Kapitel 38

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Wie war ich auch wieder auf diese glorreiche Idee gekommen? Ich drehte mich mit meinem alten klapprigen Schreibtischstuhl im Kreis. Hausarrest, bis ich die Prüfungen bestanden hatte, mit denen die Schule feststellen wollte, ob ich ein Jahr wiederholen musste oder an den Abschlussprüfungen teilnehmen durfte. Der Unterrichtsstoff war mehr als öde. Hatte ich früher schon gute Noten geschrieben, würde es dieses Mal noch leichter werden. In der Zeit bei den Santoros hatte ich von deren Privatlehrer mehr gelernt als meine Mitschüler im Unterricht, wie es schien.

„Dakota." Meine Mutter klopfte an die Tür. „Wir gehen jetzt essen. Du kannst dir ja eine Scheibe Brot schmieren." Ich schnaubte leise in mich hinein. Das war mal wieder typisch. Mein Stiefvater wollte mich zur Abwechslung wieder demütigen. Weil ich ihnen so große Sorgen bereitet hatte. Guter Witz. Dabei war er es doch, der mich weggeschickt und damit in Gefahr gebracht hatte. „Hast du mich gehört, Dakota? Du darfst das Haus nicht verlassen."

„Ja, habe ich." Hielt sie es nicht einmal für notwendig, mit mir von Angesicht zu Angesicht zu sprechen, oder war sie in Eile? Ich zuckte mit den Schultern. Welchen Unterschied machte es schon? Ich war allein, egal wo ich lebte.

Kurze Zeit später zogen sie die Haustür hinter sich ins Schloss. Ich atmete auf. Bücher zu und ab ins Bett. Nun bekam es niemand mehr mit. Nach Essen war mir nicht zumute. Ein paar Pekannüsse waren ausreichend. Ohne den ständigen Sport war mein Appetit rapide gesunken. Ich vermisste das Training, die Endorphine, die mein Körper danach immer ausschüttete. Wieso ging ich nicht zumindest Joggen? Ach ja, weil Mama mir verboten hatte, das Haus zu verlassen. Dann halt Übungen, die in den eigenen vier Wänden möglich waren. Ich sprang auf, kramte im Schrank nach geeigneter Kleidung. Schnell zog ich mich um, schlüpfte in die Sportschuhe.

Eine Stunde später tropfte mir der Schweiß von der Stirn. Ob Hampelmänner, Sprints auf der Stelle, Kniebeugen oder Liegestütze, ich hatte sie mit einer eisernen Disziplin durchgezogen, bei der Michaele erblassen würde. Mein Puls raste, ein tiefer Atemzug verkam zum Gähnen. Jetzt schnell eine warme Dusche, dann ab ins Bett.

Etwas später streckte ich mich dort aus. Im Vergleich zu dem gemütlichen Zweipersonenbett von Raffa kam mir dieses mickrig vor. Ich seufzte laut. Das war es auch. Kaum größer als ein Kinderbett und wie der Rest meiner Einrichtung uralt. Britt dagegen hatte ein modernes Jugendzimmer mit allem möglichen Schnickschnack. Nur noch wenige Monate, dann war ich hier weg. Für Mama hätte ich nicht zurückzukommen brauchen. Mutterliebe sah anders aus. Einzig wenn ich brav lernte, schien sie zufrieden zu sein. Ich war halt nicht ihr blonder Engel.

„Was habe ich nur verbrochen, dass sie Britt mehr liebt als mich, ihre bluteigene Tochter?" Ich starrte hoch an die einst weiße Decke. Wieso war ich nur so blind zurückgekehrt? Hier bedeutete ich niemandem etwas. Doch das Angebot der Italienerin anzunehmen, erschien mir ebenfalls falsch. Dort tauschte ich nur eine Mafiafamilie gegen eine andere ein. Die Mafia hatte mir einiges eingebrockt, gleichzeitig vieles über mich selbst, meine Stärken und Schwächen gelehrt. Jetzt war es an der Zeit, dass ich lernte, auf eigenen Beinen zu stehen, nie mehr abhängig von anderen zu sein. Unten klappte die Haustür. Gelächter drang zu mir hinauf, in den hintersten Winkel, wo ich wie ein Einsiedler hauste. Doch nicht mehr lange.

Am nächsten Morgen lief ich wie gewohnt zur Schule. Beim Aufstehen hatte ich mir fest vorgenommen, die Direktorin zu bitten, mir zu erlauben, mich bereits heute den Prüfungen zu unterziehen. Hatte ich diese aus dem Weg geräumt, stand es mir mit Sicherheit wieder frei, das Haus zu verlassen. Eine Wohnung suchte sich nicht von allein. Je eher ich mein Elternhaus verließ, umso besser. So wie heute früh als Britt ihren Hintern aus dem Bett schwang, als ich gerade zur Haustür stürmte. Ohne ihren Papi, der sie überall hinkutschierte, wäre sie später einmal aufgeschmissen. Oder sie warf sich einem reichen Kerl an den Hals, der alles für sie regelte.

„Guten Morgen Dakota. Du siehst aber entschlossen aus." Simon, ein Junge, mit dem ich einige Fächer zusammen hatte, tauchte neben mir auf. „Was hat denn unser kleiner Nerd heute vor?"

„Du hörst dich gerade an, als ob du schlecht im Unterricht wärst." Ich schmunzelte. Er gehörte zu den wenigen Menschen, zu denen ich Kontakt hatte. Nie fragte er nach den Monaten, in denen ich verschwunden war, unterhielt sich stattdessen mit mir über unverfängliche Themen.

„Im Gegensatz zu dir bin ich das auch." Er lachte leise. „Wer nicht? Du bist uns allen weit voraus." Simon schaute mich von der Seite an. Neugierde lag in seinem Blick, doch die Frage blieb aus.

„Na dann kann ich ja beruhigt heute die Prüfung ablegen. Wünsch mir Glück." Ich ließ ihn stehen und verschwand im Schulgebäude, auf dem Weg zum Verwaltungstrakt.

Einige Stunde später stand ich erschöpft am Rande des Schulhofs. Zweifel plagten mich. Ich hatte die Aufgaben schnell bewältigt, jede Antwort noch einmal kontrolliert. Es stimmte alles, dennoch war ich hin- und hergerissen. Was, wenn ich mich selbst völlig überschätzt hatte? Es mir nur einbildete, dass ich korrekt geantwortet hatte? Mein Stiefvater würde mich nur noch mehr spüren lassen, für wie nutzlos er mich hielt. In seinen Augen war ich ein unfähiges Dummchen.

Du bist nicht dumm, sondern hast Angst.

Ich zuckte zusammen. Die Worte des Dons, die in meinem Kopf widerhallten, erinnerten mich daran, dass meine Familie mich immer niedergemacht hatte. Im Gegensatz zu ihm, der mir zeigte, wozu ich mit ein wenig Unterstützung fähig war. Ich ballte die Fäuste, atmete tief durch. Konzentration, Meditation. Weder mein Stiefvater noch seine missratene arrogante Tochter hielten mich davon ab, meine Ziele zu verwirklichen. Schritt eins, aus der Hölle ausziehen. Schritt zwei, das College abschließen. Die letzten paar Wochen High-School bis zum Schulende waren ein Kinderspiel.

„Hey Dakota, wie lief es?" Simon gesellte sich abermals an meine Seite.

„Ganz okay." Ich zuckte mit den Schultern.

„Bescheiden wie immer. Aber da du die Prüfung mit Sicherheit bestanden hast und damit zur Abschlussprüfung zugelassen wirst, kommst du doch sicher mal mit auf eine Party, oder?" Ich drehte mich abrupt zu ihm um, musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen. Woher kam sein Interesse an meiner Person? Ich gehörte nicht zu den geselligsten Mädchen der Schule, war seit jeher eine Außenseiterin. „Ich meine, ein wenig Abwechslung wäre doch mal schön", fügte er schnell hinzu, als er meinem misstrauischen Blick bemerkte.

„Ich bin nicht so der Partytyp." Ich wandte mich ab. Italienisches Gelächter hallte in meinen Ohren wider. Die Hochzeit, das Gespräch mit Gina, der Alkohol, der mir alles eingebrockt hatte. Ohne die Feier würde ich jetzt noch bei Raffa sein. Vielleicht hätte sich unsere Beziehung langsamer entwickelt, nach der Mission, mit der ich seine Liebe verloren hatte.

„Falls du deine Meinung änderst, ich würde mich sehr freuen, wenn du hinkommst." Er schenkte mir ein breites Grinsen, das ich lächelnd erwiderte. Manchmal war er ja ganz süß.

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt