36. Shima

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Shima

Es ist spät am Abend, es regnet und stürmt... das Haus ist leer - wunderbar. „Hallo mein Schatz." , sage ich laut zu unserem Sofa und lasse mich fallen.

Aki, das Schlitzohr, hat sich für das ganze Wochenende im Café eingetragen, als Haru Klebezettel mit mehreren Anweisungen hinterlassen hat. Ein Zettelchen in Akis Zimmer, eins in meinem. Aki hat Waschdienst, das Bad und die Fenster abbekommen. Ich die Küche und das Wohnzimmer, dazu sollte ich noch die Pflanzen kontrollieren, inklusive der Terrasse. Zusätzlich für mich noch eine Anmerkung, gut auf Aki zu achten. Unterzeichnet mit 'Ich habe das Handy immer bei mir. Wenn was ist, meldet euch. Ich liebe euch beide, Haru.'

Mensch Haru, wir sind keine zwölf Jahre mehr alt...

'Aki, mach deine Hausaufgaben, ich gucke sie heute Abend nach.' Ich schmunzle. 'Shima, bitte achte auf deine Schnürsenkel. Ich liebe dich.' , 'Aki bitte hör auf, die Socken von Shima zu verstecken. Ich liebe dich trotzdem.' Ich lächle, als ich auf das Stück Papier schaue. Da werden tatsächlich alte Erinnerungen wach. Früher hat er ständig solche Briefchen hinterlegt. Ob im Bentō, das er für uns zubereitet hat, oder in Schulbüchern versteckt. So ist er eben. Ich denke, er wird sich auch nicht mehr ändern. Ich lasse mich in unser Sofa zurückfallen. 'Shima, denk an deine Zähne. Sie sind im Glas neben dem Bett.' Haha herrlich, ich muss laut auflachen. Ja, wahrscheinlich wird es uns im Alter so ergehen. Mit riesigen quadratischen Zetteln, damit wir sie auch noch lesen können.

Um mich herum duftet mittlerweile alles nach Orangenreiniger. Der Boden ist noch feucht. Aber ich habe alles geschafft. Auch Akis Aufgaben... Den ganzen Tag bin ich mit meinem MP3Player durch die Wohnung gesaust und habe mein Bestes gegeben.

Die Tür zum Café öffnet sich. „Shimaaa...?!"

Nur die kleinen Oberlichter aus der Küche sind noch an und leuchten eine angenehme Wärme in unseren Wohnbereich hinein. Er ist nicht nur ein Schlitzohr, seine Stimme klingt auch danach. Ein unschuldiger aber neckischer Unterton. „Jahaaa. Bleib' wo du bist, es sei denn, du kannst fliegen. Es ist noch alles nass." Ich richte mich auf, sodass er mich zu sehen bekommt. Seine Miene verzieht sich. Ich denke, sein Ruf nach mir war rein rhetorisch und in der Hoffnung, ich würde ihm nicht direkt beim heimkommen über den Weg laufen.

„Tja ich bin noch wach.", sage ich nochmal. Ein Seufzer entfährt ihm. „Mist. Hehehe ja, naja ein Versuch war es wert." Aki legt seine Schürze ab und nimmt etwas Anlauf. Ich ahne, was er vor hat, – und mit einem großen Satz und nur einem gehopsten Sprung auf den nassen Boden, landet er auf dem Sofa. „Hi.", fängt er an zu lachen. „Spielverderber.", sagt er noch dazu. „Tja der Klügere denkt mit. Ich wusste, was du vorhast und habe mich schon einmal aufgesetzt, damit du mich mit deinem Sprung nicht in die ewigen Jagdgründe schickst. Aber danke, dass du nicht auf das gewischte herumgelaufen bist – so wie letztes Mal."

Aki breitet seine Arme aus, nimmt mich in den Schwitzkasten und wuschelt meine Haare. „Hey ich lerne auch dazu. Hat sich meine Flucht denn gelohnt?!", fragt er und lässt von mir ab. Er schaut sich fragend um, ob ich alles geschafft habe. Ich rücke meine Brille zurecht und schaue ihn an. „Eines musst du mir aber verraten. Hast du dich jetzt ernsthaft das Wochenende über im Café eingetragen, um hier nicht putzen zu müssen? Weil Aki..., im Café bist du doch auch am putzen?" Aki schaut drollig und verdreht die Augen. „Ja, aber Shima..., Zuhause ist es eben anders und nerviger als auf der Arbeit! Ich will dich mal erinnern... an dem Arbeitsplatz, wo man nette Kundinnen hat und dafür auch noch bezahlt wird! So musst du das sehen, mein Liebster!!" Er schlägt mir auf die Schulter und lacht wieder.

Jetzt sitzen wir hier auf dem Sofa. Wir sind echt lachhaft verschieden. Trotzdem könnte ich nicht ohne ihn.

„Es ist komisch ohne Haru. Selbst ohne Ren. Dabei sind sie nur das Wochenende über weg.", sagt Aki ruhig und bestimmt. So, wie meist nur ich ihn zu sehen bekomme. „Ja. Aber ich gönne es beiden von Herzen.", kommentiere ich ihn. „Ja ich auch. Absolut. Ich sehe vieles mittlerweile anders. Ist aber schon krass irgendwie. Haru schwul... Mein ganzes Leben habe ich ihn nur als Frauenschwarm, Host und Gastwirt gesehen. Überall Frauen. Immerhin war er auch mal mit dieser einen dann zusammen. Es hat mein ganzes Bild auf den Kopf gestellt.", sagt er weiter. Akis Hand wandert hinter mir auf meine rechte Schulter. Er fängt an, sie wie aus Gewohnheit zu massieren. „Aber irgendwie passt es dann doch.", er lässt seinen Kopf nach hinten fallen. „Danke fürs aufräumen.", er spricht zur Decke, lächelt aber.

„Mal sehen, wer das nächste Mal schneller ist.", schmunzle ich zurück.
„Ich glaube, Haru hat nie darüber nachgedacht, ob Mann oder Frau. Ich denke sein Herz hat da einfach entschieden. Und es ist Ren geworden. Ich weiß nicht, was da ist. Aber es ist faszinierend. Ich meine okay. Wenn ich mal nicht mit meiner Bruderbrille auf ihn schaue, sondern als Beobachter... ist das schon echt faszinierend... Ich kann mir Haru mit der Bruderbrille überhaupt nicht sexy und losgelöst in Rens Nähe vorstellen. Ich sehe ihn tatsächlich nur, wie er ihm Marmeladenbrote schmiert und kleine Zettelchen schreibt. Wie er putzt und wäscht und arbeitet, macht und tut..., und wie er dann abends ins Bett fällt. Da frage ich mich, was macht er eigentlich für sich? Aber mit der Beobachterbrille denke ich dann..., wer weiß? Vielleicht ist Ren ja auch gar nicht der Typ, der sich nur Marmeladenbrote schmieren lässt, sondern auch Seiten hat, die nur Haru kennt. Das Haru dann nicht der Haru ist, der alles kontrollieren kann oder muss. Sondern, wie er der andere Part ist. Ren ist ein faszinierendes Kerlchen. Eigentlich kennen wir nichts von ihm. Nur das, was Haru uns zeigt. Aber das ist glaube ich nicht der Ren, der er wirklich ist. Nur das, was wir von außen sehen. Manchmal habe ich das Gefühl, ich würde den echten Ren aufblitzen sehen. Aber kaum mache ich eine falsche Bewegung oder eine Äußerung und es ist wieder ganz anders. Nur Haru scheint das sehen und nehmen zu können. Sehr sehr faszinierend."

Ich lehne mich nun auch etwas zurück. Akis Hände sind flink. Nur er weiß mich so zu entspannen. Damals, als unsere Eltern gestorben sind, war eigentlich Aki der Starke. Er hat zwar mehr geweint und war launisch, und ich war ruhig und gefasster... Naja, so schien es. Aber Aki war derjenige, der mich nachts in den Schlaf gekuschelt hat, wenn ich Alpträume hatte. Unsere Großeltern wollten Haru nicht. Wir wurden plötzlich getrennt. Das war alles sehr verwirrend... und eigentlich viel zu viel für uns alle. Aber seither sind wir so. Aki guckt mich an.

„Weißt du, vielleicht ist das so bei Personen, deren Seelen miteinander verbunden sind... da weiß man eben, wie man den anderen nehmen muss. Wir haben auch solche Momente.", sagt er. „Naja wir sind auch kein Liebespaar.", kontere ich. „Ja aber ich meine jetzt diese Nähe. Haru kennt auch nicht alle Seiten von uns. So wie wir eine Lücke in seinem Leben haben, bezüglich Ren und allem, hat er auch eine lange Zeit von uns nichts mitbekommen. Wir sind zu einander auch anders als zu ihm oder Ren. So ist es nun einmal. Aber mit Ren... ja, da gebe ich dir Recht. Das Gespräch, dass ich da nachts mal mitbekommen habe... also wie und was er gesagt hat. So selbstbewusst und auf den Punkt. Er hat Haru förmlich ausgespielt. Er hat ihn so klein mit Hut dastehen lassen. Das hätte ich niemals gedacht. Ich glaube, die Initiative für die Beziehung und allem ging total von Ren aus. Haha!" Aki lacht auf. „Und weißt du Shima... klar sehen wir ihn als den Brotschmierer. Er ist eben unser Bruder... aber mal was anderes." Er drückt in mein Schulterblatt. „Sag, wie viel stemmst du jetzt eigentlich? Du wirst immer breiter." Er zieht seine Hand weg. Fragend lehnt er sich nach vorne und schaut mich genauer an. „Ach nur so ein bisschen mit Wasser-Sixpacks. Ich bin manchmal verspannt vom ganzen lesen und lernen. Ich versuche dann in den Lernpausen meine Nackenmuskulatur zu stärken. Einfach gerade nur die Schultern von oben nach unten bewegen. Eng anliegend am Körper. Funktioniert gut.", antworte ich pragmatisch. „Du wieder...", kichert Aki daraufhin und lehnt sich wieder zurück.

„Wann kommen sie wieder?"
„Ich denke morgen Abend. Haru sagte, er hätte bis Sonntag gebucht. Mal sehen, wann genau, weiß ich nicht.", sage ich. „Ahh... ich vermisse sein Essen. Er macht das beste Essen. Hahhh~" Eine Hand auf dem Bauch und den Kopf im Nacken mit Blick Richtung Küche. „Du wieder...", äffe ich ihn erneut nach und er lacht auf.

Unsere Wege trennten sich kurz, als der Boden abgetrocknet war. Aber wie besprochen, sitzen wir nun wieder hier vorm TV. Frisch geduscht, Putzsachen weggebracht und Snacksachen hergeholt. schauen wir nun pünktlich unser Programm.

„Mitternacht vom Samstag zum Sonntag. Vier Stunden Animenight. Genau ein Anime mit zwölf Folgen á 20 Minuten – am Stück! Perfekt. Yippihh!" Aki reibt sich die Hände und faltet sie zum beten. „Oh Herr im Himmel. Vielen Dank, dass du Pockys, Chips, Melonpan und Schoko-Koalas erfunden hast. Danke für die Cola... und danke, dass Haru kilometerweit weg ist und diese Sünde nicht sehen kann. Itadakimasu.~" Er zwinkert mir zu.

Ich muss laut loslachen und klaue mir direkt die Schoko-Koalabären. Ich zwinkere zurück. „Schau mal. 'Erased'. Kennst du den Anime?", frage ich ihn. „Nein! Boku dake ga inai machi...", liest er die Schrift, die über dem Bildschirm flimmert, leise vor. „Soll aber richtig brilliant sein. Sousuke-kun hat ihn schon gesehen! Er lief ja bereits zur Primetime. Das ist allerdings völlig an mir vorbei gezogen. Kennst du ihn?", fragt er zurück und gießt uns Cola ein. „Nein. Nur den Trailer und die Beschreibung." Er grinst. „Ja perfekt. Auf geht's!"

Ein kratzendes Geräusch weckt mich aus einem leichten Schlaf. Der Fernseher flimmert leise vor sich her und Aki schnarcht vollkommen weggetreten neben mir. Tanuki liegt auf dem Rücken auf Akis Schoß und ist ebenfalls komplett weggetreten. Seine Zunge hängt zur Seite aus seinem Mäulchen heraus. Ich höre Stimmen. Leise richte ich mich etwas auf und suche meine Brille.

„Was machst du denn da?! Hahaha..." Ist das Ren?
„Schhh... leise..." Haru?
„Ich kriege den Schlüssel nicht rein!"
„Mach doch Licht an?"
Ich höre weiteres kratzen und Rascheln.
„Es ist mitten in der Nacht, ich will keinen stören."
„Ren.. hilf mir mal."
„Hahahaha was findest du das Loch auch nicht, oder wie?
„Du bist besser darin, das Loch zu finden..."
„Was?! Nein... das hast du nicht gesagt... Ren!!"

Ich registriere das Gespräch der beiden nur am Rande. Wie spät ist es? Warum sind die beiden hier? Ich entscheide mich, ihnen die Tür zu öffnen.
Ohne mich zu registrieren, stehen die beiden draußen unter dem Abdach. Regen und ein schwaches Laternenlicht, breiten sich hinter den beiden aus. Völlig ineinander verschlungen... ein Kuss, der sich gewaschen hat, würde ich mal sagen. Ich räuspere mich.

„Hallo die Herren.", sage ich leicht ironisch und immer noch selbst etwas verlegen. Die beiden sind in einer völlig anderen Welt. Ich kann nicht anders, als die beiden zu beobachten. Harus Wangen sind rot. Ren hält ihm die Haare aus dem Gesicht und steht auf Zehenspitzen. Haru leicht herunter geneigt, treffen die beiden sich in der Mitte. Seine Arme sind um Ren geschlungen. Beide haben ihre Augen geschlossen und küssen sich leidenschaftlich. Ren löst sich und bleibt mit der Nasenspitze an Harus. „Ich liebe dich. Danke für alles." Ren kneift ihm in den Po.

... ?

Ich räuspere mich noch einmal lauter. „Also ich will ja nicht stören, aber wollt ihr nun rein oder nicht?!" Endlich scheint mich jemand zu registrieren. „Shima!!! Du wieder!", Haru strahlt mich an und nimmt mich beherzt in den Arm. „Ich habe dich vermisst. Euch beide. Wir sind wieder zuhause.", sagt er weiter, als er mich drückt. Was ist denn mit ihm los? Völlig happy und überschwänglich löst er sich von mir und strahlt weiter. „Du musst uns aber auch immer erwischen."

„Nun kommt schon herein. Ist ja schlimm. Hi Ren, schön dich zu sehen", sage ich zum kleineren und nehme ihm eine der zwei Taschen ab. Ich blicke Haru hinterher, der ebenfalls noch eine Tasche trägt. Wo wollte er hin? Nach Europa? Für mehrere Wochen? Rens Blick ist wahnsinnig erwachsen, als ich wieder zu ihm schaue. Stark und rau. So einen Ausdruck in seinen Augen, habe ich noch nie gesehen. Alleine das schwache Licht vom Fernseher im Haus und das schwache Licht in seinem Rücken, leuchtet ihn aus. Vielleicht verstärkt das meinen Eindruck noch dazu. Aber wow. Ganz anders. Als wäre das ein Teil von seinem wahren Selbst?

Er atmet kurz durch und guckt mich plötzlich mit einem völlig anderen Ausdruck an. Wärmer, weicher und etwas distanzierter als zuvor, wie immer eigentlich. „Hey guten Abend. Haben wir euch geweckt? Entschuldige bitte.", sagt er ruhig. Ein ganz anderer Ton, als bei dem Liebesgeständnis zu Haru. Ich muss irgendwie schmunzeln. Es ist zu interessant. Vielleicht sollte ich meine Fachrichtung ändern und Psychologie studieren. Ich schmunzle weiter und wuschle ihm durch die Haare, als er an mir vorbei geht. „Nein. Ach... schon gut. Wie es scheint sind Aki und ich nur vorm TV eingeschla– " Mein Satz wird durch Haru abgebrochen und mir stellen sich automatisch alle Nackenhaare auf.

„AKI! COLA?! WAS IST DENN HIER LOS??? Oh Gott... OH - MEIN - GOTT! DER TISCH!!!" Ich wage keinen Blick zu ihm. Ich grinse nur kurz in den Regen und die Dunkelheit hinein, seufze und schließe die Tür. Wir sind eben wohl doch noch zwölf Jahre alt...

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Hochgeladen am 11.08.16
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