonst etwas. Ehrlich gesagt muss ich lachen, wenn ich an die Szene zurückdenke. Nachher hat sie mich angeschrien, dass sie umsonst um mindestens drei Jahre gealtert wäre, weil sie sich Sorgen um Ren gemacht hätte... naja, vielleicht galt mindestens ein Jahr davon mir.
Ren war permanent bei mir. Ein lächeln entfährt mir... ich neige meinen Kopf zur Seite und beobachte ihn. Bis auf Spaziergänge mit Tanuki war er immer da. Schule hat er ohne Probleme von Zuhause aus machen dürfen. Manchmal konnten wir sogar im Park mit Tanuki zusammen eine Runde gehen, oft war es aber nur am regnen.
Oft in letzter Zeit, saß Ren aber auch nur still und schweigend neben mir. Ich weiß absolut nicht was in ihm vorgeht. Ich kann seinen Blick nur schwer deuten. Auch heute wieder. Die ganze Stimmung hat sich gedreht. Er war so froh und anhänglich, als ich aufgewacht bin, aber schon am selben Abend flaute alles ab und er ist in diesen nachdenklichen Zustand verfallen.
Irgendetwas scheint ihn tief zu beschäftigen. Ich mache mir Sorgen...
„Ren. Komm doch her." Ich versuche seine Aufmerksamkeit zu bekommen.
„Sag Ren, hast du Pläne? Wollen wir etwas zusammen machen?" Ich gebe nicht auf. „Hm?" Er ist am träumen.
Er hat das Wohnzimmerlicht angenehm eingestellt, die Vorhänge zugezogen, der Fernseher läuft leise. Sogar mein ganzes Bettzeug hat Ren mir fein säuberlich vorbereitet. Eine Decke unter mir, mein Kissen aufgeschlagen, meine Sommerdecke über mir, ich brauchte mich nur in dieses Nest hinein drapieren. Auf dem Tisch stehen frisch gekühlte Säfte und Kräcker – er hat an alles gedacht. Aki und Shima sind seit eben mit Freunden unterwegs und wir sind alleine. Die Entlassung ging schnell vonstatten. Die zwei haben mich schon gegen 9 Uhr mit Mikiko abgeholt. Alle Papiere und Akten habe ich direkt an Mikiko weiter geben können. Ich brauche mich erst einmal um nichts zu kümmern. Meine Sicht ist wieder vollständig hergestellt, meine Schmerzen sind größtenteils Vergangenheit. Ich bin zwar noch etwas grün und blau hier und da, aber es ist alles absolut erträglich. Die Verbrennung tut allerdings noch ziemlich weh. Das versuche ich mir natürlich nicht anmerken zu lassen...
Tanuki entfährt hier und da ein schnarchendes Geräusch, wenn er sich im Körbchen von der einen Seite auf die andere legt.
„Ren.", ich versuche mein Glück erneut. Etwas eindringlicher als zuvor. Es macht mich nervös. „Hm?", entkommt es ihm wieder. „Setz' dich doch nun endlich zu mir. Was ist denn los?" Ich klopfe geduldig neben mir auf das Sofakissen, als Zeichen, dass er zu mir kommen soll.
„Ja. In Ordnung.", sagt er monoton und ich schaue ihn verwundert an.
„Kannst du mir nun endlich sagen was los ist? Hab ich was angestellt? Ist etwas?" Mein Blick scheint doch etwas verstörter zu sein als ich wollte, Ren spiegelt meinen Blick und es erschreckt mich selbst. Ich richte mich auf und nehme seine Hand. „Was ist denn los?" Ich klinge besorgt. „Ich... Ich habe Angst.", er spricht zögerlich. „Was? Wovor denn?" Ich umgreife sein Gesicht und quetsche es sanft, lächle ihn an. „Lass das!!" Er schlägt mich weg. „Ren..." Er läuft wieder auf und ab.
„Vor allem habe ich Angst. Wie soll ich dich je wieder anfassen? Was... er... dir angetan hat! Nachdem du aufgewacht bist und ich dir gesagt habe, dass ich mehr will... Ich sehe noch jeden Schlag... Ich blicke dich seit Tagen an.. dieses Blut, dein Blut! Die Mülltonne, Haru... wie soll ich dich wieder anfassen. Ich habe Angst, dass dir etwas passiert, das noch mehr Leute auf die Idee kommen, dir etwas anzutun, vor den Leuten, die das White Fang beschimpfen. Ich habe Angst, Hass auf uns zu ziehen, weil wir sind, wie wir sind... Ich habe Angst das du zerbrichst, wenn ich dich berühre. Ich habe solch eine unfassbare Angst, dich zu verlieren..."
Meine Augen sind weit aufgerissen, ich sitze einfach nur da und schaue die Wand an. Aus dem Augenwinkel sehe ich ihn hin und her laufen, seine Hände am gestikulieren. Er redet ohne Punkt und Komma. Wenn ich ihn jetzt anschaue, könnte ich wirklich zerbrechen. Ren... ich muss stark sein.
„Ren, du stehst irgendwie unter Schock. Nachträglich..?" Ich flüstere fast. Das Fragezeichen kaum hörbar. „Mein Gott Haru, ich liebe dich so sehr." Er kommt zum Sofa. „Ich hatte solche Angst. Es war das schlimmste, an das ich mich zurückerinnern kann. Das schlimmste, das ich je erlebt habe!" Tränen laufen ihm wieder die Wange herunter.
„Ren... gefühlt bist du drei Jahre gealtert, nicht Haruko." Ich quetsche wieder seine Wangen zwischen meinen Händen. Ich lächle. Ich ertrage es nicht anders.
„Außerdem... du hast nichts dazu gesagt." Jetzt ist Ren kaum hörbar, ich lasse sein Gesicht los. Er errötet. Ich weiß direkt, was er meint.
"Sobald ich 18 Jahre alt bin, ... dann will ich meinen richtigen Namen herausfinden, um dich dann als ein anderer, fremder Ren zu fragen, ..."
„Ren, ... wenn... du so alt bist, dann... werde ich dich, also... das ist ja wohl klar. Also du kannst mit Sicherheit davon ausgehen."
Er guckt mich wieder mit dem Seelenblick an. Ich bringe kaum ein Wort heraus, er hat mich wieder so nackt erwischt. Ich atme schwer aus, ein Kloß ist in meinem Hals. Seine Augen sind voller Angst. Wie das Rehkitz aus Kanada. Unfassbare Angst.
„Ich bin ja da. Ich bin hier. Bitte, hab keine Angst mehr. Der einzige Grund, warum ich alles durchgestanden habe, bist du. Du hast mich stark gemacht. Nur du. Als ich wach war, oder eben in meinen Träumen. Du. Bitte. Hab keine Angst mehr. Wir sind jetzt hier... okay? Ich brauche auch noch etwas, um das alles zu verdauen. Aber wir schaffen das, okay?" Der Kloß im Hals schmerzt.
„Kann ich dich küssen?", er berührt die blau-grüne Verfärbung von meiner Nase bis zur Lippe. „Es ist schon so lange her..." er streichelt die Konturen der Verfärbung nach. „Ja..." ich nicke ihm zu. Unsere Augen haben sich seit eben nicht voneinander lösen können, doch jetzt schließt Ren sie, atmet tief durch, öffnet sie wieder, aber diesmal liebevoll und nicht voller Angst, und kommt auf mich zu.
Er küsst mich. Endlich. Endlich können wir uns wieder küssen und schmecken. Ich habe es so sehr vermisst. Der Kloß verschwindet und wechselt sich mit Erlösung und Begierde ab. Endlich... endlich...
Ich greife ihn und ziehe ihn näher zu mir. Ich küsse ihn, als wäre es unser erster und letzter Kuss, unser schönster und intensivster, mit all der Liebe und Sehnsucht, die ich in meinem Gefühlsschwall noch sortieren und ausdrücken kann. Meine Zunge streichelt seine Lippen und daraufhin seine Zunge. Ich höre, wie er sanft stöhnt, so, als würde ihm auch eine riesige Last wegfallen. Einige Zeit verharren wir ineinander, bis uns die Luft knapper wird. Wir lösen uns nur langsam, gefolgt von kleinen und sanften Küssen, die nur die Oberlippe oder Unterlippe streifen. Vorsichtig. „Gott, ich habe dich so sehr vermisst."
Ich drücke ihn fest an mich, wir umarmen uns und liegen eine Weile so auf dem Sofa. „Ich hatte solche Angst, ich war so wütend. Ich bin so wütend... warum tun Menschen sich gegenseitig so grausame Dinge an? Warum hat jemand dir solche grausamen Dinge angetan? Warum?" Sein Griff wird fester. „Ich liebe dich so sehr Haru. Du hast so etwas nicht verdient."
„Ich weiß es nicht." Ich streichle seinen Arm auf und ab. „Warten wir erst einmal die nächste Woche ab. Aktio... also er. Er sitzt in Untersuchungshaft. Die beiden anderen Männer auch. Wir brauchen keine Angst zu haben. Lass uns den Moment und dieses Wochenende genießen, okay? Uns erholen? Ohne Kameras und ohne Krankenhaus."
„Ja...", er sagt es kaum hörbar. „Ja, ist in Ordnung. Ich versuche es." Er schaut zu mir hoch. „Okay." Ich küsse seine Stirn. „Okay." Ich wiederhole es für mich selbst auch noch einmal. Okay. Ich hab ihn im Arm. Akito ist hinter Gittern. Wir sind in Sicherheit. Okay... Ich war so abgelenkt in der letzten Woche, ich habe meine Gefühle und Erinnerungen selbst noch nicht in Schubladen sortiert. Aber eines weiß ich ganz sicher... „Irgendwann werde ich dich zu meinem Mann machen. Da kannst du dich drauf verlassen.", füge ich noch einmal hinzu. Diesmal selbstbewusster als eben. „Ich meine es so. Ich will nicht mehr ohne dich sein. Wir leben im 21. Jahrhundert. Aber warte bis dahin auf mich und lebe mit mir zusammen. Hier. Ich werde dich fragen, Ren. Glaube mir. Ich werde dich fragen." Ich streichle seinen Arm weiter auf und ab. „Okay?", ich schaue fragend nach unten, um dann festzustellen, dass Ren friedlich in unserer Umarmung eingeschlafen ist.
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Hochgeladen am 08.07.16
Nächstes Mal: Nähe
Gute Nacht! :-)
Begrüßt man sich unter Nachteulen nach Mitternacht eigentlich so? Irgendwie hat es gerade richtig gut getan, dieses Kapitel zu schreiben. Die beiden hatten endlich wieder einen ruhigen Moment. Sei es ihnen gegönnt... oder was meint ihr? LG! Soraly
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Super Lovers / Mein Leben mit Ren
FanfictionRen und ich hatten wieder eine unserer Auseinandersetzungen. Unsere Beziehung ist einfach so kompliziert, meine Gefühle sind komplett durcheinander... oder auch nicht? [Meine Geschichte basiert auf dem Manga 'Super Lovers' von Miyuki Abe. Der Manga...