Kapitel 75

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Mein Vater gab ein tiefes Knurren von sich und dank seiner Worte war ich auf seinen nächsten Zug vorbereitet. Deshalb gelang es mir seine Hand abzufangen. Bei seiner Kraft wäre mir das vermutlich nicht allzu lange gelungen, aber dafür hatte ich meine Bodyguards.

Augustin bekam meinen Vater zu fassen und riss ihn von mir. Ben zog mich nach hinten und so war Abstand zwischen meinem Vater und mir. Er gab ein weiteres Knurren von sich und diesmal erwiderte ich es.

Da ich in einer sicheren Zone war, ging Ben zu Augustin hinüber und sie hielten beide meinen Vater fest. Er versuchte sich zu wehren und frei zu kommen, aber er hatte keine Chance. Ein weiteres Knurren von ihm beeindruckte niemanden.

Um Augustin und Ben keinen Ärger einzubringen, blieb ich auf Abstand. Den Gefallen würde ich ihnen tun und es wäre auch vernünftiger. Außerdem lief mein Vater mir nicht davon, später könnte ich meiner Wut freien Lauf lassen. Für die perfekte Strafe sollte man sich selbst Bedenkzeit geben und nicht im Affekt handeln.

Jetzt war ich es, die ihn verächtlich ansah. Ich verschränkte meine Arme und fragte: "Was hast du gesagt?" Tja, mittlerweile hatte ich die Überhand. Später musste ich den Jungs danken, die beiden wussten, was sie taten. Sie hatten meinen Vater sofort im Griff gehabt und so jemand wollte sich Alpha nennen. Der Mann war eine erbärmliche Existenz.

Die Zimmertür ging auf und herein traten Samuel und Caleb. Beide wirkten sehr ernst und stellten sich neben mich. Samuel musterte mich und fragte: "Ist alles in Ordnung, Luna?" Da machten die beiden sich um mich Sorgen, dabei war mir nichts passiert. Aber Anastasia hatte das nicht überlebt.

Ich sah zu ihm, nickte und räusperte mich. "Alles in Ordnung, aber..." Ich deutete auf Anastasia, aber ersparte mir den Anblick. Das war ein brutaler Mord gewesen.

Eiskalt hatte er seiner eigenen Tochter das Herz herausgerissen. Wie konnte man derart grausam und herzlos sein? Eins stand fest. Nach dieser Aktion würde meine Mum sich seinen Tod wünschen. Es ging ihr körperlich besser, was bedeutete, dass mein Vater im Grunde nutzlos war.

Wenn ich an all das dachte, was der Mann je getan hatte. Was er mir alles angetan hatte. Und vor allem was er meiner Mum angetan hatte. Meine Augen wurden pechschwarz und mein Blut kochte förmlich vor Wut.

Ich wollte auf ihn zu gehen, aber Samuel hielt mich am Unterarm fest. "Es tut mir leid, Luna. Aber auf Anordnung des Alphas musst du deinem Vater fern bleiben." War ja klar. Aber es nervte, ich wollte meinem Vater den Schädel abreißen.

Moment.

Xavier, aber natürlich. Mein Vater hatte noch gar nicht die Ehre in kennen zu lernen. Bei dem Gedanken wurde meine Augen etwas heller.

Ich widmete mich meinem Vater und legte den Kopf schräg. "Wie wäre es, wenn du endlich deinen Schwiegersohn kennen lernst?" Es wunderte mich, aber man konnte ihm keine Angst ablesen. Entweder überspielte er sie oder es war ihm egal zu sterben. Oder er war erbärmlich genug zu denken, dass er abhauen könnte.

Mein Vater sah unfassbar wütend aus und antwortete: "Niemand kann mir etwas anhaben. Ich mag jemanden weh getan haben, aber sie war meine Tochter und gehört zu meinem Rudel. Das ist meine Angelegenheit. Ich bin genauso ein Alpha."

Ach, deshalb hatte er keine Angst. Wenn er sich da nicht irrte. Klar, es könnte uns egal sein, aber es war auf diesem Territorium passiert. Was bedeutete, dass es am Ende Xaviers Entscheidung war, was mit meinem Vater passierte.

Und wegen Anastasia untertrieb er maßlos. Weh getan? Er hatte sie umgebracht. Sie hatte ihm nichts getan. Ein grundloser Mord gehörte bestraft.

In einem ruhigen Ton antwortete ich: "Das wirst du schon bald sehen." Er hatte aufgehört sich zu wehren, scheinbar hatte mein Vater erkannt, dass es sinnlos war. Dennoch lachte er abfällig und antwortete: "Nein, du wirst diejenige sein, die das bald bereut." 

Ben hielt einen seiner Arme fest und mit seiner freien Hand packte er meinen Vater grob am Nacken. Er knurrte hervor: "Niemand spricht so mit unserer Luna." Augustin hängte an: "Wenn du weißt, was gut für dich ist, dann bist du besser still." Mein Vater gab als Antwort nur ein Knurren von sich.

Dieses Gespräch war für mich noch nicht ganz beendet, weshalb ich fragte: "Warum hast du Mai und Anastasia diesen Auftrag gegeben? Wenn du willst, dass eine der beiden die Luna dieses Rudels willst, dann hättest du nie mich schicken sollen."

Wo war die Logik? Wieso hatte er dann überhaupt erst mich verkauft?

Eigentlich rechnete ich nicht mit einer Antwort, aber den Versuch war es mir wert. Ich wurde von ihm überrascht, denn mein Vater antwortete: "Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet dieser Mann dein Mate wäre. Du bist viel zu schwach um seine Luna zu sein. Im Grunde wollte ich ihm damit einen Gefallen tun und habe deine Schwester nach geschickt." 

Ich schloss meine Augen und holte tief Luft. Meine Augen wurden pechschwarz, aber ich versuchte es zu unterdrücken. Ich sollte mich nicht von seinen Worten beeinflussen lassen. Der Mann hatte Unrecht. Die Mondgöttin hatte mich auserwählt, alleine das bewies, dass ich geeignet für diesen Posten war. Das ich perfekt dafür war. Niemand könnte das besser machen als ich.

Er fuhr fort: "Nur sind deine Schwestern genauso unfähig, wie du es bist. Ich hätte nie denken sollen, dass sie so etwas schaffen könnten."

Der Mann sollte dringend Xavier kennen lernen. Mein Mate würde ihm das Fürchten lehren. 

Ich würde mich nicht weiter beleidigen lassen, das hatte gereicht. Ich wandte mich ab und ging zur Tür, dabei sagte ich: "Erstens sorgt dafür das meiner Mum der Anblick von meiner Schwester erspart bleibt. Zweitens soll sich jemand um Anastasias Überlieferung nach Hause kümmern. Drittens werft meinen Vater in den Kerker." Mit diesen Worten hatte ich den Raum verlassen und Caleb mit Samuel folgten mir.

Caleb sagte: "Um jegliches Anliegen wird sich unverzüglich jemand kümmern." Genau die Antwort, die ich mir erhofft hatte. Ich nickte und antwortete: "Danke."

Jetzt würde ich zu meiner Mum gehen. Wieder müsste ich ihr mitteilen, dass eine ihrer Töchter tot war. Keine Ahnung, wie ich ihr das erklären sollte. Bei dem Gedanken wurde mir schwer ums Herz.

Also hatte unser Vater die beiden hergeschickt um mir Xavier auszuspannen. Und natürlich hatten meine Schwestern kein Problem damit gehabt, immerhin hatten beide stets auf einen Alpha gebrannt. Und das hatten sie mit ihrem Leben bezahlt.

Aber jetzt ging es zuerst um meine Mum. Ich kam bei ihrem Zimmer an und Caleb öffnete mir die Tür. Ich dankte ihm und betrat den Raum. Eigentlich war es fraglich, warum sie mir weiterhin folgten. Immerhin kam mein Vater in den Kerker und nur wegen ihm hatte ich ständig Bodyguards in meiner Nähe.

Ich blieb wie angewurzelt stehen als mein Blick auf das leere Bett fiel. Das konnte unmöglich sein.

Wo war sie hin?

Ich drehte mich zu Caleb und fragte: "Wo ist meine Mum?" Er sah entsetzt aus, also hatte er keine Ahnung. Es machte mich wütend, aber ich riss mich zusammen. Die beiden konnten nichts für diesen verrückten Tag. Ich hatte sie zwar gebeten, dass sie darauf achten sollten, dass meine Mum im Bett blieb. Allerdings war das mit meinem Vater dazwischen gekommen, da war es verständlich, dass sie zu mir geeilt waren.

Mir fiel das offene Fenster auf, weshalb ich hinüber ging. Sie war doch nicht ernsthaft davon gelaufen. Wieso sollte sie das machen? Das machte keinen Sinn. Niemand wollte ihr etwas Schlechtes. Wir hatten sie gut behandelt und die Ärzte waren Profis. 

Oder vielleicht hatte man sie entführt, allerdings war das Zimmer unverändert. Bei einer Entführung hätte es einen Kampf gegeben. Das war also eher unwahrscheinlich.

Wo war sie hin?

Sie konnte nicht einfach abhauen. Ihr dürfte klar sein, was für Sorgen ich mir machte. Falls sie nach Hause hatte wollen, dann hätte sie mir das sagen können. Ich hätte meine Mum nicht festgebunden. Sie war eine erwachsene Frau und die Entscheidung hätte ich ihr überlassen.

Aber einfach davon zu laufen war seltsam. Ich machte mir gefühlt tausend Sorgen. Es könnte alles mögliche passiert sein.

Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte ging die Tür auf, weshalb ich hinüber sah. In mir keimte die Hoffnung auf, dass es meine Mum war.

Aber durch die Tür trat Xavier. Er musterte mich besorgt und fragte: "Hat dein Vater dir etwas getan?" Ich schüttelte den Kopf und deutete auf das leere Bett. "Meine Mum ist verschwunden." Die Sorge konnte man aus meiner Stimme hören und bei meinem Gesichtsausdruck war das sicher nichts anderes.

Cruel Alpha | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt