Kapitel 44

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„Du kanntest also meinen Vater?" Leicht schwitzend saß ich neben dem älteren Mann, der uns mit unbekanntem Ziel durch die Viertel von Toledo fuhr.

„Ja, er hat mich damals unter seine Fittiche genommen, als ich beim Don anheuerte. Ich weiß noch, mit welcher Begeisterung er von dir gesprochen hat, als du gerade geboren warst." Er verstummte, starrte auf den zähen Verkehr vor uns. „Wäre er noch am Leben, wäre deins um einiges besser verlaufen. Da bin ich mir sicher."

„Ich mir auch." Ich lehnte den Kopf ans Fenster, dachte über diese ganze beschissene Situation nach. Einerseits war ich meine idiotische Familie los, denen ich eh egal war. Andererseits erwarteten die Mafiosi, dass ich in die Fußstapfen meines Vaters stieg. Blindlings griff ich mir an den Hals, zog den kleinen Beutel mit Pass und Karte für das geheime Konto an seinem Band hoch. „Alfonso. Wie viel müsste ich deinem Don zahlen, damit ich nicht für ihn zu arbeiten brauche? Ich habe einem Freund versprochen, mich nie in Gefahr zu begeben. Lieber zahle ich die Schuld ab, die durch den Tod meines Vaters entstanden ist, damit ich danach studieren und ein eigenes Leben aufbauen kann."

„Pack es weg. Der Don lässt vielleicht mit sich reden." Alfonso ließ das Lenkrad für einen Augenblick los, drückte sanft mit seiner riesigen Klaue meine Schulter. „Er wird nicht von dir erwarten, dass du Drogen vertickst oder jemanden abknallst. Kluge Mädchen wie du landen eher in Managementpositionen oder als Sachbearbeiterin in einem der Büros." Erleichtert nickte ich. Fürs Erste beruhigten mich seine Worte. Mir blieben eh nur zwei Optionen; abzuhauen oder mich der Aufgabe, die der Boss mir zuteilte, zu stellen. Solange er nicht von mir erwartete, dass ich für Britt den Babysitter spielte.

„Wir sind da", unterbrach der Mafioso meine Überlegungen. Er fuhr den Wagen in die unterirdische Parkgarage eines Hochhauses. An teuren und günstigeren Fahrzeugen vorbei bis zur vordersten Reihe in der Nähe des Lifts. „Vorteil, wenn man so lange wie ich dabei ist", erwiderte er auf meinen fragenden Blick. Er holte die Taschen aus dem Van und schob mich sanft in den Aufzug, der im Erdgeschoss hielt. „Na dann komm mal mit, piccola."

„Na wenigstens bezeichnest du mich nicht mehr als Täubchen." Es rutschte mir raus, bevor ich realisierte, dass er nicht einer meiner Freunde aus Kalifornien war. Nervös warf ich dem Italiener einen Blick zu.

„Du sprichst Italienisch?" Er packte mich an der Schulter. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Mutter davon weiß oder es sogar unterstützt hat. Wenn dein Vater noch lebte, dann wäre es anders gewesen." Er schüttelte betrübt den Kopf. „Sie hat sich seit seinem Tod arg verändert. Wir hätten euch im Auge behalten sollen, dich dort eher herausholen. Ich hätte reagieren müssen." Der Aufzug hielt, Alfonso schulterte meine Taschen. Still folgte ich ihm in das Foyer des Wohnhauses. Männer unterschiedlicher Altersstufen liefen durcheinander oder unterhielten sich lautstark. Einige bemerkten uns, starrten voller Neugierde zu mir rüber. Ich widerstand nur mit Mühe dem Wunsch, mich hinter dem breiten Rücken des Italieners zu verstecken, der zielstrebig auf eine Frau in seinem Alter zulief.

„Cara, darf ich dir die Tochter von Daniel vorstellen." Er schob mich in ihr Sichtfeld. Eine kleine rundliche Brünette musterte mich für einen Augenblick, riss mich dann an ihren riesigen Busen. Kräftiger als ich es ihr zugetraut hatte, drückte sie mich. Wo nahm sie nur diese Kraft her? Ich musste dringen mein Training wieder aufnehmen.

„Das ist also die kleine Dakota." Sie hielt mich nun auf Armlänge entfernt fest. „Es hieß doch in den vergangenen Jahren, dass der Don sie von der Schuld ihres Vaters befreien wollte. Wieso schleppst du sie jetzt doch an?" Sie ließ mich los, wedelte dem Glatzkopf mit dem Zeigefinger vor der Nase herum. Die Geste brachte mich zum Schmunzeln, dann wurde ich ernst. Was hatte sie da gerade gesagt?

„Ihr Stiefvater hat sich Geld geliehen und weigert sich, es zurückzubezahlen. Er dachte, er könnte uns hereinlegen und Dakota als Unterpfand verwenden. Sie wurde in ihrem Elternhaus schlecht behandelt. Deswegen nahmen wir nicht nur seine leibliche Tochter, sondern auch Dakota mit. Gib ihr bitte ein anständiges Zimmer. Ich berichte dir nachher mehr, mi amore." Alfonso drehte sich um, lief zurück zum Aufzug.

„Uomi! Immer sind sie auf dem Sprung." Die Frau tätschelte mir den Oberarm. „Na dann folge mir mal. Adriano! Marco!" Zwei Jungen, die ich von der Schule her kannte und die ich mehrfach um Dante herumscharwenzeln gesehen hatte, trabten auf uns zu. Beide musterten mich unverhohlen, stießen einander kichernd an, bevor sie ohne weitere Aufforderung meine Sachen packten.

„Wohin?"

„Ganz nach oben. Außer dem Gästebereich ist momentan nichts frei." Die Italienerin schnappte einen altmodisch aussehenden Schlüssel, der an einem Haken an der Wand hing, und stapfte zu einem antiken Holzschrank. Aus einer Schublade holte sie eine Zimmerkarte, wie man sie von Hotels kannte. Sie führte mich zu einem anderen Aufzug, gefolgt von den kichernden Idioten. Hatte Dante ihnen etwas über mich erzählt oder benahmen sie sich immer wie zwei Fünfjährige, die zum ersten Mal klammheimlich ein Schimpfwort benutzt hatten?

„Da wären wir." Sie stieß die Tür zu einem Raum auf, der mich qua Größe und Einrichtung sofort an Raffaeles Zimmer erinnerte. Die gleichen Möbel, die selbst auf den gleichen Stellen standen. Ich unterdrückte ein Schaudern. Langsam wurde mir die Sache unheimlich. Womöglich sollte ich mich doch mal mit Dante verabreden und ihn fragen, ob er Familie in Kalifornien hatte. Bei Los Angeles, um genau zu sein.

Doch war ich für die Antwort bereit? Wohl kaum. Was unternahm ich, wenn sich herausstellte, dass die Italiener miteinander verwandt waren? Zu bleiben war dann ausgeschlossen. Ich fasste mir an die Brust, vergewisserte mich, dass dort der kleine Beutel noch hing.

„Alles in Ordnung, topolina?" Die Frau strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Ich nickte eifrig. Es war besser, wenn ich ihr nichts von meiner Befürchtung erzählte. Nicht, dass sie ihren Mann, er den Don und dieser dann die Mafia in Kalifornien informierte. Selbst wenn sie nicht miteinander verwandt waren, bestand das Risiko, dass sie zumindest befreundet waren. So wie die verbündeten Familien aus Philadelphia, Chicago, San Francisco und Las Vegas. Gina und ihre Organisation. Abermals spielte ich mit dem Gedanken, sie anzurufen und um Hilfe zu bitten. Andererseits hatte mein Vater für die hiesige Mafia gearbeitet und wurde ich freundlich aufgenommen. Wenn ich also über die Zeit in Kalifornien kein Sterbenswörtchen verlor, würden sie mich beschützen. Aus Respekt.

„Topolina, hörst du mir überhaupt zu?"

„Mi dispiace", erwiderte ich schnell. „Ich bin völlig geschafft von den Ereignissen." Ich presste die Lippen aufeinander. Die Erkenntnis, dass meine bluteigene Mutter mich verabscheute, traf mich härter als die Schläge mit dem Gürtel im Keller der Santori. Feuchtigkeit sammelte sich in meinen Augen, Tränen drohten zu fallen.

„Ach Kind." Die Italienerin zog mich abermals an ihre Brust, streichelte mir beruhigend über den Rücken. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich noch, wie die zwei Jungen meine Habseligkeiten abstellten und sich davonschlichen. „Du kannst immer zu Maria kommen. Ich habe immer für dich Zeit." Eine Weile weinte ich still in ihren Armen, bis ich mich fing und ihr ein gequältes Lächeln schenkte. Ich würde es schon schaffen. Aufgeben war keine Option.

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Wieso wohl sind die zwei Jungs von dannen geschlichen? Na, habt Ihr eine Idee?

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt