22. Panik

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Hallo meine Lieben!
Ich wollte mich für super vielen Zugriffe bedanken, die wir diese Nacht erreicht haben! Auch vielen, vielen Dank an diejenigen, die sich die Zeit nehmen und mir einen Kommentar oder eine Privatnachricht schreiben! Das motiviert mich und spornt mich an, weiterzuschreiben! Viel Spaß beim weiterlesen! Hier ist das neue Kapitel - in Extralänge - und aus Rens Sicht. PS Danke an meinen Leser Sven für einen besonderen Tip bezüglich einer Verhaltensweise vom Uke. Mal sehen, wie die Geschichte so weitergeht?? ;-) . <3 Ihr seid die Besten! Eure Soraly

Ren

Wir sind alle zuhause. Bis auf Haru. Wo ist er nur?
Es regnet immer noch. Was für ein tristes Wetter zu dieser Jahreszeit. Ich schaue aus dem Fenster. In Kanada gäbe es nun viel zu entdecken. Alle Blumen und Kräuter treiben und blühen, die ersten Felder werden gemäht, überall duftet es unglaublich. Im Flussbett treiben die Wasserpflanzen durch, überall gibt es Tiere zu entdecken. Die Hunde und ich hatten zu dieser Jahreszeit immer besonders viel Spaß. Ich gucke wieder zu Aki und Shima. All das ist aber nicht so viel wert, wie hier zu sein. Bei Haru. Haru ist mehr wert als alles andere. Sonst wäre ich nicht gekommen.

„Wo bleibt Haru eigentlich? Mein Magen knurrt." Aki spricht einen Teil meiner Gedanken aus und schaut auf die Uhr. Gleich halb acht abends. „Wir können ja schon einmal anfangen, das Gemüse zu schneiden. Gestern ist es auch später geworden, als er noch an den Plänen saß." Shima beruhigt Aki und reicht ihm mehrere Paprika und Tomaten aus dem Gemüsefach.
„Wir können ihn ja gleich holen gehen."

Ich sitze am Esstisch und räume die letzten Bücher vom lernen weg. Es ist wirklich schon spät. Ich habe nichts von ihm gehört. Das passt nicht zu ihm. „Ich gehe rüber." Ich klinge schroff. Mit mehr Betonung auf dem 'ich', als gewollt. „Ja, ist ja gut. Bis nachher." Aki klingt etwas... ich weiß nicht, wie ich die Stimmung deuten soll. Ich glaube, er hat wirklich nur Hunger. „Entschuldigt. So war es gar nicht gemeint. Bis nachher."

Ich laufe durch den kleinen Zwischenflur und keine Minute später bin ich im Café. Der Soundcheck für die Karaoke-Party läuft gerade. Ich höre, wie jemand die Töne einstellt und laufe direkt darauf zu. Das sind bestimmt Kiyo und Haru.
„Kiyoka-san.", sage ich zu Kiyo. Seit unserer Unterhaltung haben wir uns noch nicht wieder gesehen. Zumindest nicht so bewusst wie jetzt, schon gar nicht lange Sätze miteinander ausgetauscht. „Ren-kun. Alles in Ordnung bei dir? Was gibt es?" Er schaut verwundert auf seine Uhr und dann wieder mich an. „Ich wollte zu Haru. Die Jungs haben Hunger und fangen schon an zu kochen. Ich wollte ihn dazu holen." Ich schaue mich um. Mehrere Gäste gucken mich an, als sei ich irgendetwas Besonderes. Ich fühle mich unbehaglich. Ich versuche die Blicke zu ignorieren und widme mich wieder Kiyoka. „Wo finde ich ihn?"
„Ähh. Bei dir Zuhause? Haru ist pünktlich raus gekommen? Er muss schon über eine Stunde bei euch sein?" Kiyo guckt wieder erstaunt. „Er hat den Müll rausgebracht und ist direkt zu euch rüber, Kleiner."

Ein schwarzes Pochen macht sich breit. Mein Herz schlägt schneller, scheint aber gleichzeitig wie abgeschnürt und stehengeblieben zu sein. „Er ist nicht da.", flüstere ich kaum hörbar. So leise, das ich nicht weiß, ob ich es gesagt oder gedacht habe. „Hmm?" Er hakt nach und berührt meine Schulter leicht. Er bückt sich zu mir hinunter und versucht mir ins Gesicht zu schauen.
„Ren?"
„Er ist nicht da."
„Na vielleicht ist er einkaufen gegangen. Ruf ihn doch an?"
„Ja. Mache ich."
Ich bleibe wie versteinert stehen. Meine Aura muss besorgniserregend sein. Die Blicke zu mir verdichten sich in einer unangenehmen Weise. „Komm, wir gehen mal eben nach nebenan." Kiyoka zerrt mich in den Pausenraum. Weg von den Blicken. „Man man, was reagierst du denn so komisch?"

„Ich habe eben eine Verbindung zu ihm. Mir geht es schlecht. Sehr schlecht. Irgendetwas stimmt nicht. Es ist wie damals. Nach seinem Unfall. Irgendetwas stimmt nicht. Es ist eben eine Verbindung da. Wie nach dem Unfall."
„Mein Gott, setz' dich. Das kann man ja nicht mit angucken. Der Verrückte Haru bereitet bestimmt irgendwelchen Kitschkram für dich vor. Ich rufe ihn eben an und sage ihm, sein Spielzeug sei kaputt. Dann kommt er sicher angaloppiert – wie immer." Er tätschelt mir den Kopf. Kiyo geht nach nebenan. Er versucht witzig zu sein und die Stimmung zu lockern. Aber er kennt Haru noch länger als ich. Das er einen Schritt schneller als sonst geht, hat er nicht bemerkt – ich schon.

„Kein Anschluss unter dieser Nummer.", murmelt er leise.

„Kiyoka-san?" Shimas Stimme.
„Shima-kun. Hi." Kiyo begrüßt ihn, als er die Schwingtür herein kommt. Sein Blick bleibt allerdings auf seinem Handy. „Ist alles ok? Wo bleibt ihr denn alle?"
Shima kommt geradewegs auf mich zu. Aki kommt auch durch die Schwingtür. Er hält sich den Bauch und guckt genervt, geht einen Schritt zurück und folgt dem Geruch aus der Küche. „Kiyoooooo ich geh nur gucken, versprochen." Kiyo ignoriert Aki vollkommen und drückt weiterhin ein paar Knöpfe auf seinem Handy. Die Sounds von der Karaokemaschine, die quietschend durch den Flur jagen, passen zur Stimmung. „'Tschuldigung..." kommt es durchs Mikrofon und erreicht auch unseren Raum.

Kiyoka telefoniert. Er hat nebenbei sein Maid-Kostüm abgelegt und trägt nur noch eine blaue Bluse und eine schwarze enge Hose an. Die Haare hat er sich mit einem Rüschen-Zopfgummi zu einem wallenden Pferdeschwanz gebunden. Er sieht allerdings überhaupt nicht weiblich aus. Er ist gerade ganz er selbst. Seiji mit Kiyoka-Körper. Sein Blick ist besorgt. „Iku. Könntest du nochmal arbeiten kommen und mich eben ablösen? Ich kann das Café mit den zwei Bedienungen und dem Tonmann nicht alleine lassen. Ja..., ja.... Nein ich habe kurz etwas zu tun. Ja... Ist wirklich wichtig. Danke Schätzchen." Er legt auf.
„Kann mich einer aufklären?" Shima guckt besorgt und tätschelt mir auch auf dem Kopf herum.

„Wo war er zuletzt? Im Hinterhof, richtig?" Ich stehe abrupt auf und gehe schnellen Schrittes in Richtung Nebenausgang. Das Licht geht an. Ich starre direkt auf sein Handy. Es liegt direkt in der Mitte meines Blickfeldes. Es sticht sofort ins Auge. Mein Blick ruht auf dem Handy. Mir wird schwarz vor Augen und ich sacke zusammen.

„Ren. Ren, wach auf." Shima hält meine Schulter. Ich liege auf der Bank im Pausenraum. „Haru."
„Ren, beruhige dich erst einmal." Shima guckt besorgt. Aki sitzt mir gegenüber. Kiyo läuft hin und her, unterhält sich mich einem Mann in blauer Uniform. War ich bewusstlos? Wie lange? Der Anblick bohrt sich erneut in mein Gedächtnis.

Regen. Harus Handy auf dem Boden. Blut. Rotes Blut, welches an der Mülltonne klebt. Weggeschwemmtes Blut Richtung Abfluss. Blut am Mülltonnendeckel, welches nicht vom Regen erfasst wurde. Regen. Harus Handy. Dieses Handy. Sein Handy. Sein Blut. Ich lehne mich über den Boden und erbreche erbärmlich alles Leben aus mir heraus. „Mein Gott Ren!! Shima klopft mir auf den Rücken und streift kurz über meine Schulterblätter.
„Geht schon.", sage ich und wundere mich, dass dort ein perfekt platzierter Eimer steht. „Wow.", kommt es aus mir heraus. Außerdem mag ich seine Berührung nicht.

Der Polizist setzt sich zu uns. Er stellt uns jede Menge Fragen und nimmt von jedem die Personalien auf. Er fragt uns alles erdenkliche. Wann wir wo waren, wann wir was zuletzt gesehen haben, was wir wann zuletzt besprochen oder gemailt haben, wie die Pläne für den Tag aussahen, ob irgendetwas verdächtig gewesen wäre, ob uns etwas aufgefallen ist... Es prasselt einfach alles auf mich nieder. Es war so unfassbar viel passiert. Es fällt mir schwer, etwas klares und brauchbares herauszufiltern. Kiyo hat alle Gäste nach Hause geschickt. Ikuyoshi sitzt einen Tisch weiter und weint. Aki fängt nach einer kurzen Pause an zu reden.

„Ich weiß nicht, ob es was hilft, aber wir Brüder hatten vor kurzem Streit... Naja nicht Streit... Was heißt Streit?" Er wirkt auf einmal sichtlich nervös. „Shima und ich waren bei einem Freund und auch eine gemeinsame Freundin war da. Yuna Kobayashi. Ich... naja ich bin in sie verliebt. Oder bin es zumindest gewesen. Wir haben uns gut verstanden und alles. Aber sie wollte nur an mich herankommen, weil sie in Wirklichkeit nur an Haru interessiert war. Ihre Familie hat sogar eine offizielle Heiratsanfrage verfasst und um ein Treffen gebeten." Er sieht unglaublich traurig aus.

Das höre ich alles zum ersten Mal!

„Sie ist die jüngste Schwester von zwei Ex-Kundinnen aus Harus altem Job als Host. Die zwei waren immer etwas... schwierig. Er hat nichts mehr mit den beiden zu tun, aber man weiß ja nie..."
„Stimmt.", wirft Iku ein. „Wir haben zusammen dort gearbeitet. Sie haben sich mehr als alle anderen Kunden an Haru interessiert. Sie waren teilweise total aufdringlich." Iku schluchzt tief.
Ich habe keine Tränen. Ich bin leer. Tot. Ich höre zu, aber es ist für mich nicht zu fassen. Nicht echt. Ich kenne diese Gefühle.

„Okay. Also das hilft. Alles hilft in solchen Fällen.", sagt der junge Polizist dazu. Er nickt und hat fleißig mitgeschrieben. „Haben Sie eine Anschrift, Sasaki-san?" Der Polizist guckt Iku erwartungsvoll an. „Nein, tut mir leid." Mein Herz stirbt ein weiteres Mal. „Naja, macht nichts. Ich kann das abfragen, es hätte nur Zeit gespart." Einen Funkspruch später, meldet sich Kiyo auch zu Wort.
„Die Koba-Schwestern waren in letzter Zeit häufiger hier, ehrlich gesagt. Aber eine Yuna... Ich kenne sie gar nicht. Ich wusste nicht einmal, dass die beiden eine Schwester haben." „Wann denn?", fragt Iku.
„Die beiden waren in unserer Schicht öfters mal da. Meistens haben sie Haru verpasst, wenn er mit Ren Pause gemacht hat oder frei hatte. Eigentlich haben sie ihn nie gesehen."
Shima streicht wieder über meine Schulter.

„Sich nur auf diese Personen zu beziehen ist verkehrt. Gab es sonst noch Auffälligkeiten?", fragt der Polizist weiter. „Ja!" Ikuyoshi. Mein Herz atmet etwas auf. Hoffnung. „Da war gestern ein voll komischer Typ im Café. Er war fast den ganzen Tag anwesend. Er hatte sehr teure Sachen an, hatte ausländischen Kram und seinen Laptop auf dem kleinen Tisch ausgebreitet. Er war klein und älter. Er hat Haru angestarrt und beobachtet. Glaube ich. Also ich habe es so gedeutet." Was? Was ist denn nur los?

Das ich mich eben aufgerafft und mich hingesetzt habe, bereue ich gerade zutiefst. Ich könnte wieder brechen... Ich bin so machtlos!!! Die anderen wissen alle mehr. Sie können alle mehr helfen. Ich sitze hier, kann zu all dem nichts beitragen und bin auch noch der, der überreagiert und zusammenbricht und sich in einen Eimer übergibt. Und dieses Schultertatschen. Ich bin so wütend. Ich kann nichts tun!! Wo ist Haru? Wieso ist da draußen Blut?? Was ist mit ihm?
„Shima!!" Ich schreie ihn an. „Hör auf damit! Ich meine es ernst. FASS MICH NICHT AN!!" Ich raste gleich vollkommen aus. Noch ein Schultertätscheln oder übers Haar streicheln und ich hau ihm eine rein.
Alle sind still und gucken zu mir. „Entschuldige." Shima duckt sich etwas und rutscht etwas von mir weg.
„Ich bin auch nur nervös." Er geht ganz von mir weg und setzt sich zu Aki auf die Bank. Die Luft in diesem Raum ist zum zerreißen gespannt.

Aki funkelt mich an. „Reiß dich zusammen. Er ist >unser< Bruder. Wenn einer ausrastet, dann wir." Nur Kiyoka bekommt das Gespräch mit. Iku ist mit dem Polizist nach nebenan gegangen, um ihm den Tisch zu zeigen, an dem der Gast saß. „Ihr solltet euch alle zusammenreißen. Du! Du hörst auf ihn anzugrapschen, du hörst auf ein Eifersuchtsdrama zu starten und du hörst auf zu kotzen und auszuflippen. Alles klar? Wir reißen und jetzt alle mal zusammen. Ihr seid eine Familie. Haru ist Rens Freund. Ist doch klar, dass er auch am Schlappen dreht. Ruhe jetzt." Er spricht nacheinander Shima, Aki und mich an. Er sieht zornig aus. Und er hat Recht. Dieser zornige Flüsterton hat ihm Halsschmerzen bereitet. Er nippt aus einem Glas Wasser.

„Gut, also.. Takamori-san. Sie sind der Älteste hier. Bitte bleiben Sie zusammen. Wir halten Sie alle auf dem Laufenden. Wir fahren jetzt zum Hause der Kobayashi Familie. Das ist unser einziger Anhaltspunkt. Bitte versuchen Sie ruhig zu bleiben. Falls Sie etwas vom vermissten Kaidô-san hören, melden Sie sich bitte unter dieser Nummer." Der Poizist überreicht Kiyo ein kleines Kärtchen – Kommissar Shougo und eine Nummer. Das wars? Warten? Nein. Nein, nein, nein.... Nein. Haru... nein...
„Äh ich gehe eben zur Toilette. Tut mir Leid.", sage ich zu allen im Raum ohne jemanden anzugucken. Nein... ich warte nicht. Ich mogel mich an dem Polizisten vorbei und laufe im schnellen Schritt den Flur entlang, raus aus dem Café. Da ist es, das Polizeiauto.

Der zweite Polizist, ein älterer und kleiner Mann, steht mit seinem Handy und mit dem Rücken zu mir und raucht. Die Tür des Wagens steht etwas offen. Ich klettere in den Wagen, über die Mittelkonsole nach hinten und verstecke mich hinter dem Beifahrersitz. Mein Herz rast. Es schlägt so schnell, dass es sich wieder anfühlt, als würde ich Leben. Meine geringe Größe kommt mir zu Gute. Die geringe Größe des Beifahrers ebenfalls. Der Sitz ist so weit vorne, das ich eine perfekte Mulde zum verstecken habe. Leise sein. Ruhig atmen. Sich tot stellen. Dinge, die ich beherrsche. Dinge, die ich erlernt habe. Dinge, mit denen ich aufgewachsen bin, Dinge, weswegen ich im Heim überlebt habe. Dinge, die ich nicht mehr brauchte, als ich zu Haruko kam. Dinge, die ich verlernt habe, als ich zu Haru kam. Ich versuche mich zu beruhigen. Instinkte, denke ich mir. Wie bei den Hunden. Solche Sachen vergisst man nicht. Ich versuche mein Selbstbewusstsein zu regenerieren. Ich falte meine Hände zusammen und wippe etwas auf und ab. Ich muss zu ihm. Ich muss ihn finden. Ich muss dabei sein. Ich muss zu ihm!!!
Es ist noch kein Polizist zu sehen. Ich tippe eine Mail an Shima. Er solle sich keine Sorgen machen, ich sei mit der Polizei mitgefahren. Mir wäre noch etwas eingefallen, weshalb ich mitkommen sollte. Blabla, liebe Grüße. Ren. Erst abschicken, wenn wir losfahren, denke ich mir.

Ich erschrecke nicht hörbar, als die Männer einsteigen und drücke auf senden.

„Was glaubst du, ist der abgehauen?", meint der rauchende Polizist.
„Nein glaube ich nicht, da war Blut am Tatort. Ich bezweifle stark, dass er sich so eine Wunde, die dem Blutverlust entspricht, selbst zugefügt hat. Die Familie machte auch nicht den Eindruck, als würde man von ihr weglaufen wollen.", erwidert Kommissar Shougo. „Man weiß aber nie, er ist ein hart arbeitender Mittzwanziger, der sich um drei Brüder kümmern und mit Ihnen zusammenleben muss. Er hat keine Freundin und tut alles für seine Familie. Vielleicht ist er durchgedreht? Beide Elternteile sind tot. Aber... vielleicht ja auch nicht. Wir müssen alles in Betracht ziehen. Deshalb klappern wir nun die Anhaltspunkte ab."
„Ich hatte um 22 Uhr Feierabend. Tja, das wird wohl nichts mehr."
„Ne, nicht wirklich."

Zwei noch motiviertere Polizisten hätten es auch nicht sein können, denke ich mir. Ist denn keine Gefahr im Verzug? Weil man Blut gefunden hat? Wieso sind alle so gelassen? Ich weiß, dass etwas nicht stimmt!!! Ich fühle es. Ich bin so wütend gerade. Ich hatte noch nie Erfahrung mit der Polizei. Ich dachte aber, man würde eine Fahndung ausstellen, eine Vermisstenanzeige schreiben, mehrere Polizisten würden die Umgebung absuchen, die Spurensicherung würde kommen... und was ist? Zwei Männer. Einer stellt Fragen, der andere macht Fotos und guckt etwas herum, spielt dann an seinem Handy und raucht. Leise Tränen rinnen meine Wange herunter. Ich habe Angst. Ich bin wütend. Ich bin tot – im Wechsel.

Nach gefühlten dreißig oder vierzig Minuten Fahrt, halten wir an einem edlen, weiß angestrichenem Haus. Es ist keine Villa, aber es ist schön, groß und gepflegt. Die zwei Männer steigen aus und ich gucke Ihnen hinter her. Irgendwie kommt mir das Haus bekannt vor. Als hätte ich es schon einmal gesehen.
Die Polizisten machen vor dem Zaun, die den Weg zur Auffahrt versperren, halt. Sie klingeln.
„Ja?" Eine Stimme ertönt aus dem Summer der Gegensprechanlage. „Shougo und Inamori, von der Polizeistation Nakano. Wir haben ein paar Fragen. „Äh ja, ich komme runter."
Man kann gar nicht viel erkennen. Ein weiterer Zaun, komplett mit Steinen aufgefüllt, versperrt jegliche Sicht in den Innenhof und den womöglich dahinter liegenden Garten. Ein ungewöhnliches Haus.
Ein dicklicher Mann kommt aus dem einzigen Tor des Steinzauns und läuft den Polizisten entgegen. Licht geht in der Einfahrt an und enthüllt durch das offen stehende Tor, einen gepflegten Garten und einen Teil eines Pools. Eine schwarze Liege und eine Palme mit einem Flamingo-Stecker darin, kann man ebenfalls noch zur Hälfte erkennen. Mein Herz bleibt stehen. Ich kenne diese Szenerie. Ich weiß, wieso mir das bekannt vorkommt! Kiyokas DVD! Die Frau beim Sex. Es ist schon eine gefühlte Ewigkeit her, aber das war der Schauplatz der DVD! Ich bin mir zu 1000% sicher. Das kann doch kein Zufall sein. Was ist nur los??

„Guten Abend, entschuldigen Sie die Störung. Sind sie der Hausherr der Kobayashi Familie? Wir sind auf der Suche nach Kaidô Haru. Kennen Sie ihn?"
„Ne. Sorry. Sonst noch was?"
„Dürften wir vielleicht hineinkommen? Es muss ja nicht die ganze Nachbarschaft mitbekommen, oder?", versucht der Polizist ihn zu überzeugen.
„Ist mir egal. Was gibt es denn noch?", antwortet der dickliche Mann.
Das ist untypisch. Warum lässt er die Männer nicht hinein?
„Naja, uns ist zu Ohren gekommen, dass Sie ihm eine Heiratsanfrage, für ihre Tochter Yuna haben zukommen lassen. Ist das so richtig?"
„Achso, der Kaidô. Ich bin sauer. Er hat noch nicht geantwortet. Das ist extrem unhöflich. Er kann froh sein, dass er mit so einem Aussehen überhaupt Anfragen von ehrlichen und gut geführten japanischen Familien bekommt. Aber unsere Tochter Yuna hat viel Überzeugungsarbeit geleistet. Sie ist vernarrt in diesen unhöflichen Bastard." Er redet sich in Rage und macht hektische Handbewegungen, als würden die Polizisten jedes Wort nachvollziehen können und für richtig befinden.
„Nun, Kobayashi-san. Kaidô-san scheint entführt worden zu sein. Er ist nicht auffindbar. Wir haben keinen Durchsuchungsbefehl, aber wären sie eventuell so kooperativ und würden uns die Tür öffnen?"
„Ne. Also ich hab damit nichts zu tun und meine Türen muss ich für niemanden öffnen."

Mein Handy vibriert wieder. Shima. Es ist bestimmt das zweite oder dritte Mal. Aber ich drücke nur den Aus-Knopf und stopfe es in meine Hosentasche.

„Nun gut. Haben Sie eine Idee, welche uns über den Verbleib von Kaidô-san weiterhelfen könnte? Ist Ihnen etwas aufgefallen? Hat ihre Tochter etwas gesagt?"
Der zweite Polizist kommt zum Auto gelaufen und steigt ein.
„Ja, hier Inamori. Der Typ ist etwas komisch drauf, er will uns nicht herein lassen, kannst du uns Sonderrechte verschaffen?"
Er scheint wieder an seinem Handy zu sein und zu telefonieren. Ich habe mich wieder so klein gemacht wie es geht. „Geht das nicht schneller? Ja, ich hab das Fax schon aufgebaut, es steht im Kofferraum. Ja... Aber beeile dich bitte." Eine kleine Pause. „Vielleicht ist der wirklich hier. Der Hausherr ist wütend auf ihn, da er sich noch nicht bezüglich der Heiratsanfrage gemeldet hat. Ja. Ich finde schon, das es ein Motiv sein könnte. Was weiß ich denn? Es gibt genug Irre hier in diesem Land. Ja, wir melden uns. Wie lange denn? Ja okay." Er legt auf. Die Minuten ziehen sich wie Kaugummi. Ich konnte nichts vom anderen Gesprächspartner hören. Als er wieder zum Zaun geht, gucke ich ihm wieder nach.

„Kobayashi-san. In ca. zwanzig Minuten erhalten wir eine richterliche Erlaubnis, ihr Grundstück zu betreten. Sie sind unser einziger Anhaltspunkt und es ist Gefahr in Verzug. Lassen Sie uns bitte hinein und kooperieren Sie. Es hat doch eh keinen Sinn mehr."
„Nein danke, ich will erst einmal ihr Zettelchen sehen, bevor hier irgendjemand meine Unschuld beschmutzt. Ich weiß von nichts und ich habe nichts damit zu tun. Ich lasse mein Grundstück nicht mit dahergezogenen Verdachtsmomenten beflecken." Er dreht den Polizisten den Rücken zu und verschwindet hinter dem Steinzaun. Shougo seufzt. „Ich hasse so etwas."
Ich seufze auch. Ich kann wieder einmal nichts tun. Panik macht sich in mit breit. Was passiert gerade mit Haru in diesem Moment? Ich habe Angst. Unglaubliche Angst. Und ich bin so unglaublich wütend. Und wenn er gar nicht hier ist? Dann ist alles umsonst. Wichtige Zeit, die verloren geht.

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Hochgeladen am 26.06.16
Nächstes Mal: Sturm und Parallelen

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