Kapitel 39

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„Wehe, du blamierst mich heute!" Britt zupfte an ihrem Kleid herum, fischte den kleinen Taschenspiegel aus ihrer Clutch. Fast schon besorgt überprüfte sie ihr Make-up und den Sitz ihrer Frisur. Ihrem Benehmen nach hatte sie vor, einen der beliebten Jungen für sich zu gewinnen. Was für eine Zeitverschwendung! Die mit reichen Eltern verschwanden eh auf ein weit entferntes College. Die letzten zwei Monate auf der High School mit einem Typen zu verplempern, den man aller Wahrscheinlichkeit nie wiedersah? Ich verstand den Sinn dahinter nicht. „Du bist auch so eine Trantüte. Kommst du endlich?" Ich musterte meine Stiefschwester für einen Moment.

„Britt, du siehst fantastisch aus, nicht nur heute. Ich habe nicht vor, dich in einem schlechten Licht dastehen zu lassen. Wir sollten zwar zusammen herkommen, aber wie wäre es, wenn wir getrennt hineingehen und niemandem sagen, dass wir in ein und demselben Haus wohnen? So werden deine Freundinnen dich nicht abwertend betrachten, weil du mit dem lästigen Nerd hier auftauchst." Ich schenkte ihr ein Lächeln, meine Mundwinkel krampften. Was für ein erbärmliches Schauspiel meinerseits. Doch die Blondine war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie die Schauspielerei nicht bemerkte, sondern zustimmend nickte.

„Eine gute Idee von dir. So viel Verstand hatte ich dir gar nicht zugetraut." Sie stöckelte auf ihren hohen Absätzen vor zum Anwesen. Ich nutzte den Augenblick und sah an mir herunter. Jeanshose, Sneakers, dazu ein einfaches schwarzes Shirt. Es gab keinen Grund für ein hübscheres Outfit. Durch die Fehlgeburt hatte ich den Mann meines Lebens verloren. Ich seufzte verhalten. Wie lange es wohl dauerte, bis ich über die beiden Verluste hinweg war? Lieber hätte ich mich in meinem Zimmer verkrochen, etwas für eines der Fächer gelernt, statt hierherzukommen. Mutter war nach dem Anruf der Schulleitung völlig aus dem Häuschen gewesen. Selbst Britts Vater hatte es für eine grandiose Idee gehalten, dass ich nach den bestandenen Tests, die es mir erlaubten, an den bevorstehenden Abschlussprüfungen teilzunehmen, zur Party mitging. Doch fragte mich jemand nach meiner Meinung? Ich schüttelte resignierend den Kopf. Noch einige Wochen, dann wurde ich achtzehn. Womöglich wäre es eine vernünftige Idee, mir eine kleine Wohnung beim College zu suchen. Geld genug hatte ich auf dem geheimen Konto. Wenn ich dazu noch nebenher jobbte, fiel es mit etwas Glück nicht mal auf.

„Hey Dakota, traust dich wohl nicht rein, oder? Kannst mit mir mitkommen." Ein Typ von der Schule, dessen Name ich nicht einmal kannte, hakte sich bei mir ein und zog mich über die Straße zum Haus. Ich seufzte innerlich. Jetzt mit einem Buch auf dem Bett liegen, das wäre schön. Der laute Bass irgendeiner seltsamen Musik drang in den Garten. Die Fensterscheiben klirrten leise von dem Druck, den sie aushielten. Im Vorgarten saßen einige Schüler mit roten Bechern im Gras. Einer reichte einen Joint herum. Auf was hatte ich mich da nur eingelassen? Wieso drehte ich nicht einfach um und verschwand nach Hause? Oder besser in einen Park, bis die verflixte Party vorbei war.

„Ui, wer hat den Nerd angeschleppt? Ein Dreivierteljahr verschwunden und besser im Unterricht als wir." Simon trat vor mich, ebenfalls einen dieser Plastikbecher in der Hand, dessen Inhalt verdächtig nach Alkohol roch. „Haben deine Eltern dich mal rausgelassen, damit du auch mal Spaß hast?" Er musterte mich von oben nach unten. „Hier, nimm meine Mischung, dann wirst du lockerer." Sein Verhalten war anders als auf der High-School. Ich vermutete, dass die Spirituosen, oder was auch immer er sich da reinzog, sein Gehirn zu sehr vernebelten. So viel zum Thema Liebenswürdigkeit.

„Nein danke." Ich wehrte seinen Arm ab und schüttelte vehement den Kopf. Einmal Alkohol und nie wieder. Das eine Mal hatte zu gravierende Nebenwirkungen gehabt. Ich presste eine Hand auf den Bauch.

„Dir geht es nicht gut?" Mit einem besorgten Blick quittierte er meine Geste. Ich ließ ihn in dem Glauben, erwartete so weniger Kommentare aufgrund meiner Abstinenz. Sich volllaufen zu lassen, schien auf diesen Partys die bevorzugte Beschäftigung zu sein. „Warte hier, ich hole dir ein Glas Wasser." Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte er davon. So viel Freundlichkeit war ich seit der Rückkehr nach Toledo nicht mehr gewöhnt.

„Scheiße, was will der denn hier?" Ich folgte dem Blick des Jungen neben mir, entdeckte den Grund für sein Naserümpfen. Groß, durchtrainiert, mit tiefschwarzen Haaren. Dante Santoro, ein Typ von unserer Schule und Gerüchten zufolge der Sohn eines Mafiabosses. Santoro. Der Nachname der Familie, die ich nie wiedersehen würde. Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte nicht vor, der Mafia jemals wieder in die Quere zu kommen. „Widerlich, wie die Mädchen sich ihm an den Hals schmeißen." Das war es allerdings. Meine Stiefschwester gehörte zu denen, die ihn anhimmelten, als ob es keine anständigen Jungen gab. Er lief an ihnen mit zwei seiner Freunde vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Ich hoffte nur, dass er nicht aufgrund von Mafiageschäften aufgetaucht war. Misstrauisch betrachtete ich den Sitz seiner Kleidung, eine Waffe entdeckte ich dabei nicht.

Einige Stunden später beobachtete ich müde die Feiernden. Mitschüler, die schlafend oder bewusstlos im Haus in den Ecken lagen. Andere, die sich im Garten die Seele oder zumindest den Mageninhalt auskotzten. Das war nicht meine Welt. Gähnend lehnte ich mich an die Zimmerwand. Wo war Britt abgeblieben? Hatte sie vor kurzem nicht noch mit einem Collegestudenten getanzt? Besser gesagt, sie hatte sich wie eine läufige Hündin an ihm gerieben. Was kümmerte es mich überhaupt? War mir nicht von Beginn des Abends an klargewesen, was sie vorhatte? Nur ärgerlich, dass ich deswegen auf dieser Party festsaß. Tauchte ich ohne meine Stiefschwester zuhause auf, würde ich Hausarrest bis zu meinem Geburtstag erhalten. Ich benötigte einen Job, den fand ich schlecht, wenn ich im Haus eingesperrt war. Leise seufzend rutschte ich an der Wand nach unten, lehnte den Kopf an. Ein Glas Cola erschien vor meinen Augen, kein roter Becher, der nach starken Getränken stank.

„Hey, du siehst aus, als ob du das hier gebrauchen könntest. Ist kein Alkohol drin", fügte er hinzu, als er meinen skeptischen Blick bemerkte. Dankend nahm ich es ihm ab. Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen verschwand er ohne ein weiteres Wort. Das war mir recht. Simon und Chris, der Junge, der mich ins Haus begleitet hatte, waren längst verschwunden. So hing ich seit einiger Zeit meinen Gedanken nach. Was hatte ich nur falsch gemacht, dass ich Raffaeles Liebe zu mir zerstörte? Die Fehlgeburt war doch nicht meine Schuld. Tränen drohten zu fallen, die Kehle schnürte sich langsam zu. In wenigen Zügen trank ich die Cola leer. Müdigkeit übermannte mich, ein spöttisches Lachen war das Letzte, was ich hörte, bevor die Dunkelheit mich verschluckte.

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt