12. Feuer

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„Haru... du tust mir weh!"
Wir gehen schnellen Schrittes die Straße entlang, geradewegs Richtung Innenstadt.
Seine Hand immer noch in meiner. Ich kann ihn nicht loslassen. „Wo gehen wir denn nun hin?"
„Ins Kino.", antworte ich knapp. „Was wollen wir denn im Kino? Haru, bleib stehen!"
„Kann ich nicht. Ich kann und will nicht noch mehr lügen, also gehen wir jetzt ins Kino." Wir kommen an Brücken, Seitengassen, Häusern und Spielplätzen vorbei. Die Gegend hier ist so ruhig. Durch das verlängerte Wochenende wirkt alles wie ausgestorben, als hätten alle die Chance genutzt und wären verreist. An einem Park etwas abseits bleibt Ren abrupt stehen.
„Stopp! Keinen Schritt weiter.", schreit er mich an.
Als ich ihn weiter ziehen will, boxt er mir in die Seite.
„Aua! Was soll das?"
„Das frage ich dich. Rede endlich!"

Ren...

„Das war gerade alles zu viel. Bitte. Können wir weiter gehen und uns ablenken? Mich ablenken? Ich finde Kino ist gar keine schlechte Idee. Ich brauche eine Pause von den Problemen. Lass mich das etwas verarbeiten. Ich will den Tag genießen. Das ist unser Tag. Unser Morgen, unser Nachmittag. Unser Abend. Bitte!", flehe ich.

„Gut." Ren steigt auf eine Parkbank und schaut mir direkt in die Augen. „Ren...", mein Blick fällt traurig zu Boden. Doch er lässt mich nicht. „Schau mich an, Haru." Er packt mein Gesicht mit beiden Händen. Langsam kommt er mir näher und küsst mich bestimmt und zart. Es fühlt sich wahnsinnig an, mein Herz wird schneller, mein Puls beschleunigt sich. Ihn so zu küssen... auf Augenhöhe... das ist neu. Rens Hände sind um meinen Hals geschlungen, eine Hand streicht mir durchs Haar. Als ich mir einen Blick erhaschen will, sehe ich, dass seine Augen geschlossen sind und seine Wangen mit einer leichten Röte überzogen sind. Meine Arme hängen gerade und leblos an meinem Körper herunter, ich lasse seinen Kuss einfach auf mich einprasseln. Es ist wahnsinnig sexy in so offensiv zu erleben, jetzt, wo ich es nicht mehr abwehren muss. Ich will wissen, wie es weiter geht.

Unsere Zungen sind in einander verschlungen, es wird innerlich wilder, ich konzentriere mich auf meine Gefühle. Pur und unkompliziert. Ein leichtes stöhnen kommt aus meiner Kehle, ohne das ich es wollte. Ich bin überwältigt und losgelöst. Nicht nur in Lust, sondern auch in Liebe.

Ren löst sich langsam, bleibt mit seiner Nase noch an meiner. Ganz nah. Er ist außer Atem und guckt mir tief in die Augen. „Rede. Mit. Mir.", erklärt er mir mit Nachdruck. „Okay. Es tut mir Leid, Ren. Ich war überfordert.", vielleicht hätte ich es wirklich besser lösen können, aber ich musste einfach nur weg. „Komm, lass uns ins Kino gehen." Ren hüpft von der Bank, ist wieder deutlich kleiner als ich, greift meine Hand und läuft los.

Das Kino ist zwar nicht leer, aber ich kann die Leute an diesem Nachmittagsstreifen an zwei Händen abzählen. Wir kuscheln uns in einen Pärchensitz, der ziemlich weit oben und nicht sofort einsehbar ist.
Ren schaut mich ungläubig an, warum ich für so einen Film, solche Luxusplätze bezahlt habe.
„Ich will einfach meine Ruhe.", beantworte ich seine unausgesprochene Frage. „Haru, du bist heute wirklich anders. Cola und Popcorn. Wirklich?" Sein Blick ist verwirrt. Ich schaue ihn mit einem Lächeln an, schaffe es aber nicht, es meine Augen erreichen zu lassen. „Waren wir eigentlich schon einmal im Kino? Ich glaube einmal in Kanada als du noch winziger warst als jetzt." An der Stelle bekomme ich wieder einen Schlag in die Seite. „Aber das ist unser Tag, da darf man auch leckere Sachen essen."

Etwas Zeit vergeht und die ganze Werbung wird von dem Kinofilm abgelöst. Rens Stimme dringt zu meinem Ohr. „Haru... warum warst du eben so?"
Ich kuschel mich weiter an ihn ran, hole ihn weiter zu mir. Ich seufze langsam und atme nochmal tief durch.

„Ich bin enttäuscht von mir selbst. Ich habe nicht einmal mitbekommen, was um uns herum alles so abläuft. Aki und Shima sind mir sehr wichtig. Dass sie so angegangen werden, so behandelt und benutzt werden ist grauenvoll.", sage ich mit Kloß im Hals. „Die beiden sind mir so wichtig... sie sind eben meine Brüder. Naja meine echten. Ich will, dass sie ein gutes Leben haben. Ohne Ruri und Dad ist alles schon schwer genug für die beiden. Ich will nicht, dass alles so kompliziert ist. Meine Gedanken drehen sich nur um dich, ganz lange danach kommt erst einmal gar nichts, dann kommen die beiden und der Rest der Familie und Freunde. Aber durch die Eröffnung des Cafés war ich wohl zusätzlich abgelenkt. Ich finde normalerweise schnell gute Sätze und Erklärungen, aber das eben? Ich war so sauer, so unfassbar sauer. Und enttäuscht!! Enttäuscht von mir. Von den anderen. Von Kiyo... er hätte mir über die Café-Gäste Bescheid sagen können, wir kennen uns immerhin schon so lange... Und ich war auch sauer auf Aki. Warum ist er nicht zu mir gekommen? Ich habe ihm nie etwas getan, weder belogen noch anderweitig habe ich ihm Schaden zugefügt. Warum redet er nicht mit mir? Warum sollte ich so etwas ausnutzen? Und meine Beziehungen dazu missbrauchen? Für Umsatz?"

Ich verkrampfe mich zunehmend und bin nicht mehr an Ren gekuschelt. Letztendlich knalle ich mein Popcorn auf die Ablage vor mir, woraufhin sich Ren etwas erschreckt.
„Wie kann er so etwas nur denken?", sage ich angestrengt und schmerzvoll. Ich versuche nicht schon wieder vor Ren zu weinen, aber es ist schwer. Der Film ist längst Nebensache. Mein Hals tut vom wütenden Kino-Flüsterton weh und der Kloß im Hals macht es definitiv nicht besser. „Es tut mir so leid.. aber Ren... ich will und kann... und werde mich nicht für dich entschuldigen. Denn du bist das Wertvollste für mich. Ich kann mich höchstens für mich entschuldigen, dass ich nicht aufmerksam genug war. Ich will mich nicht mehr verstellen. Ich muss das klären."

„Haru, hier." Er hält mir Cola hin. „Zucker hilft – hab ich gelernt. Ehm... gerade eben sogar... wusstest du, das wir anscheinend eine Frauenkomödie gucken?" Ein Ablenkungsmanöver. Danke...
„Nee. Nicht wirklich." Ich nehme einen großen Schluck. Man ist das gestört, mein Herz schlägt schneller, nur weil ich weiß, dass Ren von dem Strohhalm getrunken hat und mir gerade die andere Hand hält.
Ich schüttele mich. Mein Gott wie alt bin ich denn? Ich bin ein großer, starker Mann. Groß und stark. Stark. Und wirklich groß. Größer als die meisten hier in Japan... Ren zieht mich wieder zu sich und ich beruhige mich wieder etwas.
Ha... von wegen groß und stark...

Nach fast drei Stunden Frauenkomödie haben wir es endlich geschafft. Ehrlich gesagt entspannt mich Ren so sehr, dass ich fast eingenickt bin. Er strahlt immer einer unglaubliche Wärme aus. Im öffentlichem Raum ihm die ganze Zeit so nahe zu sein ist toll. Hier sieht uns immerhin niemand, so dunkel wie es hier ist. Daran könnte ich mich wirklich gewöhnen. Wir können unseren natürlichen Bedürfnissen einfach nachgehen. Ich fühle mich überhaupt nicht mehr männlich.
Ren funkelt mich an. Woran denkt er nun?

„Ich muss auf die Toilette.", funkelt er weiter.
„Hmm. Ja, ich warte hier."
„Bist du sicher? Ich könnte mich verlaufen."
„Okay. Dann komm. Wir müssen noch Essen holen."
Wehmütig denke ich an gleich.

„Ich warte dann hier." , sage ich zu ihm. Die Kinotoiletten sind echt gruselig. Eine Treppe in den Keller hinunter, an zwei wirklich unaufgeräumten Lagerräumen vorbei, nochmals eine Abzweigung im Flur entlang. Ein DinA4 Zettel deutet auf die Toilette hin. Also als Frau würde ich das alles sehr bedenklich finden. Ren schaut sich um und schaut mich wieder so funkelnd an. Was ist denn los?
„Haru. Ich bekomme meine Hose nicht auf. Kannst du mir helfen?"
„Also ähm. Ja. Sicher." Naiv löse ich den Knopf. Als ich mich umdrehen will, hält Ren mich mit einem Schlag in den Rücken auf. Alle guten Dinge sind drei. „Wenn du dich prügeln w – " Meine Augen werden groß. „Ich kann seit den Kinositzen.... an nichts anderes... mehr denken. Ich kann eigentlich... also ich kann überhaupt nicht denken. Hilf mir." Rens Augen funkeln. Seine Lippen zittern, seine Sätze sind gestottert. Er hat diese Emotionen echt nicht im Griff.

„Als ich eben so wütend war, war mein Kopf eventuell rot..., denn ich habe wirklich gekocht, als wir noch zuhause waren. Aber dieses Rot hier ist...", ich streichle ihm über seine Wangenknochen... „Ja das ist allerdings das, von heiß-loderndem Feuer - und ich liebe es!!!" Ich lächle ihn sanft an und betrachte seine Erektion - und seine herunter gelassene Hose. Ohne meinen Blick abzuwenden, lasse ich mit einer Fußbewegung die Toilettentür zuschnappen und widme mich Ren.

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Hochgeladen am 09.06.16
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