Wo zum Teufel steckte Raffa? Ich zerknüllte die Bettdecke zum gefühlten tausendsten Mal an diesem Tag unter meinen Händen. Die Mission war eine Woche her. Sieben Tage, an denen ich mich auf der Krankenstation langweilte. Jeder, aber auch wirklich jeder hatte mich besucht.
Sam, dessen Hals grün und blau vom Würgen war, und der anfangs kaum einen Ton herausbrachte, weil seine Stimmbänder in Mitleidenschaft gezogen waren.
Mick, der sich hundert Mal dafür entschuldigte, dass er uns dazu überredet hatte, unseren Posten zu verlassen und in Gefahr zu begeben. Er sah noch zerschlagener aus als ich. Obendrein hatte er sich bei seinen verzweifelten Abwehrversuchen einen Arm gebrochen.
Der Don und seine Ehefrau kamen ebenso häufig vorbei wie Alerio und Annetta. Die Frauen redeten fast unentwegt über die bevorstehende Hochzeit, die sie liebevoll planten. Nur gelegentlich gebremst von den Männern, wenn diese bemerkten, dass es mir zu viel wurde.
Ich ließ meinen Blick durch den Raum wandern. Stofftiere tummelten sich wie Ameisen auf den Fensterbänken. Mitbringsel von den Bodyguards der Familie, die mich besuchten und mir dazu gratulierten, dass ich mich so tapfer geschlagen hatte. Nur einer tauchte nicht auf.
Raffa.
Meine Augen füllten sich mit Tränen. Zum wievielten Mal? Ich hatte das Zählen aufgegeben. Je mehr Zeit ich ohne ihn verbrachte, desto mehr fühlte ich mich von ihm verstoßen. Nahm er es mir übel, dass ich das Baby verloren hatte? War er wütend, weil er glaubte, dass ich ihm die Schwangerschaft verheimlicht hatte? Oder lag es daran, dass sein Vater darauf bestand, dass wir heirateten? Da war doch alles nicht meine Schuld!
Jemand klopfte an. Schnell wischte ich mir die Tränen ab, bevor die Tür aufschwang. Der Arzt der Familie trat ein, gefolgt von meinem Ziehvater.
„Caralinas Wunden sind hervorragend verheilt. Von der anderen Verletzung wird sie ebenfalls keine bleibenden Schäden zurückbehalten. Von daher sehe ich kein Problem dabei, dass sie in ihr Zimmer zurückkehrt." Ein kleiner Hoffnungsschimmer am Horizont. Wenn ich erst wieder an den gemeinsamen Mahlzeiten teilnahm, sah ich endlich Raffaele wieder. Dann hatte er keine Möglichkeit mehr, mich zu ignorieren.
„Das sind hervorragende Neuigkeiten." Alerio klatschte laut in die Hände, drehte sich breit lächelnd zu mir. „Hast du es gehört, la mia figlia? Ich darf dich mitnehmen. Hätte der Weißkittel hier es nicht erlaubt, hätte ich dich heute entführt." Er zog seine Waffe halb aus dem Jackett und zwinkerte mir verschmitzt zu. Ich schmunzelte. Mein neuer Papa war der Beste.
„Soso, du würdest mich also bedrohen, alter Freund. Nimm deine Tochter bloß mit. Die geht mir hier sonst noch die Wände hoch." Er scheuchte uns aus dem Krankenzimmer.
„Du hast wieder geweint", erwähnte er so beiläufig, als ob er über das Wetter sprach. Eine Feststellung, die keiner Antwort bedurfte. „Ich bin mir sicher, ich kenne den Grund, meine Tochter. Es ist wegen Raffaele, nicht wahr?"
„Er hat mich nicht einmal besucht", murmelte ich. Die zuvor fröhliche Atmosphäre löste sich auf wie Eis in der Sonne. „Was habe ich getan, dass er mich so ignoriert?" Ein Schluchzer entwich mir. Alerio zog mich an seine Brust, streichelte mir behutsam über den Rücken.
„Gib ihm Zeit", raunte er. „Raffaele war es, der dich bewusstlos gefunden hat. Seitdem ist er verschlossen, spricht kaum mit uns. Als zukünftiger Don wird von ihm erwartet, dass er seine Gefühle immer unter Kontrolle hat. Doch auch das Oberhaupt der Familie hat Angst um die geliebten Personen. Raffa ist mit der Situation genauso überfordert wie du. Sei ihm bitte nicht böse." Ich schniefte leise. Alerios Worte klangen plausibel. Womöglich kam mein Freund wirklich nicht mit dem Mist zurecht und war er gar nicht sauer auf mich.
„Ich bin nicht böse auf ihn. Ich war nur enttäuscht." Ich kuschelte mich an den Mann, der mich mit seiner ruhigen Ausstrahlung in Kürze beruhigt hatte. Mein Stiefvater dagegen hätte mich nie in den Arm genommen und getröstet. Aller Wahrscheinlichkeit nach noch ausgelacht. Ich hatte enormes Glück, bei dieser Familie gelandet zu sein.
„Das ist gut. Geh dich frischmachen. Wir treffen uns später zum Kaffee im Salon." Er gab mir einen kleinen Schups, lief dann zum Büro des Dons. Ich dagegen stieg die Treppe zu meinem Zimmer hoch. Kurz bevor ich den Gang erreichte, hörte ich die Stimmen zweier streitender Jungen.
„Hast du völlig den Verstand verloren? Ist dir klar, was du damit angerichtet hast?" Raffa. Mein Freund schrie wie ein Besessener jemanden an. Der Zweite antwortete so verhalten, dass ich nicht erkannte, wer es war. Doch das Raffa gerade durchdrehte, hörte ich laut und deutlich. Ich sprang die letzten Stufen hinauf. Was ich kurz darauf sah, brachte mein Herz vor Schreck aus dem Takt.
Raffaele presste seinen Bruder brutal gegen die Wand, drückte mit dem Unterarm auf dessen Kehle. Mick ließ es widerstandslos über sich ergehen. Sein eingegipster Arm, mit dem er den Älteren einen schmerzhaften Schlag verpassen könnte, hing kraftlos an seiner Seite. Wieso wehrte er sich nicht? Ich stolperte vorwärts.
„Raffa, per favore, höre bitte auf", flehte ich ihn an. Langsam, mechanisch anmutend, drehte er den Kopf zu mir. Die Wangenknochen stachen hervor. Hatte er in den vergangenen Tagen abgenommen? Dunkle, fast schwarze Ringe unter den Augen, die tief in ihren Höhlen lagen. Der übliche Schalk hatte das Feld geräumt. Einzig Eiseskälte war geblieben. Die gleiche Kälte wie bei seinem Vater, als er mich im Keller gefoltert hatte. Ich atmete scharf ein, trat schnell einen Schritt zurück.
„Fuori!" Meinte er mich? Sollte ich Leine ziehen? Fassungslos sah ich ihn an. Raffaele packte Mick am Kragen, stieß seinen Bruder weiter in den Gang hinein. „Vattene prima che cambi idea." Michaele sollte verschwinden, bevor der Ältere es sich anders überlegte. Eine weise Entscheidung. Ich nickte dem Braunhaarigen zu, der zögernd den Rückzug antrat. Kaum war er aus unserer Sicht verschwunden, packte Raffa mich grob am Arm.
„Komm mit." Er zerrte mich zu meiner Zimmertür. „Du wirst ab jetzt auf mich hören. Aktionen wie die Mission gibt es nicht mehr. Ich dulde es nicht, dass du dich nochmals in Gefahr begibst." Fassungslos starrte ich ihn an. Ich öffnete den Mund zu einer Erwiderung, doch er fuhr mich direkt an, seine Miene hart wie Stahl. „Widerworte kannst du dir sparen. Du tust ab jetzt genau das, was ich dir sage. Sonderwünsche kannst du vergessen. Geh auf dein Zimmer, ich rufe dich später." Der Italiener öffnete die Tür, schubste mich in den Raum. Ich stolperte, landete auf allen vieren auf dem Boden. Die Zimmertür fiel krachend zu, das Schloss knackste. Hatte er mich gerade eingeschlossen? Was war nur mit meinem liebevollen Freund passiert? Tränen schossen mir in die Augen. Ich rappelte mich mühsam vom Fußboden hoch und warf mich auf das Bett.
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Da ist wohl jemand auf 'nem Powertrip. Hättet Ihr das von Raffa erwartet?
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Verdammte Mafiosi
ActionNeugier ist der Katze Tod, sagen sie. Für Dakota dagegen eine Möglichkeit, Schlimmerem zu entgehen. Panisch flüchtet sie vor dem Mann, bei dem sie die Ferien verbringen sollte. In einer Stadt, in der sie außer ihm nur zwei weitere Menschen kennt. We...