23. Sturm und Parallelen

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Haru

Die Hitze brennt nach. Ja, mein ganzer Rücken brennt. Was will er von mir?
Akito, wenn es sein echter Name ist, hat keine Maske auf. Ich kenne ja auch sein Gesicht. Ich verstehe nichts mehr.
Ich wurde von den zwei anderen Männern hingesetzt. Ich lehne nun an die dreckige Wand, immer noch mit verbundenen Händen und zugetapetem Mund.

„Das ist alles deine Schuld, Alien-Auge. Dein hässliches und widerwärtiges Aussehen ist Schuld. Du hast mich betrogen. Ich werde das rückgängig machen... Und wenn du einfach verschwunden bist, wird man dich vergessen und alles kann seinen geplanten Lauf nehmen."
Ich versuche ihn anzuschreien, das ich nichts verstehe, von dem, was er sagt. Aber mein Versuch ruft lediglich wieder den Würgereiz hervor.
„Versuche gar nicht erst, nach Hilfe zu schreien. Das hört sowieso niemand! Du fragst dich wo wir sind, was? In einem alten Bunker. Unter einem Gartenhaus. Weit weg von deiner Wohngegend. Mach' dich also nicht lächerlich mit deinem Gepruste."

Er läuft auf und ab. Er hat immer noch die gleiche Hose, die gleichen Schuhe und das gleiche Jacket an, wie vor kurzem, als er bei mir im Café war. Er schlägt mit einer Rolle Einwickelfolie auf seine Hand, während er geht. Wie ein Tiger im Käfig. Seine Manschettenknöpfe sind noch von meinem Blut rot verschmiert. Es ist eingetrocknet.

Ich muss furchtbar aussehen, ich spüre wie mir die Nase und die Tränen laufen. Größtenteils, wegen des Erstickungsgefühls. Ich weiß nicht, wie lange sich mein Bewusstsein noch aufrecht erhalten kann. Und zum anderen... Ren... Ren es tut mir so leid. Er macht sich bestimmt Sorgen. Wir kennen uns so gut. Einfach zu gehen oder zu verschwinden passt nicht zu mir. Aki, Shima... Ob sie vielleicht sogar die Polizei verständigt haben? Vielleicht hat meine Wunde ja eine Spur hinterlassen?

„Du reißt alles an dich, Alien-Fresse. Dein Café, deine Brüder, deine Gäste, deine alten Gäste, deine alten Arbeitskollegen, ja sogar deine alten Schulkumpel. Alle schwirren um dich herum, du im Zentrum."
Mein Blick wird dunkler. Ich versuche nach ihm zu treten.
„Ja, natürlich. Ich habe mir dein Umfeld genau angeguckt. Mich gefragt was sie an dir findet. Ich habe sogar mit jedem gesprochen! Haha! Du hast wohl nichts davon bemerkt! Eigentlich wollte ich dich gestern schon schnappen. Aber es hat nicht so funktioniert, wie ich es wollte."
Er läuft weiter auf und ab. Es knallt mehrfach heftig draußen. Es muss angefangen haben, zu gewittern und zu stürmen. Er kommt näher zu mir und streichelt mir mit der Folienrolle das Gesicht. Ganz zart. Dann geht er wieder. Ich atme schwer aus. Tränen laufen mir weiterhin das Gesicht herunter. Ren...
Er hat auch mit Ren geredet? Gott sei Dank hat er mich genommen und nicht ihn. Mach mit mir, was du willst. Hauptsache Ren ist zuhause und gesund.
„Diese eine Tunte musste ich vor zwei oder drei Monaten, mit einem unserer Pornos auf einer Medien-Messe bestechen. Ich hab ihn umgarnt und ihm Gratismaterial mitgegeben. Erst dann wurde er redseliger. So habe ich rausbekommen, wie eure Schichten so geplant sind. 'Wann hast du denn immer Zeit, dir so etwas anzuschauen?' oder 'Komm, nimm diese Gratis-DVD, dann nimm dir doch abends mal Zeit und gucke dir unser Werk an. Empfehle uns weiter...' Blablabla!! Haha und er verneinte noch 'Nein, abends bin ich arbeiten und löse meinen Chef ab.' Haha!"
Er äfft Kiyos Stimme nach und macht seine typische Haltung nach, wenn er den Arm in die Taille hakt und einfach Kiyo-mäßig dasteht. Was habe ich diesem Akito nur getan?

„Dumme Leute haben dumme Freunde."
Er kommt direkt auf mich zu und holt aus. Mit voller Wucht schlägt er mit der Folienrolle auf mich ein. Mein Kopf schnellt nach rechts gegen die Wand.
„Mhh.. ngh.. Mahhhaaa..."
„Wie süß.", kommentiert er mich.
Der Schlag und seine Laune kam so schnell, das ich nicht einmal ausweichen konnte. Meine Nase fühlt sich von innen nass an und kleine rote Punkte tropfen auf meine Hose.

Ich versuche alles auszuhalten. Das Gewitter knallt weiter und weiter. Einer der Männer geht nach oben. Der andere bleibt in der Tür stehen. Mit dem Rücken zu uns.

„Na, sagt dir das was?" Er hält mir ein Papier vor die Nase – die Heiratsanfrage von Yunas Eltern.
„Ich habe alles verloren. Meinen Job. Meine Wohnung. Alles. Yuna-tan war mir versprochen! MIR! Wegen nur eines schlechten Aktienhandels, verliere ich alles. Schlage mich seit Monaten in diesem Loch herum und verdiene etwas Geld durch Pornos, wenn mein Schwager und meine verschissene Schwester nicht da sind! Ich bin in deren Augen so ein Abschaum, dass sie nicht einmal hier her kommen. All dies... spielt sich nur 20 Meter weiter ab. Die sitzen bestimmt mit ihren drei schäbigen Kindern am Tisch und essen. Mein Schwager frisst wahrscheinlich gerade einen Fisch nach dem anderen. Bevor ich ihn umbringen kann, platzt er womöglich!! HAHA!!"
Er redet mittlerweile nicht mehr mit mir, sondern gestikuliert die Wand und eines der Frauenposter an. Er ist also Yunas eingeheirateter Onkel? Und er ist wütend, weil die Koba-Familie mich als Mann für sie haben wollte? Er tritt wütend einen Karton um und ich versteinere. Eine Pistole kommt zum Vorschein. Oh mein Gott.

„Ja guck nur! Dein Schicksal muss dir doch schon seit der Mülltonne klar sein!!! Ich werde diese ganze scheiß' Familie auslöschen. Yuna-tan lasse ich natürlich am leben. Sie gehört mir, das ist ja klar."
Er fängt an zu lachen. Laut. Wahnsinnig.
„Eh Boss. Nachher hört uns einer.", meint Uyeda. Kurz darauf bekommt er ebenfalls einen Schlag mit der Rolle. Er fällt zu Boden und Akito schreit ihn an. „Was habe ich eben gesagt??? Wie redest du mit mir? Du bist ja nicht ganz bei Sinnen!"
Er guckt sich Uyeda an und neigt seinen Kopf zur Seite, wie ein aufmerksamer Hund, dem man Sitz und Platz beibringen will. Als Akitos Denkprozess zu Ende ist, fängt er erst leise und dann wieder laut an zu lachen. Er ist so unvorhersehbar wie das Wetter und der Sturm draußen. Er ist unberechenbar.

„Weißt du Alien-Fresse, ich habe diese zwei Idioten aus der Zeitung! Ja ehrlich! Ich habe eine Annonce geschrieben, das ich zwei Männer für Heimvideos und mehr suche. Wer meldet sich denn auf sowas? WER MELDET SICH DENN AUF SOWAS!! Hahahahahaha." Ich bekomme Angst. Er ist völlig wahnsinnig.
„Ich suche mir besoffene Weiber, drehe mit ihnen Filme, brenne sie auf DVD und verdiene sogar Geld. Wie irre ist das denn bitte? Und die zwei sind auch noch so hohl, dass sie mir bei deiner Entführung und Ermordung helfen wollen. Für mein Geld. Für Papierscheine. Wie irre ist das? Sie haben sogar die Folie ausgelegt. Wie irre!" Er setzt sich auf die Sofalehne.

Jemand kommt die Treppe herunter gerannt.
„Akito-dono. Da sind zwei Polizisten... Ich habe sie mit Koba-san reden hören. Einer klettert gerade über den Zaun! Was sollen wir tun?"

Akitos Augen weiten sich. Ich kann seinen Blick nicht deuten. Er starrt wieder in den Raum, wie ein Hund. „Ich habe nicht viel hören kommen. Ich wollte sofort bescheid sagen." Akitos Blick wird ganz sanft.

„Sie hassen mich so sehr, dass sie niemals von mir erzählen oder herkommen würden."
„Was, wenn sie einen Durchsuchungsbefehl haben?" „Wir bringen das einfach schnell zu Ende und dann gehen wir."
„Und was ist mit der Koba-Familie?", fragt er wieder. Er kommt auf mich zu, guckt aber weiterhin zur Treppe. „Halt dein Maul. Bitte. Würdest du das tun? GEHT DAS IN ORDNUNG FÜR DICH???" Er schaut zu mir.

„Duuu... das ist deine Schuld." Er schlägt mich mit der Folienrolle. Mehrfach.
Ich versuche meinen Kopf auszuschalten und ihm auszuweichen. So gut es geht. Es gelingt mir halbwegs und mit etwas Mut gebe ich alles, und trete ihn, so fest ich kann. Er fällt auf den Boden und schlägt dem Kinn und der Nase auf, die daraufhin sofort anfängt zu bluten. Ich trete noch einmal nach. Nochmal.... doch die zwei Männer zerren mich weg von ihm. Akito richtet sich auf. Und er schlägt ein weiteres Mal auf mich ein.
Mir wird schwarz vor Augen und ich drifte weg.

Ren... deine Stimme! Bist du da? Kann ich nun zu dir kommen? Es tut mir so Leid.

Ren

Der Regen hat sich in ein Gewitter verwandelt.
Die Wartezeit auf das Fax ist unendlich lang. Ich sitze zusammengekauert hinter dem Sitz. Die zwei Polizisten unterhalten sich über Gott und die Welt. Aber nicht über Haru. Ich weine leise. So leise, dass ich die Tränen nur die Wange herunterlaufen spüre. Es ist nicht so, dass ich weine, weil ich traurig oder wütend bin, oder weil ich Angst habe... es passiert einfach, ich kann nichts dagegen tun. Ich kann es nicht steuern.

Ein Funkspruch kommt herein, aber ich kann nicht viel verstehen, über was geredet wird, da ich so in meinen Gedanken vertieft bin. Mist. Konzentration!
„Zugriff."
„Alles klar."

Die beiden Polizisten gehen zum Tor, warten, klingeln erneut. Als keiner der Bewohner Anstalten macht, zu kommen, klettern die beiden kurzerhand über den Zaun und laufen mit der Hand an der Waffe Richtung Steinzaun.
Ein kleines Lächeln huscht mir über die Lippen, ich zucke aber direkt wieder zusammen, als ein gewaltiger Gewitterknall über uns sein Bestes gibt. Meine Nerven sind bis ans Äußerste gespannt und ich komme zurück in die Realität.
Was soll ich nun tun? Warten? Ich schleiche mich mit und schaffe es, so verwunderlich meine Idee auch war, mich tatsächlich hinter einem Beifahrersitz zu verstecken? Und will nun warten? Nein...
Das geht nicht.
Ich steige aus.

Über den Zaun zu klettern ist eine meiner leichtesten Übungen. Ich schleiche Ihnen hinterher. Innerhalb Sekunden bin ich nass. Der Wind peitscht die Tropfen in mein Gesicht. Aber es ist gut – so bin ich wachsam und voll da. Irgendwie kommt mir es wie in einem Film vor. Allerdings viel erbärmlicher und beschissener. Nicht spannend, nicht spaßig, nicht witzig... Es ist kalt, es ist nass, es ist unfassbar schrecklich. Haru...

Das Steinzauntor ist geöffnet. Die beiden Polizisten gehen hindurch und laufen auf die Eingangstür zu. Man kann Kobayashi-san gerade noch sehen, wie er missmutig die Gardine zuzieht. Was denkt er denn? Dass er sich verstecken kann? Der Türsprecher ertönt und weitere sinnlose Erklärungen von Rechtschaffenheit und Unschuldszerstörung schallen durch den Lautsprecher der Anlage. Die Polizisten haben sich etwas entspannt, stehen nun vor der Tür und gucken sich genervt und fragwürdig an.

Dieser Garten und der Pool, diese Terrasse. Es ekelt mich an. Ich erinnere mich an die Pornoszene. Mich schüttelt es, jetzt, wo die Fantasie reale Bilder bekommt, die sich mit meiner Angst und meinem Befinden vermischen.
Je nach dem, wie der Wind sich verhält, kann ich die Polizisten mal weniger und mal mehr verstehen. Sie diskutieren über rechtliche Beschaffenheiten, als ich einen Knall höre, der nicht zum Gewitter passt.
Es kam von weiter hinter mir, es war näher, als das Gewitter. Es war ein Knall, der sich in meiner Magengegend wiederfindet. Es war kein Knall, wo man denkt, dass etwas durch den Sturm umgefallen ist. Es war so ein Knall, wo man denkt, dass etwas schlimmes passiert.
Als ich mich umdrehe, starre ich auf ein kleines, weißes Gartenhäuschen, in dem ein schleierhaftes Lichtlein brennt. Es zieht mich fast magisch an. Ich kann meinen Blick nicht abwenden.

Wie in Trance gehe ich darauf zu. Ungedeckt, aufrecht.
„Ey! Stehen bleiben! Wer ist da?!" Shougos Stimme.
Keine 30 Meter trennen uns. Natürlich sieht er mich. Bestimmt sogar, erkennt er den sich übergebenen, kleinen Jungen aus dem Café. Die Gartendekoration, die mich gerade noch versteckt gehalten hat, reicht nicht mehr. Ich reagiere nicht. Mein Bauch. Haru. Ich gehe weiter, sollen die doch diskutieren.
„Hallo! Stop! Keine Bewegung!" Ich glaube, er kommt mir hinterher.

Als ich an der Tür stehe, will ich sie öffnen, doch sie ist nicht einmal komplett ins Schloss gefallen. Hier ist jemand. Ganz sicher.

„Haru!!!! Haru bist du hier? Haru!!" Ich schreie. Ich weiß nicht wieso. Ich rufe ihn. Ich kann nichts dagegen tun. Es kommt einfach aus mir heraus. „Hier ist jemand! Shougo-san! Hier ist jemand!!!" Ich schreie zu dem Polizisten hinter mir. Wende meinen Blick aber nicht ab. Ich schreie quasi in das Gartenhaus hinein.
Eine kleine Treppe bereitet den Weg in einen Keller. Fußspuren - frische und nasse Spuren. Ich blicke wie gebannt dorthin.

„Haru!!?"


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Hochgeladen am 01.07.16
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