Kapitel 43

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„Du hast deine Schulden nicht rechtzeitig bezahlt", knurrte die tiefe Stimme mit dem italienischen Akzent. Faszinierend. Ich hob wie Spock eine Augenbraue. Hatte mein werter Stiefvater sich etwa Geld von der Mafia geliehen? War er ernsthaft so blöd? Die Dämlichkeit hatte Britt einwandfrei von ihm. Wenigstens hatte Dante mich mit seiner Bemerkung im Restaurant vorgewarnt. „Jetzt wirst du sie auf eine andere Art zurückzahlen. Unser Don hatte da eine ausgezeichnete Idee. Alfonso, Ferro, was haltet ihr davon, seine Tochter zu suchen? Mal schauen, wieviel sie ihm wert ist." Ich hielt mich an der Spüle fest und gluckste leise in mich hinein. Blondie bei der italienischen Mafia? Das würde ich zu gern beobachten. Sie würde sich sofort Dante an den Hals schmeißen, damit er sie mit Geschenken überhäufte. Oder ihm untertänigst einen blasen.

„Ciao bimba, wie wäre es, wenn du brav mit mir zu meinem Boss mitkommst? Dann passiert dir auch nichts." Der etwa vierzigjährige Mafioso, der für seine Statur erstaunlich leise eingetreten war, musterte mich einen Moment. Theatralisch ließ ich das Geschirrtuch an Ort und Stelle auf den Fußboden fallen und lief hoch erhobenen Hauptes an ihm vorbei Richtung Wohnzimmer. Der Glatzkopf folgte mir schmunzelnd. Mein Stiefvater sah mich eintreten und sackte auf seine Knie.

„Bitte nicht meine wunderbare Tochter. Sie ist mein Augenstern. Ich werde das Geld auftreiben, das verspreche ich." Meine Augenbrauen schossen so hoch, dass ich fast Angst hatte, sie würden über die Stirn zum Haaransatz wandern. Was zog der Idiot für eine Show ab? Ich sah zu meiner Mutter, die ihr Gesicht in den Händen verbarg. Aller Wahrscheinlichkeit, um nicht laut loszulachen, bei seinem miserablen Schauspiel.

„Bene. Alfonso, sorge bitte dafür, dass sie ihre Sachen packt und nicht versucht, abzuhauen." Er musterte mich eingehend. Für einen Augenblick kämpfte ich gegen die Versuchung an, dem Mann die Zunge auszustrecken. Doch statt ihn gegen mich aufzubringen, kam mir eine grandiose Idee. Dafür benötigte ich allerdings ein wenig Hilfe. Zumindest verstand ich jetzt, warum sie mir erlaubt hatten, hier wohnen zu bleiben. Als Unterpfand für die Mafia.

„Na komm, bimba." Der Italiener hinter mir legte seine Pranke zwischen meine Schulterblätter. Dem gab ich gleich ein Täubchen. Was hatten die Mafiosi nur immer mit Tieren als Kosenamen? Leise vor mich hin grummelnd stieg ich mit ihm an meiner Seite die Treppe hoch. „Wo ist dein Zimmer, piccola?"

„Dort." Ich wies auf eine Tür, die mit dem Poster eines spärlich bekleideten Sängers beklebt war. Umständlich kramte ich in den Hosentaschen. „Kannst du sie bitte aufbrechen? Ich finde meinen Schlüssel nicht." Er sah stirnrunzelnd zwischen mir und der Zimmertür hin und her, dann lief er achselzuckend darauf zu. Kurz betrachtete er das Material. Ich verkniff mir ein Grinsen, wusste ich doch, dass sie nur aus Pressholz, nicht aus Hartholz bestand. Mit einem kräftigen Rumms flog die Tür auf, gab den Blick in das Mädchenzimmer frei, in dem eine schlanke Blondine gerade unter das Bett kroch.

„Tja Alfonso, ich bin nur seine Stieftochter. Das da," ich wies auf den Fuß, der unter dem Möbelstück verschwand, „ist seine leibliche Tochter. Wenn ihr wollt, dass der Mistkerl seine Schulden bezahlt, wäre es schlauer, sie mitzunehmen."

„Cazzo", murmelte er. Voller Genugtuung beobachtete ich, wie er das Bett fast mühelos zur Seite schob und Britt, die panisch quiekend um sich schlug, packte und zur Treppe schleifte. Bei der obersten Stufe hielt er an. „Ferro, beweg deinen Arsch hier hoch", brüllte er. Der jüngere Mafioso joggte zu uns, sah verwirrt von mir zu meiner Stiefschwester, der die Tränen über die Wangen liefen. Nicht ein Funken Mitleid regte sich in meinem Herzen. Zu oft hatte sie mich wie Dreck behandelt. Außerdem hatte ich endlich die Gelegenheit, es meinem Stiefvater heimzuzahlen. „Übernimm sie mal und bringe sie runter zum Boss." Der andere gehorchte, zerrte die kreischende Blondine hinter sich her. „Nun zu dir. Wo ist dein Zimmer?"

„Für mich bekommt ihr von dem Alten zwar nichts, aber bitte sehr." Schulterzuckend lief ich vor zu der hintersten Tür, hinter der sich mein kleines Schlafzimmer verbarg. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich das Kopfschütteln des Italieners, den womöglich der krasse Unterschied zu Britts Zimmer irritierte.

„Non posso crederci", murmelte er, kratzte sich am Nacken. Tja, ich würde es auch nicht glauben, hätte ich nicht immer so gelebt. Ich konnte nicht den Finger darauflegen, doch etwas war gerade im Wohnzimmer in mir zerbrochen. Zielgerichtet lief ich zum Kleiderschrank, kramte die Reisetasche hervor, warf einige Kleidungsstücke hinein. Aus der hintersten Ecke pulte ich den kleinen Beutel, dessen Inhalt mir hoffentlich den Arsch retten würde. Ihn hängte ich mir um den Hals, versteckte ihn unter dem Shirt. Nachdenklich nahm ich das Bild von der Wand, das meine Eltern vor dem Tod meines Vaters zeigte. Sanft strich ich darüber, legte es zu meiner Kleidung in der großen Tasche. Zu guter Letzt stopfte ich die Schulbücher in die Schultasche. Das alles unter den Augen des Italieners, dessen Miene auf mich melancholisch wirkte. „Komm piccola, lass mich deine Sachen tragen." Er packte beide Taschen, wies mir mit einer Kopfbewegung den Weg. Ich warf einen letzten Blick auf den kleinen Raum, den ich seit dem Tod meines Vaters bewohnte. Unten angekommen stürzte mein Stiefvater auf mich zu.

„Du miese kleine Schlampe! Wie konntest du deine engelsgleiche Schwester nur verraten? Du bist ein Teufel, ein Monster, wie dein Vater es gewesen ist. Warum bist du damals nicht mit ihm zusammen gestorben?" Er holte weit aus. Ich schloss die Lider, wartete auf den Schlag. Ein Windhauch, ein Ächzen. Verwirrt öffnete ich die Augen.

„Eine Kakerlake wie du hat kein Recht mit diesem Mädchen so zu sprechen." Alfonso hielt meinen Stiefvater locker im Griff. „Boss, können wir sie mitnehmen? Sie ist Daniels Tochter." Ich zuckte unmerklich zusammen. Woher kannte er meinen wirklichen Vater? Ich sah zu meiner Mutter, deren Blick meinen kühl erwiderte.

„Nehmt sie bloß mit. Der Don hat damals bei der Beerdigung festgelegt, dass sie in die Fußstapfen von Daniel treten soll. Ich will keine Kriminellen in der Familie", zischte diese voller Abscheu.

„Du hast gut von dem Geld eines Kriminellen gelebt", erwiderte der Italiener kühl, den die anderen als ihren Boss bezeichneten. Das Oberhaupt der Mafiafamilie war er nicht. Womöglich der Sottocapo oder ein Consigliere, der sich mehr in die anrüchigeren Geschäfte einmischte. Er musterte mich abermals eindringlich. Etwas schien ihm in den Sinn zu kommen. „Wusstest du, dass dein neuer Mann deine bluteigene Tochter an einen Pädophilenring verkauft hatte? Kümmert dich das überhaupt nicht?" Regungslos sah die Frau ihn an, die ich einst geliebt hatte. Die sich liebevoll um mich gekümmert hatte. Ich war ihr völlig egal, las es an ihren Augen ab. Mein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Wieder einmal war ich von einer Person enttäuscht worden, die vorgab, Gefühle für mich zu hegen.

„Das verdammte Geld musste ich denen zurückzahlen, weil das kleine Miststück einfach abgehauen ist." Ein lautes Knacken, ein Schrei. Alfonso stieß meinen Stiefvater zu Boden, der sich wimmernd seinen Arm hielt. Emotionslos sah ich das Elend an. Nein, mit dieser Familie verband mich nichts mehr. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals runter, atmete einmal tief durch.

„Komm piccola, dieser Ort ist nicht sicher für dich." Sanft schob der glatzköpfige Italiener mich zur Haustür, die Taschen lässig über sein breites Kreuz geworfen. Sein Kollege zerrte die mittlerweile nur noch leise schluchzende Britt hinter sich her zu einem der zwei Vans. Alfonso warf meine Sachen in den zweiten Wagen. „Du fährst bei mir mit."

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Keine Ahnung, was ihr von ihm haltet, aber ich mag Alfonso. Nur die Sache mit den Kosenamen sollte er mal lassen. 🤨

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt