Kapitel 49

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„Besprechungsraum. Pronto!" Ich erkannte die tiefe Stimme sofort. Krampfhaft unterdrückte ich den Schauder, der über meinen Rücken zu laufen drohte. Warum war er hier? Hatte ich die Tage zuvor gehofft, die gesamte Familie wiederzusehen, wünschte ich mich jetzt weit weg.

Ein kalter, dunkler Keller, Schläge, Schmerzen, Hoffnungslosigkeit. Die düstre Seite, die mich mit ihm verband.

Gemeinsame Mahlzeiten, Filmabende, Lagebesprechungen, Gelächter, Familie. Für wenige Monate war seine Villa mein Zuhause gewesen, sein Sohn die Liebe meines Lebens. Ich schüttelte den Kopf, verdrängte die Erinnerung.

„Ich muss mit rein, wir sprechen später." Dante drückte meine Hand, wandte sich seufzend ab. Voller Irritation sah ich auf die Finger, die von der vorherigen Umklammerung schmerzten, weil ich ihm nicht verriet, weshalb ich mit einer Waffe umgehen konnte. Vorsicht gehörte nicht gerade zu seinen Spezialgebieten. Wenigstens hatte sein Vater akzeptiert, dass ich nicht bereit war, darüber zu sprechen. Erst nach dieser Besprechung erwartete er eine Antwort. Ich drehte mich von der Gruppe weg, die brav dem Aufruf des fremden Dons Folge leisteten und zum Besprechungsraum liefen. Ich gehörte nicht zu ihnen, war hier vorläufig nur ein Gast. Es war besser für mich, wenn ich so lange in der Küche verschwand. Mit etwas Glück bekam ich dort eine süße Leckerei.

„Bambina, brauchst du eine Extraeinladung?" Seine dunkle Stimme dröhnte durch die Eingangshalle. Die Härchen auf meinen Armen schossen hoch, standen aufrecht wie Zinnsoldaten. Warum nur hatte er mich entdeckt? Schritte erklangen hinter mir. Seine dominante Aura eilte ihm voraus, zwang jedem Respekt ab, der ihm begegnete. Wieso war ich nur wieder bei der Mafia gelandet? War er wütend, weil ich ohne ein Wort verschwunden war? Widerwillig drehte ich mich zu ihm um, wartete zu Boden schauend auf das Donnerwetter. Es blieb aus. Verwirrt sah ich hoch. Seine eisblauen Augen wirkten warm, sein Mund zu einem Lächeln geformt. Keinem unechten, wie ich es in den vergangenen Wochen genutzt hatte. Es war echt und herzlich. „Komm bambina." Er legte seine Hand auf meinen mittleren Rücken und schob mich sanft Richtung Besprechungsraum.

„Lina!" Erst fiel Mick mir um den Hals, dann Sam. Beide drückten mich, als ob ihr Leben davon abhinge. „Du haust nicht wieder ab, oder? Jetzt bleibst du bei uns." Ein schwerer Stein rotierte in meinem Magen. Die Anwesenheit der Jungs verkomplizierte die Lage. Ein friedliches Dasein war mir nicht vorbestimmt. Immer kam etwas dazwischen.

„Setzt euch, wir wollen anfangen." Der Don schob mich weiter zu den zwei leeren Stühlen. Seinem und dem Platz zu seiner Linken, der aller Wahrscheinlichkeit Raffaele zustand. Wo steckte der Italiener? Bisher hatte ich ihn nirgends entdeckt. Der Mafiaboss drückte mich runter, überließ es nicht mir, dass ich mich setzte. Die Muskeln in meinem Nacken und Rücken schmerzten von der Anspannung, die seit seiner Ankunft Besitz von ihnen ergriffen hatte. Wie gern wäre ich jetzt am kalifornischen Strand, weit weg von den düsteren Machenschaften dieser Männer. Eine drückende Stille breitete sich im Raum aus. Alle Augenpaare waren auf mich gerichtet. Vor allem Dante schien mit der Situation überfordert. Sein Blick bohrte sich unaufhaltsam in meinen Körper. Seine Freunde waren keinen Deut besser. Mick und Sam dagegen strahlten wie zwei hell erleuchtete Weihnachtsbäume. Denen hatte ich später eine Menge zu erklären. Unwillig knetete ich unter dem Tisch meine Oberschenkel. Die Blicke brannten auf meiner Haut. Wie ich diese Art der Aufmerksamkeit verabscheute!

„Wie ihr wisst, gab es vor zwei Wochen einen Sturm auf das Anwesen meines Bruders in Los Angeles." Mit diesen Worten eröffnete der hiesige Mafiaboss die Besprechung. Eine eisige Kälte umklammerte mein Herz. War Raffaele aus diesem Grund nicht hier? War ihm bei dem Angriff etwas zugestoßen? „Wir haben daraufhin beschlossen, vorläufig die Kräfte der Familie hier in Toledo zu bündeln. Der gestrige Überfall beim Café beweist, dass unsere Feinde auch hier lauern."

„Darf ich kurz etwas sagen?" Dante hob die Hand, wartete respektvoll auf die Zustimmung seines Vaters. Dieser nickte. „Sie haben Dakota bei uns gesehen. Ich bin der Meinung, dass sie hier in der Villa bleiben sollte. Wenn unsere Gegner denken, dass sie meine Freundin ist, werden sie sie als Ziel für einen Anschlag aussuchen. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass ihr etwas zustößt."

„Das ist ein weiterer Punkt, den ich ansprechen wollte. Die Älteren unter euch erinnern sich womöglich noch an Daniel Evans, einen zuverlässigen Mitarbeiter, der vor fünfzehn Jahren bei einem Einsatz ums Leben kam. Dakota ist seine Tochter. Sie wird den Platz ihres Vaters einnehmen. Ich hatte mich ursprünglich dagegen entschieden, doch jetzt, wo sie bereits ihr Können unter Beweis gestellt hat, sehe ich es als eine Verschwendung von Talent, sie nicht für Missionen einzusetzen." Ich verschluckte mich an meiner Atemluft und hustete. Würde ich das? Energisch schüttelte ich den Kopf.

„Nein, das werde ich nicht." Ich stand auf, doch der Vater von Michaele zog mich zurück auf meinen Platz.

„Du hast meine zukünftige Schwiegertochter gehört, fratello mio", begann er seelenruhig, als wenn ich nicht vor Monaten ohne ein Wort zu sagen, verschwunden wäre, ihn und seine Familie im Ungewissen zurücklassend. „Mein Sohn hat seinen Fehler, sie wegzuschicken, eingesehen. Die beiden werden in wenigen Wochen heiraten." Seine Hand übte leichten Druck auf meine Schulter aus. Eine Erinnerung daran, dass er keinen Ungehorsam oder Widerworte meinerseits duldete.

„Dakota sieht nicht so aus, als ob sie mit dieser Entscheidung einverstanden ist." Dante stand auf, den Blick fest auf mich gerichtet. „Hast du sie gefangen gehalten, Onkel? Wollt Ihr sie zu dieser Ehe zwingen? Woher stammen die Narben auf ihrem Rücken?" Ich schluckte schwer. Meine Vergangenheit holte mich ein, lauerte in allen Ecken auf eine falsche Bewegung. Inbrünstig betete ich, dass der Italiener es keinem verriet. Es ging hier niemanden etwas an. Kalter Schweiß brach mir aus, rann quälend langsam meinen Rücken hinunter.

„Das ist nicht deine Angelegenheit, ragazzo." Der Don aus Los Angeles erhob sich, richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Die dunkle Aura, die ich so verabscheute, breitete sich im Raum aus. Kaltblütig starrte er jeden in Grund und Boden, der es wagte, ihn anzusehen. Ich zerrte am Kragen meines Shirts, zwang mich zu einer ruhigen Atmung. Das Knallen eines Gürtels hallte in meinem Kopf wider. Ich war mir dessen bewusst, dass ich es mir nur einbildete. Dennoch ergriff ein starkes Zittern von mir Besitz. Ich sprang auf, torkelte zur Tür, die just in dem Moment aufsprang, als ich nach der Klinke griff. Eisblau strahlte mir entgegen. Sinnliche Lippen formten Worte, die nicht zu mir durchdrangen. Meine Knie gaben nach. Eine Männerhand packte mich am Handgelenk, riss mich zurück an eine harte Brust. Schluchzend schlang ich die Arme um den vertraut riechenden Körper, dessen Schutz ich mehr denn je benötigte.

„Caralina", flüsterte mir der Mann voller Zärtlichkeit ins Ohr. „Ich habe dich vermisst, gattina."

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Ups, wer ist denn da aufgetaucht?

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt