Kapitel 51

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„La mia figlia!" Annetta stürzte auf mich zu, schlang schluchzend die Arme um meinen Körper. Ich kuschelte mich eng an die vertraut riechende Italienerin, versteckte das Gesicht an ihrer Schulter. Die Blicke der Anwesenden lagen auf uns. Vereinzelt hörte ich Raunen, Getuschel. Jetzt würde jeder erfahren, wo ich einige Zeit gelebt hatte. Was mir dort widerfahren war. Wieso war ich nicht geflüchtet, bevor hier alles ans Licht kam? Raffa verhielt sich nach wie vor wie ein Idiot, unfähig, zu seinen Gefühlen zu stehen. Dante hielt sich für unwiderstehlich und rückte mir auf die Pelle. Beides Gründe, um schnellstmöglich zu verschwinden.

„Caralina!" Alerio zog mich aus den Armen seiner Frau, drehte mich zu sich um. Ich schluckte, als ich den gequälten Blick in seinen Augen sah. Ich hatte ihn enttäuscht, sein Vertrauen mit Füßen getreten. Akzeptierte er mich weiterhin als seine Tochter oder war ich ab jetzt auf mich allein gestellt? „Ti prego, non scappare di nuovo, figlia mia." Er bat mich, nie wieder abzuhauen. Ich schlang die Arme um seinen Hals, genoss es, wie er mich fest an sich drückte.

„Mi dispiace, papà." Tränen strömten, ich schaffte es nicht mehr, sie zurückzuhalten. Er und Annetta waren meine Familie. Meine Eltern, die mich bedingungslos liebten.

„Lo so, figlia mia." sanft streichelte er mir über den Rücken. „Raffaele hat noch viel zu lernen, wie man die wichtigste Person in seinem Leben behandelt." Alerio trat einen Schritt zurück, hielt mich auf Armlänge von sich. „Ich glaube, ich schlafe heute Nacht dann mal auf dem Sofa, damit du und Annetta das Bett haben."

„Lina kann doch bei uns schlafen." Erst rammte mich ein Junge, dann flog mir der zweite auch noch um den Hals. Michaele und Sam. Erneut heulte ich los wie ein Schlosshund. Wie sehr hatte ich die zwei vermisst. „Nicht weinen, Lina, wir sind doch bei dir." Ich versteckte mein schniefendes Selbst in ihrer Umarmung. Teleportierte uns mal jemand in deren Zimmer? Meine Beine fühlten sich wie Wackelpudding an. Die Aufregung der vergangenen Stunden forderte ihren Tribut, indem sie mir die letzte Kraftreserve raubte.

„Das halte ich für keine gute Idee", knurrte Alfonso, der alles von der Seite aus beobachtet hatte. Seine Pranken auf je einer Jungenschulter zog er sie von mir weg. „Dakotas Vater war mein bester Freund. Ich lasse nicht zu, dass sie erneut verletzt wird."

„Schon in Ordnung, Alfonso." Ich rang mir ein kleines Lächeln ab, das auf meinem verheulten Gesicht vermutlich beängstigend aussah. „Mick und Sam tun mir nichts. Genauso wenig wie meine Adoptiveltern." Ich hörte, wie Alerio sich räusperte.

„Michaele, bring bitte Caralina in Sicherheit, bevor dein Bruder hier auftaucht. Ein weiteres Aufeinandertreffen an diesem Tag wäre für beide nicht ratsam." Mein Adoptivvater wandte sich Alfonso zu. „Ich würde in der Zwischenzeit gerne mehr über den Vater meiner Tochter erfahren."

„Capisce." Ich verlor den Boden unter den Füßen, als der Italiener mich hochhob. „Ich glaube, wir müssen dir mal wieder etwas Anständiges zu essen bereiten. Bist ja halb verhungert." Mick trug mich zum Aufzug, dessen Tür direkt zur Seite glitt. „Möchtest du eigentlich zwischen uns schlafen? Dann können wir dich besser beschützen."

„Das schulden wir dir auch, nachdem du uns beiden das Leben gerettet hast", fügte Sam hinzu. Der Blonde zog sein Shirt aus, wischte damit behutsam mein Gesicht ab.

„Laut Raffa ist es aber nicht so ratsam, zwischen euch zu liegen", murmelte ich, ein Gespräch aus der Zeit im Kopf, als ich noch glaubte, dass der Italiener mich nur widerwillig gesundpflegte.

„Lina! Meinst du nicht, dass wir uns einmal benehmen können?" Mick klang empört, doch ich hörte einen amüsierten Unterton heraus. „Aber vielleicht möchtest du gar nicht, dass wir brav sind."

„Blödmann!", knurrte ich. Sam kicherte, wurde gleich darauf wieder ernst.

„Wenn du so weitermachst, zieht sie freiwillig zu Raffa. Das können wir doch nicht zulassen", rügte er seinen Freund. Ich schnaubte. Als ob! Aus freien Stücken lief ich nicht zu dem Mistkerl, für den ich nicht mehr als ein Spielzeug war. Erst wenn er mir bewies, dass ich ihm wirklich wichtig war, würde ich bereit dazu sein, ihm zu vergeben.

Der restliche Tag verlief friedlich. Annetta brachte uns Essen hinauf, schimpfte ebenfalls darüber, wie dünn ich doch geworden war. Sie übertrieb in meinen Augen, doch es war nur die Sorgen einer Mutter, die aus ihr sprachen. Was meine Eigene mir nicht geben wollte, erhielt ich von ihr tausendfach. Zum ersten Mal seit Monaten fühlte ich mich wieder zu Hause, in einer Familie aufgenommen. Menschen, die sich um mein Wohlergehen sorgten, denen ich nicht egal war.

Doch je näher die Schlafenszeit rückte, desto größer die Unruhe, die von meinem Körper Besitz ergriff. Er sehnte sich danach, in den Armen des Mannes zu liegen, der mir am Morgen den Tag versaut hatte. Mit seiner Unfähigkeit, seine Gefühle zu äußern. Missmutig starrte ich auf das große gemütliche Bett der Jungen. Ihr Zimmer lag genau neben dem, in dem ich einige Zeit gewohnt hatte und das Raffaeles war, wenn sie bei Dante zu Besuch waren. Was die Einrichtung erklärte. Ich seufzte.

„Na komm, Lina." Sam, der sich einen Platz bereits gesichert hatte, klopfte auf die Matratze. Genau in der Mitte des Bettes. Stirnrunzelnd sah ich zu ihm. Warum eigentlich nicht? Die Jungen würden mir nichts tun, mich stattdessen beide in ihren Armen halten. Ich kletterte zu ihm, wartete darauf, dass Mick das Licht löschte. Wenig später waren wir in Dunkelheit gehüllt. Einzig unsere Atemzüge waren zu hören. Wärme, Geborgenheit. Ich schloss die Augen, beschützt vor allen Gefahren.

Irgendwann in der Nacht wachte ich auf. Die Jungs kletterten aus dem Bett. Ließen mich allein zurück. Vielleicht für ein wenig Spaß im Bad. Eine Tür quietschte leise. Ich mummelte mich in der Decke ein, fiel erneut in einen tiefen Schlaf. Einige Zeit später spürte ich, wie jemand hinter mir ins Bett krabbelte. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen und ich robbte weiter auf die zweite Hälfte, um Platz zu machen. Ein Arm schlang sich um meine Taille, ein warmer Körper presste sich an meinen Rücken. Der Junge küsste mich sanft auf die Schläfe, bevor ich erneut zufrieden einschlief.

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Süß von den Jungs, oder?

Wie wird Raffa reagieren?

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt