Kapitel 17

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Ich saß zusammengekauert auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch des Dons. Raffaele stand hinter mir, seine Hände auf meinen Schultern. Seine Nähe beruhigte meine angespannten Nerven nur minimal. Sein Vater starrte uns beide einen Moment wortlos an, schien auf etwas zu warten. Die Tür fiel abermals ins Schloss.

„Il mio padrinho." Alerio, der Stellvertreter trat zu uns. Er warf mir einen optimistischen Blick zu, stellte sich dann kerzengerade vor seinen Boss. Seine Zuversicht hätte ich gerne.

„Bene, dann können wir anfangen." Raffaeles Vater zog einen Umschlag aus der obersten Schublade und schüttete den Inhalt vor mir auf die Tischplatte. Ein Smartphone, das mir verdächtig bekannt vorkam, und mein Pass. Verwirrt starrte ich die Gegenstände an. Die hatte ich doch bei Harold bei der überstürzten Flucht zurückgelassen. Wie kam er daran? War der Mann kein Unbekannter, womöglich gar ein Freund von ihm? Eiskalte Schauer rieselten meinen Rücken hinunter. Ich schluckte einige Male. Würde er mich ihm ausliefern?

„Dakota Evans, Alter siebzehn Jahre, aus Toledo." Er schob mir den Pass zu. „Kannst du mir erklären, weshalb meine Männer deine Sachen bei einem Mitglied des Pädophilenrings gefunden haben, gegen den wir kämpfen, den wir aus unserer Stadt vertreiben wollen?" Raffaeles Hände krallten sich bei den Worten seines Vaters in meine Schultern. Ich hörte ihn geräuschvoll durch die Nase atmen. Einen Augenblick schloss ich die Augen. Erwartete der Mafioso von mir, dass ich ihm alles erzählte? Es war still im Büro. Nur die Atmung der Männer und das Ticken der Uhr an der Wand waren zu hören.

„Mein Stiefvater hatte mich zu ihm in den Urlaub geschickt, weil er wohl ein alter Bekannter von ihm ist", murmelte ich. „Ich blieb nur etwa eine Woche bei ihm. Er machte Fotos von mir, bei denen ich mich unwohl fühlte. Als er mich einen Abend allein ließ, fand ich Bilder und Videos auf seinem Computer." Die Erinnerung daran ließ mich würgen. Alerio reichte mir eine Wasserflasche. Woher er die so schnell zauberte, war mir ein Rätsel. Ich hinterfragte es nicht, trank einfach einige Schlucke. „Ich floh aus dem Haus, ließ meine Sachen zurück. Von einer Telefonzelle aus, versuchte ich Michaele, den ich wenige Tage zuvor kennengelernt hatte, zu erreichen. Er hatte keine Zeit, sagte, ich sollte ihn später noch einmal anrufen. Kurz darauf tauchte Carmen auf, nahm mich mit zu sich nach Hause. Sie redete mir ein, dass Harold für die Mafia arbeitete. Deshalb nahm sie mich mit in das Restaurant, damit ich etwas aus dem Büro stahl." Ich verstummte. Tränen rannen über mein Gesicht. Bilder von den Tagen danach überrumpelten mich. Die Angst, nie mehr lebend aus dem Keller herauszukommen. Die Schmerzen von den Schlägen. Die Worte des Dons zu seinem Sohn. „Schaffe die Kleine dann weg", flüsterte ich. Eine warme Hand streichelte meinen Rücken.

„Padre, lass bitte Dakota ziehen." Raffas Stimme klang ungewohnt bittend. Wenigstens er war auf meiner Seite. Alerio blieb dagegen auffallen still, obwohl er die vergangenen Wochen oft wiederholt hatte, wie wichtig es war, dass ich rechtzeitig fit wurde.

„Nein, sie wird hierbleiben. Nach dem, was vorgefallen ist, kann sie nicht zu ihrer Familie zurück." Der Don wandte den Blick von seinem Sohn zu mir. „Die Verwechslung tut mir leid. Genauso, was danach passiert ist, aber du musst verstehen, dass ich es nicht riskieren kann, dass du zur Polizei gehst." Er packte meinen Pass und das Smartphone, warf beides zurück in seine Schublade. „Alerio hat angeboten, dich als seine Tochter anzunehmen. Du erhältst eine neue Identität, wirst ein Teil unserer Familie. Oder du fristest dein Dasein als Hausangestellte. Was ist dir lieber?" Mein Magen verkrampfte sich. Nie wieder zurück nach Toledo? Zu meiner Mutter? Vermisste sie mich überhaupt, jetzt wo sie eine engelsgleiche Stieftochter hatte, auch wenn dies nur dem Aussehen nach war?

Ich sah zu dem Stellvertreter, der mir aufmunternd zulächelte. Raffaele drückte meine Schultern. Langsam drang zu mir durch, was das Angebot bedeutete. Ich durfte bei den Jungs bleiben, bei den ersten Menschen seit einer langen Zeit, bei denen ich mich wohlfühlte. Ein Gefühl von Wärme breitete sich in meiner Brust aus. Mit ruhigem Gewissen fasste ich einen Entschluss, von dem ich hoffte, ihn nie zu bereuen.

„Ich nehme das Angebot von Alerio an." Dessen erleichtertes Ausatmen zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht. Der Mann schien sich ernsthaft über meine Entscheidung zu freuen.

„Da das geklärt ist, welchen Namen willst du ihr geben? Willst du darüber noch mit deiner Frau sprechen?" Der Boss wartete geduldig auf eine Antwort seines Untergebenen. Ich spielte mit dem Saum meines Shirts. Warte? Sie wollten mich umbenennen? Wieso das? Ich knabberte auf meiner Unterlippe, hoffte angespannt auf eine Reaktion.

„Annetta und ich haben dies bereits vor deiner Rückkehr besprochen, il mio padrinho. Unsere Entscheidung ist auf Caralina gefallen." Der Don pfiff anerkennend durch die Zähne. Seine Aura hatte ihren düsteren Schleier verloren, dennoch behagte mir seine Nähe nicht. Ich betete inständig, dass es mir möglich war, ihm aus dem Weg zu gehen, wenn ich hier auf dem Anwesen blieb.

„Caralina Martinelli." Er rollte den Namen auf seiner Zunge. „Wie gefällt dir deine neue Identität?"

„Hört sich gut an", erwiderte ich zaghaft, schaute auf die Tischplatte, um seinem prüfenden Blick zu entgehen.

„Bene. Raffaele, stelle sie deiner Mutter vor. Ich bin mir sicher, dass ihr diese Entwicklung gefallen wird." Er machte eine scheuchende Bewegung mit seinen Händen. Ich sprang auf, bereit, das Büro schnellstmöglich zu verlassen. Meine Knie zitterten wie Wackelpudding. Zwei Arme schlangen sich um mich, hoben mich mühelos hoch. Ich verbarg das Gesicht an der Schulter des Italieners, der sich so aufopfernd die vergangenen Wochen um mein Wohlergehen gekümmert hatte. Aller Wahrscheinlichkeit war er froh, dass er mich nun nicht mehr zu verstecken brauchte. Ich vermutete, dass ich bald in eines der kleineren Häuser auf dem Gelände umziehen würde, die ich vom Fenster aus gesehen hatte. Mein Herz wurde schwer. Nicht mehr neben Raffaeles warmen Körper aufzuwachen war ein Preis, den ich zu zahlen hatte. Dennoch bereute ich die Entscheidung nicht.

„Bevor ich es vergesse, Caralina sollte ihr eigenes Zimmer bekommen. Außer, ihr wollt bald heiraten. Dann dürft ihr euch weiterhin ein Schlafzimmer und vor allem ein Bett teilen." Das war jetzt nicht der Ernst des Dons. Hitze schoss in meine Wangen, die ich noch fanatischer zu verstecken versuchte. Raffaeles betörender Geruch stieg mir in die Nase und ich klammerte mich wie eine Ertrinkende an ihn.

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Na da hat der Don sich dieses Mal doch etwas freundlicher verhalten als im Keller.

Was wohl Raffaeles Mutter zu der Situation sagen wird? 🤔

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt