Kapitel 30

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„Mia figlia, wo bist du nur mit deinen Gedanken?" Ich ließ die Waffe sinken und beantwortete Alerios Frage mit einem Gähnen. In den vergangenen Tagen hatte eine bleierne Müdigkeit das Regime über meinen Körper übernommen. Wenn ich nicht gerade würgend nach Luft schnappte. Mit irgendetwas hatte ich mir den Magen verdorben.

„Bin halt zur Zeit oft müde", erwiderte ich schließlich schulterzuckend. „Raffaele meinte schon, dass wir es mit dem Training wohl übertrieben haben. Daher scheucht er mich momentan weniger hin und her."

„Dauert das noch länger an, lässt du einen erweiterten Bluttest machen. Falls deinem Körper Vitamine oder Mineralien fehlen, finden wir es so schnell heraus. Ein Eisenmangel scheint mir ganz logisch, da dieser bei Frauen recht häufig vorkommt. Vor allem, wenn sie exzessiv trainieren." Mein Ziehvater nahm mir die Waffe ab, packte sie auf den Tisch. „Geh ins Haus und ruh dich aus. Für heute Abend hat der Don ein Meeting anberaumt und mich gebeten, dich mitzubringen."

„Mille grazie." Ich flitzte an ihm vorbei, vom Schießstand über das Anwesen zur Villa. Auf die Besprechung freute ich mich nicht, doch ein wenig auf dem Bett zu faulenzen, klang verlockend. Die Tür öffnete sich wie von Geisterhand vor meiner Nase und ich stolperte über die Schwelle in zwei starke Arme. Ich erstarrte wie ein Kaninchen angesichts einer Schlange.

„Caralina, du solltest lernen, auf deine Umgebung zu achten. Sonst rennst du bei einer Mission blindlings in einen Hinterhalt." Der Don sah tadelnd auf mich hinunter. Ich schluckte nervös, linste an ihm vorbei in die Eingangshalle. Wo war Raffa nur, wenn man ihn brauchte? Die großen Hände seines Vaters ruhten schwer an meinen Oberarmen. „Wo wolltest du überhaupt so schnell hin?"

„Ich wollte mich ein wenig hinlegen", gab ich leise zu, unterdrückte mit Mühe ein Zittern. Der Mann flößte mir nach wie vor Angst ein, trotz des Bogenschießtrainings, bei dem ich mittlerweile zuverlässig die Mitte der Zielscheibe traf. Ich hatte mich, so weit wie es mir möglich war, an seine Nähe gewöhnt. Dennoch, er war der Boss einer Mafiafamilie, der mich in seinem Keller gefoltert hatte. Erschwerend kam nun hinzu, dass Raffa und ich unsere Beziehung vor ihm verheimlichten. Ich schluckte schwer.

„Bene." Er nickte mir zu. Sein Blick glitt prüfend über mein Gesicht. Tiefe Furchen erschienen auf seiner Stirn. „Ruhe dich aus. Ich erwarte von dir, dass du achtsam mit deinen Ressourcen und Fähigkeiten umgehst. In unserer Branche kann man sich Nachlässigkeit durch Übermüdung nicht leisten." Der Don ließ meine Arme los, wies mit dem Kinn Richtung Treppe.

„Mi dispiace, padrinho", entschuldigte ich mich reflexartig und senkte den Kopf. Obwohl es nur ein Hinweis, kein schwerer Rüffel war, flüsterte mir eine leise Stimme gehässig etwas zu. Ich würde nie gut genug sein. Das würde sich niemals ändern. Die Sicht verschwamm ein wenig vor meinen Augen. Schwerfällig stieg ich die Stufen hoch. Niemand begegnete mir auf dem Weg zum Schlafzimmer. Weder Mick und Sam noch Raffaele, in dessen Arme ich mich sehnte. Was sah er nur in mir? Ich war ein Nichts, wie mir der Don gerade wieder gezeigt hatte. Ich brachte der Familie nur Sorgen. Ein Schluchzer entfloh meiner Kehle. Leise schloss ich die Zimmertür ab, warf mich auf das Bett. Tränen versickerten im Kissen, durchnässten es mit der Zeit. Die körperliche und die mentale Erschöpfung forderten ihren Preis, griffen nach mir mit unzähligen Händen und rissen mich tief in eine alles verschlingende Dunkelheit.

„Caralina?" Heftiges Poltern an der Zimmertür ließ mich hochschrecken. Ich holte nach Atem schnappend Luft. Mein Herz schlug dabei unregelmäßig in meiner Brust. Wer? Was? „Caralina, mach die Tür auf!" Ich sprang vom Bett, verhedderte mich fast in der Decke und stolperte vorwärts, um aufzuschließen.

„Sorry, ich bin eingeschlafen", murmelte ich zur Verteidigung, als Raffa mit energischen Schritten ins Zimmer eindrang. „Wenn ich verschlafen habe, tut es mir leid." Ich wich vor ihm zurück und seinem inquisitiven Blick aus.

„Du hast wieder geweint." Eine simple Feststellung, die mir neue Tränen in die brennenden Augen trieb. Ein fester Griff um mein Handgelenk, ein Ruck. Ich prallte gegen seine harte Brust. „Was ist los, gattina? Wie kann ich deinen Schmerz lindern?" Sanft streichelte er meinen Rücken.

„Alles in Ordnung. Es ist nichts." Ich wischte mir übers Gesicht. „Bin einfach nur müde und emotional."

„Das gefällt mir nicht." Raffaele ließ mich los, hob mit dem Zeigefinger mein Kinn an, damit ich ihn ansah. „Dabei haben wir das Training schon zurückgefahren. Wenn es in ein paar Tagen nicht besser ist, lass ich dich ordentlich von unserem Arzt durchchecken. Außerdem," wisperte er mir zu „wird das ganze Versteckspiel bald ein Ende haben. Ich werde meinen Eltern reinen Wein einschenken. Dann brauchst du nicht an der Mission teilnehmen." Ich riss die Augen weit auf. Das war nicht sein Ernst!

„Aber ich habe doch so hart dafür trainiert!", protestierte ich sofort. Gleichzeitig funkten irgendwelche Gehirnzellen in den hintersten Windungen meines Gehirns mich an. Was hatte er davor gesagt? Egal, das hatte Zeit.

„Mir ist klar, wie viel du trainiert hast, um an Missionen teilzunehmen." Er zerrte mich zurück in eine Umarmung. Beide Arme fest um meinen Körper geschlungen, bemerkte ich, dass Raffa leicht zitterte. „Aber ich will nicht, dass du dich in Gefahr begibst. Sowie feststeht, dass wir heiraten, wird mein Vater dich von sämtlichen lebensbedrohenden Situationen fernhalten."

„Und ihm damit beweisen, dass ich wirklich absolut nutzlos bin?" Meine Stimme zitterte.

„Das ist der Grund, weshalb du geweint hattest, nicht wahr?" Raffa hob mich hoch und lief mit mir in den Armen in das kleine angrenzende Bad. So behutsam, als ob ich aus Glas wäre, setzte er mich dort ab. Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, sah mehrfach zweifelnd zu mir. Ich kauerte mich instinktiv zusammen. „Ich verstehe ja, dass du dich beweisen möchtest. Ich habe einfach nur Angst, dass dir etwas passiert, cara."

„Per favore! Nur dieses eine Mal", flehte ich. Meine Finger krallten sich wie von selbst in sein Shirt, zerrten ihn zu mir. Ich schlang die Arme um ihn, kuschelte mich eng an und rieb meinen Kopf an seiner Schulter. „Nur dieses eine Mal", wiederholte ich wispernd.

„Na meinetwegen", brummte er, küsste mich sanft auf den Schopf. „Aber wirklich nur diese eine Mission. Danach gehen wir zu meinem Vater und gestehen ihm unsere Beziehung." Raffa ließ mich los, wandte sich zum Gehen. Beim Türpfosten drehte er sich zu mir um. „Versprich mir aber eines. Du wirst vorsichtig ein. Wenn es brenzlig wird, versteck dich irgendwo. Gehe kein Risiko ein. Deine Sicherheit ist mir weitaus wichtiger, als dass du dich mir oder irgendwem beweist."

„Versprochen." Ich schenkte Raffa ein zaghaftes Lächeln. „Ich glaube, ich sollte noch schnell vor der Besprechung duschen." Er nickte mir zu und verschwand. Ich grinste in mich hinein. Hätte ich eine Diskussion gestartet, hätte er es mir nicht erlaubt. Raffaele hätte seinen Dickkopf durchgesetzt und damit wäre das Thema vom Tisch gewesen. So wie am Anfang, nachdem er mich aus dem Keller befreit und verarztet hatte. Doch seitdem hatte ich einige Tricks im Umgang mit störrischen Italienern gelernt. Vergnügt pfiff ich die Melodie eines Liedes von dem Addams Family Zeichentrickfilm, den er mit mir geschaut hatte, um mich aufzuheitern. Ich hatte ihm zu dem Zeitpunkt schon etwas bedeutet. Wieso hatte ich es nicht eher bemerkt? Ich zuckte mit den Schultern. Die Vergangenheit war unwichtig. Nun zählte einzig die Zukunft.

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Dakota will sich also beweisen. Klug oder eher unklug?

Was haltet ihr davon, dass Raffa es erst nicht erlauben wollte, sich dann aber doch hat breitschlagen lassen?

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt