Die Beine versagten unter mir. Nur der harte Griff des Mannes, der mich eisern festhielt, verhinderte, dass ich zu Boden sackte. Nervös benetzte ich meine Lippen. Der eiskalte Blick der Person, die am Schreibtisch saß, jagte mir einen kalten Schauer nach dem anderen über den Rücken. Wie Eisspitzen bohrte er sich in meinen Körper. Meine Kehle war wie ausgetrocknet, selbst schlucken fiel mir schwer.
„Hattest du nicht den Auftrag bekommen, sie zu beseitigen?" Der Mann schubste mich auf einen Stuhl. Instinktiv zog ich den Kopf ein, auf Ärger gefasst. Mit der Führung durch das Gebäude hatten wir gegen einen direkten Befehl verstoßen. Das zog mit Sicherheit eine Strafe nach sich. Die Narben auf meinem Rücken fingen an, zu jucken und zu ziehen. Würde er mich wieder zurück in den Keller bringen? Ich wagte es nicht, ihm in die Augen zu schauen.
„Wirst du es meinem Vater sagen?" Die Frage, so beiläufig und kühl ausgesprochen, ließ mich Furchtbares erwarten. In Gedanken malte ich mir aus, wie ich wieder an den schweren Ketten hing, die mir in die Handgelenke schnitten. Messer, Peitschen, all die anderen Folterwerkzeuge, die dort unten auf einem Beistelltisch lagen. Ich überlegte, ob es nicht besser war, bei einem Fluchtversuch erschossen zu werden.
„Nein, aber du solltest sie trainieren. Im Moment hat sie so wenig Kraft wie ein fallendes Blatt im Herbst. Immerhin ist sie zäh genug, dass sie trotz des Nahrungsmangels überlebt hat." Der Fremde verstummte kurz. „Ohne das Wasser hätte sie es allerdings nicht geschafft." Ich horchte auf. Die Stimme war mir schon die ganze Zeit bekannt vorgekommen. War das etwa der Mann, der mir die Wasserflasche an die Lippen gesetzt hatte? Langsam drehte ich mich zu ihm. Dunkelbraune Haare, ebenso dunkle Augen. Kein Zweifel möglich.
„Danke für das Wasser." Ich schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln. Ohne seine Hilfe hätte ich nicht überlebt, wäre im Keller verdurstet.
„Prego." Er nickte mir aufmunternd zu, wandte dann seine Aufmerksamkeit wieder Raffaele zu, der vor sich hinbrütend auf dem exquisiten Ledersessel seines Vaters saß. „Du solltest sie in deinem Zimmer trainieren lassen, damit die Männer es nicht mitbekommen. Je weniger wissen, dass sie sich im Haus aufhält, desto besser."
„Dein Vorschlag gefällt mir. Ich hatte vor, sie irgendwo außerhalb der Stadt in einen Zug zu setzen, sowie es ihr besser geht." Eisblaue Augen bohrten sich in meine. Ich senkte den Kopf, knabberte auf meiner Lippe. Ein Schweißfilm bedeckte meine Handinnenflächen, die ich verbissen an der Jogginghose abwischte.
„Raffa, wir haben ein Problem." Michaele und Sam stürzten ins Büro. „Dakota ist..."
„Hier bei mir", beendete Raffaela den Satz seines Bruders, sein unergründlicher Blick auf mein Gesicht gerichtet, das sich beharrlich rosa färbte. Ich sank noch mehr in mich zusammen, wenn das überhaupt möglich war. „Bringt ein Laufband in mein Zimmer. Es wird Zeit, dass wir Piccola trainieren."
„Wie süß, du hast Dakota einen Kosenamen verpasst." Ruckartig stand der Italiener auf, die Kiefer fest aufeinandergepresst. Er starrte Sam so finster an, dass dieser fluchtartig das Büro verließ, seinen kichernden Freund hinter sich her schleifend.
„Was bedeutet Piccola?" Mit einem undefinierbaren Kribbeln im Bauch schaute ich hoch. War es wie sonst etwas Beleidigendes? Was kümmerte es mich überhaupt? Wieso raste mein Puls so, wenn er mich ansah?
„Es bedeutet Kleine", erwiderte der ältere Mann hinter mir. Seine Stimme klang amüsiert in meinen Ohren. „Wie wäre es, wenn du ihr ein wenig Italienisch beibringst, Raffaele? Dann hat sie eine weitere Beschäftigung und kommt nicht mehr auf die Idee, im Haus herumzuspazieren. Du solltest sie eh auf dein Zimmer bringen, bevor jemand sie bemerkt."
„Bene." Der Italiener sah mich an. Ich folgte seiner stummen Aufforderung und stand auf. Meine Knie fühlten sich weich wie Wackelpudding an, als er den Schreibtisch umrundete. Ich schaffte es nicht, ein Zittern zu unterdrücken. Raffaele platzierte seine warmen Hände auf meinen Hüften, hob mich mühelos hoch. Ich keuchte entsetzt auf, als er mich an seinen Körper presste. „Na los, schlinge deine Beine um mich. Ich trage dich zurück ins Zimmer. Hast dich heute ein wenig übernommen, Piccola." Schluckend gehorchte ich. Mein Blick traf auf den des älteren Mannes, dessen Rolle hier im Haus ich nicht kannte. War er ein Berater? Sein Verhalten, seine kalkulierten Kommentare wiesen darauf hin. Ein Lächeln umspielte in diesem Moment seine Lippen. Amüsierte es ihn, dass der Sohn seines Bosses mich wie ein kleines Kind trug? Ich verbarg mein Gesicht an Raffaeles Schulter, atmete tief ein. Wieso roch er so verdammt unwiderstehlich?
Wenig später setzte er mich auf dem Bett in seinem Zimmer ab. Ruhelos wanderte er auf und ab, fuhr sich mehrfach durch die nicht mehr perfekt sitzenden Haare. Eine Strähne fiel ihm in die Stirn.
„Was mache ich nur mit dir, Piccola?" Er hockte sich vor mir hin, berührte beiläufig meine Hand. Ein leichter Stromstoß schoss bis in meinen Arm. „Muss ich dich an meinem Bett festketten? Die gesamte Zeit neben dir liegen, damit du nichts anstellst? Non che mi dia fastidio." Verwirrt sah ich ihn an, versuchte, an seiner Miene zu erraten, was der Satz bedeutete. Ein verschmitztes Lächeln war alles, was er preisgab. Ich kannte ihn zu kurz, um seine Gedanken zu entziffern. „Also Piccola, was sagst du dazu?"
„Bist du nicht etwas zu alt, um dich mit mir abzugeben?" Seine Körperhaltung, seine Ausstrahlung am Schreibtisch seines Vaters hatte mich erneut in meiner Annahme gestärkt, dass er Mitte zwanzig war.
„Wer wird denn neugierig?" Raffaele lachte leise, legte seine Hand auf mein Knie, das er leicht drückte. Ich hielt den Atem an. Versuchte er mich abzulenken, mich zu manipulieren? Wie oft hatte er gesagt, dass ich nicht sein Typ war? Nie hatte er meinen Körper berührt, wenn ich unbekleidet neben ihm schlief. Er rückte näher heran, seine Lippen streiften mein Ohr, als er weitersprach. „Ich bin einundzwanzig, Piccola." Ich schluckte nervös. Log er? Mit Bedacht suchte ich Blickkontakt zu ihm. In seinen Augen blitzte etwas auf. Unbeabsichtigt wich ich zurück, auf meine Seite des Bettes. Wie ein Raubtier folgte er mir, mich stetig beobachtend, jede kleine Bewegung wahrnehmend. Schweiß brach mir aus. Hatte er die Heizung eingeschaltet? Es kam mir zwanzig Grad wärmer vor als zuvor. Unablässig näherte er sich, bis ich mich an die Wand presste.
„Mache ich dich nervös, Piccola?" Er stützte beide Arme neben mir ab, versperrte mir damit eine Flucht nach links oder rechts.
„Raffaele, bitte lass das." Ich ertrug seinen brennenden Blick nicht länger, kauerte mich zusammen und versteckte mein Gesicht zwischen den Knien.
„Dann versprich mir jetzt etwas", hauchte er mir ins Ohr. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper. Wieso reagierte ich nur so auf ihn? Mein Mund sprach, bevor mein Verstand es registrierte.
„Alles, was du von mir verlangst."
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Na, ob das mit dem Versprechen so eine blendende Idee war...
Was haltet Ihr davon, dass Raffa ihr einen Spitznamen verpasst hat?
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Verdammte Mafiosi
AksiNeugier ist der Katze Tod, sagen sie. Für Dakota dagegen eine Möglichkeit, Schlimmerem zu entgehen. Panisch flüchtet sie vor dem Mann, bei dem sie die Ferien verbringen sollte. In einer Stadt, in der sie außer ihm nur zwei weitere Menschen kennt. We...