41. Klappe, die Erste

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Haruko

Was zum Teufel ist hier los? Riesengroße Verwirrtheit und Unverständnis wachsen in mir. Ohne meinen Blick auch nur für eine Sekunde lösen zu können, sammle ich mein Handy vom Boden auf und stecke es in meine Tasche. Ich stehe immer noch zu abseits, als das mich die beiden sehen könnten... wobei, als wenn sie mich registrieren würden, wenn ich neben ihnen stehen würde. Haru... Wut kocht in mir hoch. Blanke Wut. Pure, unverbrauchte und reine Wut. Was macht er mit Ren? Er ist minderjährig.

Genau diese Wut ist es, die meine Beine antreibt, während ich Haru und Ren weiter beobachte, wie sie sich lösen und gemeinsam aufstehen. Wie sie die Hände halten, wie sie die Stufen hinaufgehen und die Hände loslassen. Als wäre das ein geübtes Schauspiel. Haru, das war's.

„Was? Das gibt es ja nicht! Haruko!" Die Tür des Gebäudes schlägt auf und Mikiko erblickt mich sofort. Haru und Ren drehen sich ebenfalls plötzlich um und schauen ungläubig in meine Richtung. Ärgerlich und verstört, versuche ich meine Wut hinunter zu schlucken, schaue auf den Boden und tue so, als würde ich in der Tasche kramen, als hätte ich nichts mitbekommen... Nichts. Ich versuche, meine Zornesfalte zu besänftigen und einen normalen Blick aufzurufen. Einen freudigen. Mikiko wieder zu sehen und auch Ren. Er ist so groß geworden...
„M-Mikiko... Hallo, lange nicht gesehen!", rufe ich zu ihr herüber und korrigiere meine Tonlage mehrfach. Was Ren wohl denkt? Was sie wohl denkt. Vielleicht freuen sie sich, dass ich hergereist bin.
„Ich freue mich so dich zu sehen, dass du herkommst und mich und deine Söhne unterstützt, ich bin ja so froh. Wir werden das super schaffen heute!", spricht sie leise in mein Ohr, als sie mir hektisch um die Arme fällt. Ich versuche mich zu lösen und schaue sie durch meine Brille an. „Du bist ganz schön alt geworden! Und sentimental noch dazu.", sage ich zu ihr und zwinkere einmal. „Gleichfalls.", erwidert sie und mustert mich. Ich mustere sie ebenfalls. Ein schwarzes, knielanges Dress mit Jackett und Nadelstreifen. Sie sieht seriös aus, ihre Augen sind gut geschminkt, ihre kurzen brauen Haare liegen perfekt und ihre Brille unterstreicht ihre markanten Wangenknochen. Sie sieht aus, als müsse man sie ernst nehmen, als sei sie ein taffer Gegner - und das strahlt auch ihre Aura aus. Nicht viele kennen sie, wie ich sie kenne. Ihre liebenswerte und schnulzige Ader, wirken fast wie eine Verkleidung zu ihrem Äußeren. Aber genau das mag ich an ihr. Sie schafft beides. Ich nicht.

„Nun sag schon Hallo zu den beiden.", glänzt sich mich freudestrahlend an. So, als sei sie beeindruckt und stolz darauf, dass ich hergekommen bin. Sie tritt einen Schritt zur Seite und gibt mich frei. Mein Blick fällt dabei als erstes auf Haru. Nur für eine Sekunde. Aber als sich unsere Augen treffen, weiß er, dass ich es weiß und ich spüre, dass sich meine Zornesfalte erneut bildet.
„Guten Tag, ich bin Haruko Daniela Dieckmann. Und wer sind Sie, junger Mann?", lache ich zu Ren, schalte meinen Schalter erneut um und schaue ihn an. Er strahlt. Bis über beide Ohren. Ich liebe dieses Gesicht. Alles an ihm. Ihm scheint es gut zu gehen. Wir haben uns Jahre lang nicht gesehen, nur über Skype Telefonate geführt. Und das auch nie lange. Wegen mir.
„Haruko! Wie schön, dass du hier bist!", antwortet Ren und lacht...auf? „Bist du extra für uns hergekommen? Das finde ich wahnsinnig toll! Bleibst du danach ein bisschen bei uns? Du kannst dann zu uns kommen, ich zeige dir auch gerne die Gegend hier. Meine Noten sind auch viel besser geworden. Auch in japanisch. Ich hoffe, es freut dich, das zu hören. Du musst bestimmt einen harten Flug gehabt haben. Die Schweiz scheint unerreichbar weit weg von hier zu sein. Hast du einen Nachtflug genommen? Nur für Haru?" Seine Augen strahlen, sein kleiner Mund plappert ohne Punkt und Komma. Seine Aura ist offen und freundlich, dennoch ist er mir nicht in die Arme gefallen wie Mikiko gerade, sondern steht auf einer kurzen Distanz zu mir. Er erreicht mich eher mit seiner Aura, als mit seinem Körper. Oh Ren, du hast dich wahnsinnig verändert. „Du bist groß geworden. Dein Gesicht hat sich auch verändert. Es freut mich, dass es dir gut zu gehen scheint." Ich lächle ihn an, schaue danach kurz zu Haru, als Ren zu ihm Freude strahlend und erwartungsvoll hochschaut. „Besser denn je. Besser aber noch, wenn der Tag erfolgreich ausgeht, stimmt's Haru?" Als wäre es das normalste für Ren, zu erwarten, man würde sich natürlich immer so über mich freuen. Als würde Haru gleich ebenfalls loslegen. Mit dem strahlen und plappern. Falsch. So ist es leider nicht. „Ja.", kommt es leicht monoton von ihm. Wie erwartet. Er schaut zu ihm herunter und lächelt sein Haru-Lächeln. Ich kenne es von damals. Von damals, als er im Sommer bei mir war und Ren kennengelernt hatte. Ist es seit dem so, Haru? Seit wann ist das so zwischen euch? Habe ich total versagt? Wie bringst du Ren dazu, in der Öffentlichkeit so zu agieren? Was kannst du, dass ich nicht konnte?

„Du hättest nicht kommen brauchen.", sagt er weiter, ohne dass ich seine Stimme deuten kann. Kennen wir uns noch? In seinen leeren grünen Augen, sehe ich nur weite Tiefe - und mich. Die stumpfe Spiegelung, des gleißend hellen Sonnenscheins. Ich, wie ich vor ihm stehe. Kurz verliere ich mich darin und erkenne in meiner Spiegelung, meinen abermals aufgetauchten Zornesblick. Schweißperlen laufen ihm die Stirn herunter, er wirkt angestrengt und müde.

„Aber ich bin froh, dass du da bist, Mum.", höre ich ihn ruhig sagen. Dazu höre ich Ren neben ihm, der auflacht und aufquietscht, als hätte er gewusst, dass Haru solche Worte, zu einem Satz für mich, kombinieren kann. „Lasst uns reingehen. Hier ist es unerträglich. Ich wollte die beiden eh nur reinholen, Shima-kun hat Getränke für uns besorgt.", unterbricht uns Mikiko sanft.
Haru verweilt noch einen Moment in unserem Blickaustausch und dreht sich um. Seinen Blick auf Ren, dann auf das Gebäude. Als seine Augen von meinen ablassen, spüre ich nur, wie etliche Steine von meinen Schultern fallen und sich gleichzeitig, eine unfassbare Kälte in mir ausbreitet. Mum...

Super Lovers / Mein Leben mit RenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt