Kapitel 1

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Die Sonne brannte fast ein Loch in die Windschutzscheibe. Ich klappte die Sonnenblende runter und knabberte auf meiner Lippe. Vor einer Stunde war der Flieger auf dem Los Angeles International Airport gelandet. Der Fremde, der entspannt neben mir saß, hatte dort gewartet. Für zwei Wochen hatte er das Sagen, so war es zwischen meinem Stiefvater und ihm abgesprochen. Was ich davon hielt, danach hatte niemand gefragt. Das war nichts Neues für mich, seitdem dieser herrische Mann und seine Tochter in unser Leben gekommen waren. Ich war in dieser Patchwork-Familie das fünfte Rad am Wagen. Während meine Stiefschwester auf ein angesehenes Internat geschickt wurde, ging ich auf eine gewöhnliche Highschool mit den üblichen Verdächtigen. Badboys, Schulschlampen, Sportler, ein Haufen Normalos und zum Schluss die Nerds, zu denen ich gehörte. Doch das zählte zurzeit nicht. Es waren Ferien und ich saß mit siebzehn Jahren bei einem Mann fest, der Mitte vierzig war. Eine meiner Meinung nach, die ansonsten niemanden zu interessieren schien, hirnrissige Idee. Ich seufzte unauffällig, wandte die Aufmerksamkeit erneut der Umgebung zu.

In diesem Augenblick fuhren wir vom Flughafen auf der Eins in Richtung Santa Monica Pier. Harold, so hieß der Kerl, besaß ein Apartment oder ein Haus in der Nähe des Strandes. Dort und am Meer hatte er vor, Fotos von mir zu schießen. Es schüttelte mich, wenn ich nur daran dachte, für jemanden zu posieren. Dafür war ich zu tollpatschig. Warum er mich ausgesucht hatte, war mir schleierhaft. In Gedanken verglich ich mich mit meiner Stiefschwester Brittany. Bei ihren langen blonden Haaren, großen blauen Augen und ihrer schlanken Figur hätte ich es verstanden. Zugegeben, ihre Locken waren nur blondiert. Doch sah sie immer von Kopf bis zu den Zehen top gestylt aus. Sie kannte die Tricks, wie sie mit Make-up ihre Vorzüge betonte.

Dagegen war ich nur eine kleine graue Maus, die ab und an mal zur Zielscheibe des Spotts wurde. Meine mittelbraunen Haare waren momentan nur etwas mehr als schulterlang, da Britt mir aus Versehen, wie sie beteuerte, ein Kaugummi hinein geklebt hatte. Davor waren sie mir bis über die Mitte des Rückens gegangen. Erst hatte ich ihnen hinterhergetrauert, doch schnell hatte ich mich an meine neue Haarlänge gewöhnt. Waschen und Bürsten war zeitsparender als zuvor. Womöglich redete ich es mir nur ein, damit ich mich mit der Frisur abfand, überlegte ich stirnrunzelnd. Wie so oft, wenn etwas nicht nach Plan verlief.

Ich starrte wieder aus dem Seitenfenster. In diesem Moment bogen wir nach links ab. In der Ferne erkannte ich durch die Frontscheibe das Wahrzeichen des Ortes, den Santa Monica Pier. Um genau zu sein, sah ich das Riesenrad und die Achterbahn des Pacific Park. So reizvoll Karussells waren, so sehr verabscheute ich sie. Eine Fahrt reichte, damit es mir den Rest des Tages hundeelend ging und ich über einer Toilettenschüssel hing.

„Du kannst dich gleich etwas frisch machen, wenn wir angekommen sind. Danach gehen wir zum Rummel." Die tiefe Stimme neben mir riss mich aus meinen Träumereien. Scheiße, er hatte den Blick auf den Vergnügungspark bemerkt und ihn falsch interpretiert. Obwohl, in seinem Alter fuhr er vermutlich nicht mehr Karussell. Wenn ich Glück hatte, zeigte er mir nur den Park, sprach ich mir in Gedanken Mut zu. Keine zehn Pferde bekamen mich in so ein Monstrum.

„Da wären wir." Verdutzt registrierte ich, dass Harold sein Auto vor einem Bungalow im mediterranen Stil geparkt hatte. Die Wände waren in einem sanften Orange gestrichen. Auf dem Dach mit flacher Neigung lagen terracottafarbene Tonziegel. Viele Fenster, alle mit Rundbögen, ließen mich vermuten, dass es drinnen lichtdurchflutet war. Vor dem Gebäude hatte jemand große Steinbeete mit Pflanzen angelegt, die mir unbekannt waren. Sie schienen trockene und steinige Areale zu bevorzugen. Etwas, das es in meiner Heimat nicht gab. Dort war es die meiste Zeit des Jahres kühler als im sonnigen Kalifornien. Ich ließ den Blick über den Vorgarten schweifen. Eine junge Kalifornische Weiß-Eiche spendete Schatten, in den ich mich sofort flüchtete. Eine sanfte Brise streichelte meine Haut und ich atmete ein wenig auf. Hier war es auszuhalten. Zwischen ihren Blättern tummelten sich Singvögel, die vergnügt vor sich hin zwitscherten. Hübsch war es hier ja, stellte ich zufrieden fest.

Versonnen lächelte ich. Womöglich verliefen die zwei Wochen fernab meiner Familie entgegen meinen Erwartungen entspannt. Die paar Fotos brachten mich wohl kaum um. Lächelnd folgte ich dem Freund meines Stiefvaters in das Gebäude, in dem es angenehm kühl war. Draußen herrschten dagegen dreißig Grad. Typisch für diese Gegend in dieser Jahreszeit. Mir gefiel der Sommer. Vorausgesetzt, ich brauchte mich nicht halbnackt in ein Freibad oder an einen Badesee zu begeben. Daher hatte ich auch keinen Bikini mitgenommen, obwohl der Strand gewiss wunderschön war. Spaziergänge am Wasser reichten mir. Ich hasste es, wenn jemand meinen Körper sah. Im Gegensatz zu anderen Mädchen im gleichen Alter hatte ich kaum Kurven, nur Babyspeck am Bauch. Keine Schönheit, nur ein langweiliges Etwas. Ich schüttelte den Kopf. Negativität hatte an einem Ort wie diesen nichts zu suchen. Ich richtete meine Aufmerksamkeit daher auf die Inneneinrichtung.

Die Wände erstrahlten in einem hellen Gelb. Der Boden war wie die Dachziegel in Terrakotta gehalten. Harold zeigte mir die verschiedenen Räume. Ein geräumiges Wohnzimmer mit Ausblick auf den Garten. Zwei große dunkelbraune Ledersofas standen vor der Fensterfront. Die wenigen Möbel waren gleichfalls in einem dunklen Braun. Ich tippte auf Mahagoni oder eine ähnliche Holzart. Auf jeden Fall sah es teuer aus. Ich schaute wieder nach draußen. Die bodenlangen Fenster, ebenfalls mit Rundbögen, gewährten mir einen Blick auf den Pool, der in Azurblau erstrahlte. Davor standen zwei weiße Liegen mit sonnengelben Auflagen. Malerisch, idyllisch.

„Dort werden wir auch Fotos schießen. Ich hoffe, dass du deine Bikinis eingepackt hast." Ich erstarrte. Erstens aufgrund seiner Worte, zum Zweiten, weil seine Hand auf meinem unteren Rücken ruhte. Trotz der Wärme, die von ihr ausging, lief es mir eiskalt an der Wirbelsäule entlang. Das war eindeutig zu viel Körperkontakt. Ich hasste es, angefasst zu werden. Obendrein von jemandem, der vom Alter her locker mein Vater sein könnte. Ich entfernte mich ein Stück von ihm und drehte mich um. Zum ersten Mal registrierte ich, wie groß Harold war. Circa ein Meter neunzig und im Gegensatz zu meinem Stiefvater hatte er keinen Bauchansatz. Das weiße T-Shirt, das er trug, spannte er über seiner durchtrainierten Brust. Sein Bizeps war geschätzt so dick wie mein Oberschenkel. Mit einem Meter dreiundsiebzig und schlankem Körperbau kam ich mir im Vergleich zu ihm winzig vor. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals.

„Ich besitze nicht einmal Bikinis", gab ich leise zu. Eine glatte Lüge, doch wie erklärte ich jemandem wie ihm, dass ich meinen Körper und seine Makel hasste? Der Mann seufzte, gleich darauf lächelte er mich breit an, wobei er zwei Reihen blendend weißer Zähne enthüllte.

„Auch gut. Somit werde ich das Vergnügen haben, mit dir einkaufen zu gehen." Er musterte meinen Körper gründlich von oben bis unten, bevor er fortfuhr. „Ich bin mir sicher, dass ich einige hübsche Teile für dich finden werde."

Sein Lächeln und das Aufblitzen seiner Augen verursachten mir eine Gänsehaut. Das Kältegefühl an meinem Rücken nahm zu und ich war nicht sonderlich überzeugt, dass die zwei Wochen in Santa Monica eine grandiose Idee waren. Hätte ich die Möglichkeit, direkt nach Hause zu fliegen, ich würde sie sofort ergreifen. Alles besser, als bei diesem Mann zu bleiben.

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Übertreibt Dakota oder teilt ihr ihr mulmiges Gefühl, was Harold betrifft?

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt