Im Hier und Jetzt schaut Ren mich durchdringend an. Sein Blick ist ernst und doch traurig. Er nimmt meine Hand.
„Haru, ich habe dich noch nie so weinen gesehen... es tut mir Leid dich so zu sehen. Was ist denn los? Sprich' doch bitte endlich alles aus. Was soll das denn? Es kann doch nicht so weiter gehen. Bist du bereit, endlich Klartext mit mir zu sprechen?"
„Ab hier gibt es verschiedene Wege, ich weiß nicht recht, was ich tun soll." , sage ich ruhig zu ihm zurück aber ohne ihn anzuschauen.
„Unsere Situation ist komplizierter als ich dir bislang immer gesagt habe, obwohl ich dich nie angelogen habe. Ich habe nur Teile verschwiegen. Homosexualität ist in der Gesellschaft noch nicht so akzeptiert, wie man es sich wünscht. Auch wenn man schon viele gute Fortschritte in den Medien sieht, sind hier - und auch gerade in Japan, immer noch sehr viele Menschen konservativ und es gibt in manchen Regionen sogar, so absurd und schlimm das klingt, harte Strafen. Viele sind sehr religiös und glauben ausschließlich an das eine Modell: an Mann und Frau. Egal welcher Religion zugehörig. Das färbt tief in die Politik hinein..."
Ich schaue ihn an. Sanfter und verzweifelter. Er hingegen ist still und aufmerksam. Auch in meinen Pausen lässt er mir die Zeit, Worte zu formulieren ohne mich zu unterbrechen.
„Wir haben schon den Vorteil, ausländisch zu sein und auch auszusehen. Man guckt schneller über uns hinweg, als wären wir komplett japanischer Natur. Das Problem ist zudem, das du wirklich ausgesprochen jung aussiehst, Ren. Für Jugendliche ist es in dem Alter normal, Erfahrungen zu machen, den ersten Kuss zu haben, auf Dates zu gehen, sich zu verlieben. Aber dann gibt es wieder unseren Alterunterschied... Ist es verwerflich? Oder nicht? Dein jetziges kindliches Aussehen in Kombination mit mir, lässt es aber erscheinen, als wäre ich wirklich auf ein Kind aus. Ich bin halt groß geraten... Und dann noch zwei Männer!" Ich raufe mir die Haare, streiche sie hinter meine Ohren und massiere angestrengt meine Schläfen.
„Ich bin aber kein Kind. Und du doch kein Kinderschänder? Was soll das, Haru?!" Ich lache angewidert auf.
„Ja sicher, aber stell dir vor, wir wären jetzt öffentlich zusammen. Sieht das der Fremde aus der Ferne, der uns beobachtet auch so? Die Mutter auf dem Spielplatz, die uns aus dem Augenwinkel sieht... generell die Öffentlichkeit? Der Polizist, der uns beim Eis essen gehen sieht? Die werden das sicher nicht so sehen. Wir können hier irgendwie gar kein normales Dating-Leben, wie ich mir es für dich wünschen würde, leben! Ich nehme dir das alles weg?! Siehst du das nicht?"
Man ich bin wirklich verzweifelt und die Tränen laufen.
Wo ich sonst schnell gute Worte finde, bin ich hier total durcheinander und im Chaos.
„Sie könnten mir dich wegnehmen, Ren! Weil du minderjährig bist! Wenn ich 16 oder 17 wäre, wäre es vielleicht dann immer noch kein Problem, aber ich bin deine rechtlich eingetragene Bezugsperson und Aufsichtsperson - und viel älter! Ich habe quasi das Sorgerecht für dich, wir sind eingetragene Brüder! Es ist mir gesetzlich verboten, sexuelle Handlungen mit dir auszuüben, da du mein Schutzbefohlener bist. In manchen Ländern könnte ich dafür ins Gefängnis gehen. Und mit den sexuellen Handlungen... Was sowieso komplett skurril ist, weil wir dann ja immer noch "Brüder" sind. Was ist dann, wenn der Fall eintritt uns jemand beobachtet und die Jugendaufsicht und die Ämter kontaktiert? Ich bin Geschäftsführer eines gut laufenden Cafés, ich war Host im Club damals. Es ist ja nicht so, als würde mich hier keiner kennen.
Dann, was es noch komplizierter macht, Ren... ich kenne dich seit dem du acht bist, wir haben alles zusammen gemacht. Und eine Zeit lang war ich wirklich dein Bruder. Du warst immer anders als Aki und Shima für mich. Ein Seelenverwandter... vielleicht kann man es so sagen. Seit du mir damals in die Augen geschaut hast, habe ich dich immer als was Besonderes angesehen. Ich wollte zwar immer das sein, für was du mich brauchst..., aber es war trotzdem immer mehr auf meiner Seite. Ich sollte mich dafür schämen! Auch wenn es keine sexuellen Gedanken waren, waren es doch sehr egoistische und einnehmende. Ich hätte nie geglaubt, das du mal so viel mehr für mich mehr empfinden könntest, als nur brüderliche Liebe. Keine Ahnung, wann sich das dann bei mir so bewusst gedreht hat, vielleicht damals im Bad. Aber kann ich mir das Recht rausnehmen, dir quasi deine Jugend zu nehmen? Deine ersten Erfahrungen... ja so ziemlich in allem? Sex? Ich habe die gesamte Verantwortung!"
Die Tränen laufen still, aber ohne Ende.
„Ren, wenn ich dich als meinen Partner wähle, verliere ich dich als Bruder und bekomme Ärger mit der Außenwelt. Wenn ich dich als meinen Bruder wähle, verliere ich dich als meinen Partner. Ich ertrage das alles nicht. Wenn ich dein Partner bin und deinen Bruder spiele bis du 18 bist, und wir dann öffentlich machen was wir wirklich sind, könnte ich dich in die Schande treiben. Ich hätte ja nicht nur alle angelogen, ich hätte dich quasi verführt und beeinflusst. Sexueller Missbrauch? Beeinflussung und Erpressung mit Liebe? Weil wir beide keine Familien haben? Ren! Und weil ich dir das alles sage! Du bist doch eigentlich viel zu jung, um dich mit solchen Problemen und Gedanken bürden zu müssen. Ich bin selbst so durcheinander und im Chaos... und ich weiß nicht weiter." Ich atme tief ein uns aus. „Und guck' mich doch an, wie verkorkst ich bin. Ich war mit Frauen zusammen, ja. Aber auch für mich ist das neu und vielleicht auch ein bisschen überwältigend solche Gefühle zu spüren... für einen Mann... und ehrlicherweise so unfassbar große Lust... wenn du bei mir bist. Ich denke nicht wirklich darüber nach ob Mann oder Frau. Du bist du. Aber im Kopf zu realisieren, dass man homosexuell ist, was ich laut jeder Faser meines Körpers zu sein scheine, ist auch nochmal eine Sache."
Meine Stimme bricht ständing, ich höre mich schrecklich an, mein Herz schlägt bis zum Hals. Es tut schon fast weh. Ren ist zu zerbrechlich für all mein Chaos. Ich hab es tatsächlich alles ausgesprochen, es gibt jetzt kein zurück mehr.
Diesamal schaut Ren mich mit Reh-Blick an, streichelt angestrengt meine Fingerknöchel auf dem Handrücken.
Eine lange Stille vergeht.
Es ist mittlerweile nach vier Uhr morgens. Man merkt, dass es draußen Morgen wird. Mich würde es nicht wundern, wenn Ren nun aufsteht und geht. Mach es schnell Ren, bitte... ich ertrage das Schweigen nicht. Lass mich sterben, dann ist es vorbei.
„Haru." Er löst sich von meiner Hand.
Er richtet sich auf und legt liebevoll einen Teil der Decke über mich. Er sitzt nun direkt hinter mir.
„Haru, was willst du? Ich hab dich gehört. Alles. Aber wenn du nun einen Wunsch hättest... unabhängig vom ganzen Chaos..."
Ich drehe mich um, das ist doch klar.
„Dich."
„Warum?" Wow. Er klingt kühl und abgeklärt, so erwachsen auf einmal.
„Weil ich dich liebe."
„Als was liebst du mich?"
„Na als dich, so wie du bist. Als Familie, als Partner und Freund."
„Was überwiegt denn am meisten davon und diemals ohne vage Umschreibung?" fragt er ruhig und bestimmt weiter.
„Als Mann, als Partner und Freund, als Familie- und nicht als Bruder."
„Warum sind wir denn nicht einfach alles – in genau dieser Reihenfolge?"
Okay jetzt klingt er wieder naiv und blind wie ein Kind.
„Haru, ich bin kein Kind mehr. Ich habe mich über all diese Dinge informiert. Das Internet, Anwaltsforen... Auch wenn du mir am liebsten all das recherchieren verbieten würdest, ich habe alles nachgesucht. Ich lege einfach nur keinen Wert darauf. Shima und Aki sind auf unserer Seite. Ich glaube, die beiden wissen schon längst, was zwischen uns los ist. Gerade Shima. Er ist es, der uns das erste Mal im Bad gehört hat, er ist es, der das Gespräch mitbekommen hat zwischen mir und dem Barchef. Ich habe ihn gesehen. Er hat mir nur zugelächelt. Die Familie steht hinter uns. Ich glaube wir können hier sein, wer wir sind. Hier in unserem Haus auf jeden Fall. Jedenfalls ist das mein tiefster und egoistischster Wunsch. Und ich glaube nicht, dass das Jugendamt kommt und mich wegnimmt. Dazu braucht es ganz andere Beweise. Dann müssten auch erst einmal Haruko und Mikiko gegen uns sein. Und ich habe dich nicht so empfunden, das du ein pädophiler Kinderschänder bist. Haru, wirklich. Ich erinnere mich an den Sommer nicht an elterliche oder brüderliche Details. Ich erinnere mich nur an dich. An meine Liebe. Welcher Art auch immer das damals war... Aber hast du so große Angst den nächsten Schritt zu gehen? Es ist doch nur natürlich auf seinen Körper und seine Gefühle zu hören – solange sie ehrlich sind.", beendet er schließlich total selbstbewusst seinen auswendig gelernt wirkenden Vortrag.
Es rührt mich, es rührt mich wahnsinnig. Aber dennoch. Es sind doch trotzdem noch alle Probleme da? Oder existieren sie in meinem Kopf?
„Ich kann mich doch nicht die ganze Zeit mit dir hier im Haus verstecken und dich verführen und morgens zu deinem Eltern-Sprech-Tag gehen?", ich lächele dennoch ein wenig, da er mich im letzten Satz selbst zitiert hat. Wenigstens ein klein wenig.
„Was willst Du denn, Ren? Was möchtest du? Was wünscht du dir?"
Ich zucke zusammen und werde abrupt leiser. Draußen höre ich die Toilettenspülung. Ren funkelt mich an, er hat es auch gehört, reagiert aber auf meine Frage. Er wird prompt rot, lächelt zwar etwas, guckt aber letztendlich weg, wie das scheue Reh, das ich sonst kenne. Ich glaube ich habe ihn das noch niemals gefragt.
„Dich.", sagt er ruhiger als zuvor.
„Warum?" , frage ich ihn flüsternd. Ich versuche durchzuatmen und sein Spiel mitzuspielen.
„Weil ich dich brauche."
Was? So etwas reicht mir wirklich nicht mehr. Ich schaue ihn eindringlich an. Da muss doch noch was kommen?
„Weil ich dich.. sehr sehr..."
„Sag es. Sag es nochmal. Wie in Kiyos Büro."
„Ich brauche und will dich so sehr, das sterben sich besser anfühlen würde, als dich nicht bei mir zu haben."
„Sag es."
Er küsst mich. Und ich lasse es zu. Ein anderer Kuss als sonst...
Und ich liebe dich, Haru. Sehr."
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Hochgeladen am 29.05.16
Nächstes Mal: Ein ruhiger Abend
Hallo ihr Lieben, ich habe diese wirklich wunderbare AMV von "UselessEgg" auf Youtube gefunden und es für euch mit verlinkt. Lasst dem Ersteller des Videos ein Like da. <3 Ich hoffe, euch hat dieses Kapitel gefallen. Liebe Grüße, eure Soraly
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Super Lovers / Mein Leben mit Ren
FanfictionRen und ich hatten wieder eine unserer Auseinandersetzungen. Unsere Beziehung ist einfach so kompliziert, meine Gefühle sind komplett durcheinander... oder auch nicht? [Meine Geschichte basiert auf dem Manga 'Super Lovers' von Miyuki Abe. Der Manga...