Kuro und Tanuki sitzen vor dem Sofa auf dem ich sitze. Ich sehe Tanuki an, dass er gerne wie Zuhause auf meinen Schoß möchte, aber ich gebe ihm zu verstehen, dass wir nur zu Besuch sind und er sich noch gedulden muss. Kuro hat seinen Kopf derweil auf meinen Knien abgelegt und schaut mich mit gespitzten Ohren aus seiner Position an. Er schnauft entspannt und ich sehe, wie ein gegen Kuro winzig wirkender Tanuki sich um meine Füße kringelt und ebenfalls gelassen, aber etwas neidisch schnauft.
„Ihre Tiere sind sehr wohl erzogen, mein Junge.", spricht Martha zu mir, die gerade sehr wackelig und zerbrechlich wirkend, zwei Tassen Kaffee auf einem Gehwagen vor sich her in den Raum hinein schiebt. „Wissen Sie, ich wollte auch immer schon Hunde haben, aber ich wurde zu einer Katzenlady glaube ich. So sagen die Kids doch heutzutage? Wissen Sie, einmal ist mir ein roter Kater zugelaufen und ich konnte nicht anders, als ihn zu behalten. Aber er war sehr, sehr ängstlich und so habe ich den Zeitpunkt verpasst, auch eine Hundenärrin zu werden, da ich ihn alleine halten musste. Ihr Paar ist aber doch recht ungewöhnlich. Ein schwarzer Wolf und einen Waschbären als Freunde..."
Martha findet ihren Platz und lässt sich angestrengt in einen Sessel fallen.
Sie schnauft ebenfalls.
Ich schaue sie weiterhin mit seinem Blick an. „Der kleine hier heißt Tanuki, er ist ein Spitzmischling. Er begleitet mich schon viele Jahre. Und das ist Kuro, ein Wolfshund aus dem Wolfshund-Forschungsrudel meiner Mutter. Sie hat ihn mir geschenkt, als ich meinen Abschluss gemacht habe. Er lebt seit etwas über zwei Jahren bei mir.", erkläre ich ihr, als ihre Augen auf den beiden haften bleiben. Seit ich hereingebeten wurde, hat sie mich nicht mehr angeschaut und auch sonst noch nicht viel gesprochen. Genau wie ich.
„Schön, ja. Das ist schön, ja das freut mich sehr zu hören. Glückwunsch, mein Junge. Wissen Sie, ich hatte keine Kinder in meinem Leben, aber ein großer, schwarzer Wolf ist ein außergewöhnliches Geschenk... nun, ich habe keine Milch und keinen Zucker, wissen Sie, das ist nicht so gut für mich. Der Arzt sagt jedenfalls, dass es nicht gut ist. Der Kaffee ist schwarz, wenn Sie sich den Kaffee einfach nehmen würden, mein Junge. Das wäre sehr nett." Sie bedient sich an ihrer Tasse Kaffee und zittert förmlich so sehr, dass sie sich diesen auf ihren Untersetzer kleckert.
Sie schnauft erneut und ihre Augen füllen sich erneut mit Tränen, ohne dass sie ihre Wange hinunterlaufen. Ich bleibe allerdings vorerst sitzen, so wie ich bin. Es braucht noch einen Moment, bis ich weiter aus mir heraus kommen kann, geschweige denn etwas zu mir nehmen kann... und sei es auch nur eine Tasse Kaffee. Ich würde ihr gerne helfen, aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie.
Ihr Wohnzimmer duftet nach Lavendel und ist sehr altertümlich und klassisch eingerichtet. Eine blumige roséfarbene Tapete und viele kleine Bilder zieren ihre Wände. Meist sind es schwarz weiße Bilder aus einer mir fremden Zeit. Viele Männer sind darauf zu sehen. Viele davon mit Uniformen. Auch einige Frauen mit einem typischen Hut für Krankenschwestern aus den Sechziger Jahren zieren das Innere der verschnörkelten Bilderrahmen. Massive, dunkelbraune Möbel und kleine Beistelltischchen mit Dekoteilen und Häkeldeckchen fügen sich ebenso passend zu Martha, wie auch Martha zu ihrem Wohnzimmer. Es erinnert mich etwas an den Besuch im Vintage, bei dem er und ich ein fantastisches Date hatten, wäre da nicht noch ein riesengroßes, dunkelbraunes und christliches Kreuz, an dem eine detailliert geschnitzte Jesusfigur genagelt, hängen würde.
„Ich mache nicht alles alleine, wissen Sie. Ich bekomme einmal in der Woche Hilfe von einer jungen Frau die dann für mich putzt und aufräumt.", erzählt sie etwas aufgeweckter, als sie merkt, wie meine Augen den Raum absuchen. Fast schon stolz schaut sie sich mit mir um. „Diese Vase dort drüben habe ich zu meinem Abschluss bekommen. Ich war Krankenschwester. Das ist aber lange her, wissen Sie. Vielleicht pflegeleichter als ein Wolf.", sagt sie und zeigt auf eine leere, mit einem Goldrand verzierten Porzellanvase. Ich nicke ihr zustimmend zu.
„Nun Miss Tremblay, ich danke Ihnen für Ihre-", setze ich an, doch sie unterbricht mich direkt. „Martha, mein Junge. Nur Martha.", korrigiert sie mich mit ruhiger Stimme.
„Martha, also ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft, aber ich bin hierherge-", beginne ich weiter zu sprechen, während sie mich erneut unterbricht. Diesmal aber mit keiner ruhigen Stimme. Sie schaut mir das erste Mal wieder in die Augen. „Ich weiß wer Sie sind, mein Junge. Ich wusste es schon als ich heute morgen aufgestanden bin. Dass heute ein Tag wird, der dem Tag vor so vielen Jahren gleicht. Ich habe es gespürt. Ich habe mir sogar extra mein schönes Kleid angezogen. Ich dachte, ich bin verrückt geworden, wissen Sie, und hatte das Gefühl schon fast wieder vergessen, aber als ich Sie gesehen habe, wusste ich es wieder. Denn es ist unverkennbar zu sehen, wer Sie sind. Unverkennbar. Sie sind ihr wie aus dem Gesicht geschnitten, wissen Sie... ich wusste, dass der Tag irgendwann kommen würde. Gott kann mich erst holen, wenn ich alles geklärt habe. So ist das.", sie nickt beim erzählen, als würden noch weitere Personen anwesend sein, die ihr auch zustimmen, lässt ihren Blick aber nicht von mir ab.
Erschrocken über ihre abrupte Wesensänderung, versuche ich trotzdem weiterhin meinen Mut zu sammeln und auf das zu sprechen zu kommen, warum ich hier bin.
„Ich bin den weiten Weg aus Japan, über Amerika und bis nach Vancouver hierher gereist. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, dürfte ich mich erklären, warum ich heute hier bin und wie es dazu gekommen ist, Martha. Dazu hätte ich dann gerne ein paar Informationen, wenn Sie bereit sind, mir weiterzuhelfen.", sage ich konzentriert und spüre, wie sich mein Magen umdreht und mir weitere Schweißperlen den Rücken und nun auch die Stirn hinunter laufen. Sie schaut mich weiterhin an, als würde sie darauf warten, dass ich begreife, was sie ihren scheinbar anwesenden Geistern zugenickt hat.
Wie sie... ... Meine Gedanken driften ab, als ich in ihre Augen sehe. Ihre Worte hallen nach, auch wenn ich körperlich da bleiben möchte. Ich bin definitiv richtig hier, denn sie kennt meine Mutter, sie kennt ein großes Stück meiner Vergangenheit und mein Weg war nicht umsonst, wie es scheint.
„Wissen Sie, wie eben schon gesagt, Sie sehen aus wie sie, wie ihre Mutter. Dennoch haben sie Züge ihres Vaters. Den starren Blick sieht man auch auf dem Foto, das ich habe. Ein leerer Blick, der aber kein leerer ist. Aber ich hätte nicht gedacht, dass sie so groß sind. Ihre Mutter war eine winzige und zierliche Person, wissen Sie. Da müssen Sie dann doch einige Gene Ihres Vaters mitbekommen haben. Ein stattlicher Amerikaner.", spricht sie weiter mit groß geweiteten Augen, direkt in meine nun ebenfalls großen und geweiteten Augen.
Ein Foto? Ein Blick wie... mein Vater? Mir wird schlecht.
„Das ist interessant zu hören. Bevor wir weiter sprechen, Martha, entschuldigen Sie mich, aber wo ist denn die Toilette?", frage ich hastig und mit zitternder Stimme, versuche mich aber zusammen zu reißen. „Links runter-", beginnt sie ihren Satz, während ich aber schon aufstehe und sie diesmal unterbreche.
Tanuki und Kuro schauen mir hinterher und bleiben wie gewollt sitzen, als ich schnellen Schrittes zur Toilette gehe und mich anschließend fürchterlich in ihr übergebe.
Vielleicht hätte Haru doch mitkommen sollen. Er war so erpicht darauf mich zu begleiten und ich habe mich so sehr dagegen gewehrt. Und jetzt wünsche ich mir nichts sehnlicher, als in seinen Armen zu liegen. Stattdessen sitze ich alleine auf einem Badezimmerboden neben der Toilette. Ich würde am liebsten unter Marthas Dusche krabbeln und mich in eine Ecke verkriechen bis alles vorbei ist. Er würde mich bestimmt beruhigen können. Er hätte mir die Haare zurückgehalten oder es erst gar nicht soweit kommen lassen, weil er mich hätte lesen können und mich hätte beruhigen können. Ich atme wieder tief ein und aus, während es mir wieder den Magen umdreht. Ich vermisse ihn so sehr, ich könnte gerade sterben. Tränen schießen mir in die Augen und ein schmerzlicher Kloß verstopft meine Kehle und nimmt mir fast die Atemluft.
Was ist, wenn meine leiblichen Eltern toll waren? Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Wieso kann ich mich nicht erinnern? Was ist, wenn meine Eltern mich nicht wollten und mich ausgesetzt haben? Warum hat nie jemand nach mir gesucht? Was ist, wenn meine Eltern noch leben? Sind sie wirklich tot? Ist meine Mutter wirklich tot, so wie Mikiko sagte? Habe ich Geschwister? Wieso liegen meine Wurzeln irgendwo in Seattle und wieso bin ich jetzt bei Martha? Wieso bin ich in Vancouver? Wieso wurde ich überhaupt fast leblos auf einer Straße im Nirgendwo in Kanada gefunden? Ich will das alles nicht wissen...
Und trotzdem will ich es wissen, ich muss es wissen. Mein Leben muss jetzt anfangen! Ich will den Namen Kaidô loswerden. Ich muss wissen wer ich bin, damit ich bei ihm sein kann.
Ich will kein eingetragener Bruder mehr sein.
Ich will sein Mann sein!
Warum willst du alleine gehen? Seine Stimme hallt durch meinen Kopf. Oh Haru. Vielleicht war es dumm. Aber ich kann nicht für immer dein kleiner Ren sein. Ich muss doch auch für dich da sein können. Ich will doch auch stark sein und vor allem auch stark für dich sein können. Ich muss es einfach schaffen.
Erschöpft betätige ich die Spülung und raffe mich auf. Ich halte meinen Kopf und meinen Mund unter Marthas verschnörkelten Wasserhahn und trockne mein Gesicht.
Ich schaue den Mann im Spiegel an und zupfe meine Haare zurecht und versuche zu vertuschen, dass ich zusammenbrechen könnte. Ich schlucke hektisch, räuspere mich, trinke einen Schluck Wasser aus dem Hahn und versuche den Kloß zu verbannen.
Mit geradem Rücken und einem diesmal festeren Blick in den Spiegel schaue ich mich erneut an. Ich weiß doch warum das alles... Ich muss es schaffen. Mit dem Finger tippe ich gegen den Spiegel.
„Reiß' dich jetzt zusammen. Zieh' das jetzt durch! Mach' es für dich und somit für Haru! Egal was passiert und egal was du erfährst, Haru bleibt an deiner Seite.", flüstere ich energisch und motivierend zu meinem Spiegelbild. „Du schaffst das!"
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Hochgeladen am 27.08.2018
Nächstes Mal: Mikiko
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Super Lovers / Mein Leben mit Ren
FanfictionRen und ich hatten wieder eine unserer Auseinandersetzungen. Unsere Beziehung ist einfach so kompliziert, meine Gefühle sind komplett durcheinander... oder auch nicht? [Meine Geschichte basiert auf dem Manga 'Super Lovers' von Miyuki Abe. Der Manga...