3. Familienkonstellation

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In diesem besonderen Sommer in Kanada habe ich Ren zivilisiert - so Haurkos Worte.
Zivilisiert... „Die Hunde mochten die Göre, guck ihn dir an."

Meine Mutter ist wirklich exzentrisch und launisch, so habe ich sie jedenfalls immer erlebt... Sie hat aber ein ehrliches und gutes Herz, glaube ich... Ich kann mich nicht entscheiden, ob sie Ren anfangs tatsächlich nur als Forschungsprojekt sah wie ihre Hunde, oder ob sie ihn wirklich später auch liebte und mich in Wahrheit um Hilfe bat, damit ich mich um Ren kümmern würde – als männliches Vorbild und Bezugsperson. Oder wollte sie einfach, das wir beide nicht mehr einsam sind? Wollte das mein Vater vielleicht auch? Immerhin weiß ich nun, dass meine Mutter, Ruri und mein Vater ohne unser Wissen unser Treffen arrangiert und den Urlaub eingefädelt haben.

Über die Wochen hatte ich es geschafft einen Draht zu ihm aufzubauen. Ich hatte einen Drang, ihm nahe zu sein und ihn besser kennenzulernen, den ich mir bis heute nicht erklären kann. Hauptsächlich schaffte ich das auch größtenteils dank der Hunde, immerhin kannten einige des Rudels mich noch. Sie waren zwar deutlich älter geworden, genau wie ich, aber dennoch erkannten sie mich wieder. Das weckte Rens Vertrauen. Ich wurde zu seinem Freund, wir bauten wirklich eine echte Bindung auf.

Je besser ich Ren kennenlernte, verstand ich die Erzählungen meiner Mutter besser und besser. Er aß nicht vernünftig, sprach wirklich kaum ein Wort, kleidete sich nur mit Jeans und Shirt, seine Füße waren zerkratzt, da er keine Schuhe anziehen wollte, er war schmutzig und dürr, eigentlich schon deutlich unterernährt, schlief nachts in der Garage bei den Hunden auf dem Boden, schrie bitterlich in der Nacht oder lag wach.
Dinge des alltäglichen Lebens waren ihm fremd. Als wüsste er nicht, was er mit sich oder seiner Umwelt anfangen sollte. Normale Dinge die Kinder einfach tun sollten und könnten weckten nicht sein Interesse. Ich habe versucht ihm alles zu zeigen und ihn hervorzulocken aus dieser furchtbaren Einsamkeit und auch versucht, ihm neue Dinge beizubringen.
Ich weiß nicht warum, aber ich habe mich einfach mit ihm verbunden gefühlt. Ich wollte so viel wie möglich in diesen Sommer stecken und ihm soviel wie Liebe und Geborgenheit wie möglich vermitteln.
Meine Mutter schaffte dies augenscheinlich nicht wirklich und die Schreie, die ich nachts von ihm hörte, haben mich innerlich zerrissen. Alleine die Erinnerungen daran brechen mir das Herz erneut.
Ich kann kaum über seine Vergangenheit, bevor er zu Haruko kam, nachdenken. Es macht mich wirklich fertig.

Ich wurde mehr und mehr zu seinem großer Bruder- und auch ich war irgendwie nicht mehr alleine. Ich lache innerlich auf, eigentlich war ich nie alleine. Doch ich habe mich immer alleine gefühlt. Ich bin eben nicht der typische Japaner.
Meine aschblonden Haare, meine waldgrünen Augen, meine Größe. Die ausländischen Gene meiner Mutter und ihres Vaters, sind alle bei mir angekommen. Eher bin ich Haruko aus dem Gesicht geschnitten und alle sind verwundert, dass meine Muttersprache japanisch ist. Ich war immer 'der Fremde' und das hat man mich spüren lassen, auch Aki und Shima als sie Kinder waren. Sie wussten es wohl nicht besser, immerhin kam ich als fremder Junge einfach zu ihrer Familie dazu. Die beiden sind eh Zwillinge und haben so eine besondere Bindung. Vielleicht war es auch nicht einfach für sie.

Aber Ren... Ren niemals. Bei ihm war ich wie ich bin. Auch wenn er emotionslos und monoton wirkte, war er immer ehrlich, subtil, einfach und gerade heraus. Immer. In jeder Sekunde. Ich musste mich nicht verstellen, ich konnte aus tiefster Seele ich selbst sein und wurde so von ihm angenommen. Er taute nach und nach auf und ab und zu, bekam ich sogar ein wunderbares Lächeln geschenkt. Ein kleines Lächeln mit sanften Gesichtszügen, das nur ich sehen durfte und mir galt, mir ganz alleine. Ich beginne zu grinsen, als wäre mein Gefühlschaos nicht eh schon perfekt.

„Ren sagte mal, meine Augen seien wunderschön, ich habe Angst, das nicht mehr zu hören. Diese ganze Sache zwischen uns...", sage ich leise wie aus dem Nichts. „Was ehrlich?", fragt Shima sanft, als hätte er die ganze Zeit auf ein Lebenszeichen von mir gewartet. „Deine Augen sind aber wirklich anders, ich kann es etwas nachvollziehen, Haru. Wie ein Wald in dem man sich verlieren kann..."

„Da muss man sich aber auch wirklich dran gewöhnen, mich wundert es, das es Ren nicht abgeschreckt hat, und er nicht um sein Leben gerannt ist!", lacht Aki von der Galerie und verschwindet wieder in seinem Zimmer. „Hier sind wohl überall Ohren.", sage ich wieder leise zu mir hinein.
„Und die Ohren kriegen immer Beine, bei soviel Cola und Softdrinks, die er trinkt!" „Was? Er soll doch nichts Süßes trinken! Das ist nicht gut für die Zähne!" Ich rege mich etwas zu affektiv auf, als das Shima mich komplett erst nehmen könnte.
„Bruder, du hast ein Café, du verkaufst alles mögliche was süß und schädlich ist." Ich seufze.
„Die Kunden sind auch nicht meine Familie. Meine Familie und meine Brüder gehen über alles. Eure Gesundheit ist mein höchstes Gut. Ich werde wohl bald eine Razzia in euren Geheimverstecken machen müssen." Shima grinst und rückt seine Brille zurecht. Ich schaue ihn an und werde wieder ernster. Er gibt mir einen aufmunternden Schubs in die Seite.
„Damals in Alberta sagte er das zu mir. Ich hatte mir eine Erkältung eingefangen, Haruko befahl ihm, er solle auf mich aufpassen und er blieb tatsächlich an meiner Seite.", füge ich Shimas erwartungsvollen Blick hinzu und denke insgeheim darüber nach, dass Ren sich Haruko gegenüber wie ein auf sie geprägter Welpe verhalten hatte.

Aber ich erinnere mich gerne daran zurück. Dort hat er sich das erste Mal zu mir gekuschelt, so, wie er es immer bei den Hunden tat, und ich hatte noch nie so gut geschlafen in meinem Leben. Ruhig und vertraut, geborgen und beschützt. Er sagte es mir, als am Morgen die Sonne in meine Augen fiel und er sie sich lange angeschaut hat. Jede Farbnuance des Grüns, jede Tiefe. Alleine im Raum, nur wir zwei. Es war dieser Morgen, dieser Tag an dem wir uns versprochen haben, niemals mehr getrennt zu sein und irgendwann zusammen zu leben... verrückt, so ein Versprechen mit einem Kind zu schließen. Aber es fühlte sich echt und real an. Wichtig...
Es fühlte sich auch nicht gespielt oder gefloskelt an, als würde man es nur daher sagen, weil es einem so besser ging. Es war anders. Das gleiche Anders-Gefühl, wie bei den anderen Momenten. Es war ruhig und subtil. Ernst. Einfach. Echt.

„Erkältung? Na, vielleicht hat er sich da angesteckt ", klopft Shima mir auf die Schulter.
„Bruder, es ist spät. Ich gehe auch nach oben. Gute Nacht." Er lächelt mich sanft an. „Gute Nacht.", sage ich ebenso sanft zurück.

Immer diese doppeldeutigen Botschaften... Angesteckt...

Als ich in mein Zimmer gehe, bleibt mein Herz kurz stehen. Ist Ren vielleicht doch zu mir ins Zimmer gekommen? Ich halte mir die Hand vor die Augen als ich die Türklinke herunter drücke und eine Leere spüre. Meine Enttäuschung ist kaum zu ertragen, als ich mein leeres Bett sehe und nun liege ich hier. Ganz alleine... Seit wir hier wohnen, schläft er kaum bei sich im Zimmer. Nur bei mir. Ich habe ihm hier bewusst ein eigenes Zimmer eingerichtet. Immerhin soll er für sich entscheiden, was er möchte. Von mir oder seinem Leben... und das tut er. Er wird immer erwachsener - und entscheidet selbst. Fast 17 Jahre ist er jetzt alt... ich 24 Jahre. Aki und Shima sind schon 20 Jahre alt- mein Gott, wir sind schon eine komische Konstellation für Außenstehende. Ich kann verstehen, warum man uns beobachtet und es unnormal findet. Gerade hier in diesem konservativen Teil von Tokio, in dem wir wohnen.
Was man in Kanada oder Amerika als normale Begrüßung ansieht, erweckt hier schon Aufregung und Schrecken. Umarmungen oder Zuneigung zeigen in der Öffentlichkeit ist eher nicht alltäglich zu sehen. Selbst die ganzen Bennenungsregeln, Höflichkeitsregeln, Abstandsregeln. Es ist außergewöhnlich uns zu sehen. Ich sehe das. Aber ich kann doch mein Leben nicht von den Japanern bestimmen lassen? Muss ich mir denn immer über alles Sorgen machen?

Ich wälze mich ein paar mal hin und her und schaue im ruhigen Restlicht auf ein Bild von Ren, Aki und Shima welches auf meiner Kommode steht. Es ist ein sehr schönes Bild wie ich finde. Und es gibt nicht viele Bilder. Ren ist wirklich deutlich kleiner als wir alle, er ist zwar wie die Zwillinge auch japanischer Abstammung, hat braune Haare und große braune Augen, aber hat doch irgendetwas fremdes und wildes an sich. Seine Haare fallen ihm oft wild über die Stirn und zwei Strähnen kreuzen sich oft in der Mitte zwischen seinen Augenbrauen bis zur Nase. In letzter Zeit hat er viele Gelenkschmerzen. Ich denke, seine Größe wird sich noch ändern... aber man... er sieht wirklich deutlich jünger aus als er ist. Ich vergrabe mein Gesicht wieder ins Kissen.


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Nächstes Mal: Konfrontation

Super Lovers / Mein Leben mit RenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt