Kapitel 61

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Raffaele stürzte atemlos in die Bibliothek, wo ich über einem Buch gebeugt saß. Psychologie, die ich seit einem Jahr, seit der Rückkehr zu den Santori im Fernstudium studierte. Sehr zur Erheiterung meines Schwiegervaters, dessen Trauma ich für meine erste Psychoanalyse verwendet hatte. Er hatte es mir ohne mit der Wimper zu zucken durchgehen lassen.

Ich lenkte die Aufmerksamkeit von den Buchseiten auf meinen Ehemann, dessen dunkle Locken wild von seinem Kopf abstanden. Ich schmunzelte. So aufgescheucht hatte ich ihn seit dem Tag unserer Hochzeit nicht mehr erlebt.

„Wir haben sie." Triumph lag in seiner Stimme. Ebenso Erleichterung, dass die Arbeit sich gelohnt hatte. Mit vereinten Kräften waren wir die Jagd auf den Pädophilenring und auf Carmens Familie angegangen. Manches Mal erschien es uns zu einfach, wie uns Hinweise zuflogen. Wie Brotkrumen, die nur darauf warteten, aufgepickt zu werden. Immer wieder Fallen erwartend, folgten wir ihnen mit größter Vorsicht unter Begleitung einer Gruppe von Spezialisten der unterschiedlichsten Mafiafamilien. Pensatori, Lucchese, Genovese, Tempestuoso und uns, den Santori. Nach und nach zerpflückten wir unsere Gegner, schalteten die Anführer aus. Nun fehlten von den Köpfen einzig Carmen, ihr Vater und Harold, um die Bedrohung ein für alle Mal auszuschalten.

„Alle drei?", fragte ich dementsprechend.

„Den Don haben sie tot in einem Bungalow in Santa Monica entdeckt. Im wahrsten Sinne des Wortes mit heruntergelassener Hose." Mein Mann verzog angewidert das Gesicht, sein Blick verfinsterte sich. Sie haben Kinderkleidung und Spielzeug dort gefunden. Von einem Mädchen.

„Cazzo!" Ich sprang auf. „Haben sie sie..."

„Sie war nicht dort", unterbrach er mich. „Dafür haben wir Carmen und Harold. Letzterer wurde beim Eintreffen unserer Leute von der Spanierin erschossen. Sie will dich sprechen." Raffa rieb sich den Nacken, schaute mich unsicher an. „Die Sache gefällt mir nicht, aber sie scheint wichtige Informationen zu haben und will diese nur dir nennen."

„Warum bringt man sie dann nicht hierher?" Versuchte sie uns wieder hereinzulegen? Ich traute es ihr zu. Doch nagte etwas an mir.

„Sie ist zu schwer verletzt. Mehrere Schusswunden, ein Messer im Bauch. Einen Transport überlebt sie nicht." Er zog mich an seine Brust. „Es gefällt mir nicht, aber Padre will die Informationen." Geduldig lauschte ich seinen Worten, wog den Nutzen gegen die Gefahren ab. Als sie mich damals gefangen hielt, verriet sie mir einiges, das sich als wahr herausstellte. Ich schloss nicht aus, dass sie angesichts ihrer Verletzungen reinen Tisch machen wollte. Doch wieso wollte sie ausgerechnet mit mir reden? Ich schüttelte andächtig den Kopf. Indem ich mich in der Bibliothek versteckte, erfuhr ich es nicht, warf ich nur unsere womöglich einzige Chance weg, mehr zu erfahren.

„Dann mal los. Ich hoffe, ihr habt im Wagen eine schusssichere Weste für mich." Ich lief vor zur Tür. Raffaele eilte mir hinterher.

„Bist du dir sicher? Ich will nicht, dass dir etwas passiert." Sorge klang mit. Ich vermutete, dass er an die Mission dachte, die mich und seine Brüder fast das Leben gekostet hatte.

„Du bist doch bei mir, dann geschieht mir nichts." Ich hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, dann rannten wir beide zum Wagen.

Wenig später betraten wir eine heruntergekommene Lagerhalle. Unsere Leute räumten auf, wenn man es so nennen mochte. Sie zerrten die Leichen in die Mitte der Halle, trugen Kanister mit Benzin herbei. Ein Bestandteil der Mafiaarbeit, den ich verabscheute.

Carmen lag im Büro, das sich an die Lagerhalle anschloss. Blut bedeckte große Teile ihrer Kleidung. In ihrem Bauch steckte ein Messer. Niemand hatte es entfernt, ihre Wunden versorgt. Trotz dem, was sie mir angetan hatte, empfand ich Mitleid.

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt