Kapitel 33

1K 56 11
                                    


Die Tür zum Krankenzimmer stand offen. Der Arzt redete gedämpft mit jemandem im Flur. Doch nicht leise genug. Ich starrte an die weiße Zimmerdecke und lauschte dem Gespräch. Mein Bauch schmerzte ebenso wie der Kiefer und die rechte Wange. Alles nur, weil ich unbedingt an der Mission teilnehmen musste.

„Caralina hat keine bleibenden Schäden davongetragen, nur den Fetus konnte ich nicht retten. Eine Fehlgeburt kommt im frühen Stadium einer Schwangerschaft relativ häufig vor. Dazu die Schläge, die sie einstecken musste..." Der Arzt verstummte kurz, räusperte sich, bevor er weitersprach. „Es wundert mich eher, dass der Mistkerl sie nicht schwerer verletzt hat. Sie benötigt jetzt vor allem Ruhe. Raffaele sollte ihr zeigen, dass sie nicht alleine ist." Ich war schwanger gewesen? Hatte das Kind verloren? Aber wie? Wir hatten doch immer verhütet. Das ergab keinen Sinn. Meine Kehle schnürte sich langsam zu. Ärger stand mir bevor, stand uns bevor. Weil wir unsere Beziehung verheimlicht hatten. Ich krallte die Finger in die Bettdecke.

„In welcher Woche war Caralina?" Die Stimme des Dons verstärkte mein Unwohlsein. Sie klang kühl, kalkulierend, völlig emotionslos. Was dachte er jetzt nur von mir? Dass ich eine Versagerin war? Eine einzelne Träne entwich meinem linken Augenwinkel, rollte über die Schläfe in die Haare. Ich drehte den Kopf zur rechten Seite, weg von der Tür.

„Meinen Berechnungen nach müsste sie in etwa schwanger geworden sein, als Sie mit ihrer Familie auf der Hochzeitsfeier waren."

„Also läuft das doch schon so lange zwischen den beiden. Grazie. Nur eine Frage noch. Hat Caralina von der Schwangerschaft gewusst?" Nein, hatte ich nicht. Ich zog mir die Decke über den Kopf, dämpfte damit die Worte. Dennoch lauschte ich weiter.

„Vermutlich nicht. Ich habe mit Alerio gesprochen. Er erwähnte ihre anhaltende Müdigkeit, die normal in der frühen Phase ist. Scheinbar haben es alle auf das intensive Training geschoben, was unter anderen Umständen nicht einmal unwahrscheinlich gewesen wäre." Einen Moment blieb es still. Ich steckte den Kopf unter der Decke hervor. Folgte gleich das Donnerwetter? Sperrte er mich abermals in den verflixten Keller? Gürtelknallen durchbrach die Stille. Ich wimmerte, presste die Hände auf die Ohren. Die Narben auf meinem Rücken ziepten. Nicht wieder in das dunkle Loch. Ich warf mich auf die Seite, weg vom Ausgang, wo das Monster auf mich wartete. Die Scharniere der Tür quietschten, kündigten das Unheil an. Das Geräusch eines Stuhls, der über den Boden gezerrt wurde.

„Bambina?" Die tiefe Stimme des Dons. War er gekommen, um mich für mein Versagen zu bestrafen? Es musste so sein. Ein anderer Grund existierte nicht. „Bambina, sieh mich an." Widerwillig drehte ich mich zu ihm um. Augenblicklich musterte er mein Gesicht. Der Italiener atmete scharf ein. Er, der mir die Haut vom Rücken gepeitscht hatte, wandte seinen Blick ab, weil er den Anblick nicht ertrug. Sah ich so furchterregend aus? „Ragazza, ich...", startete er einen neuen Versuch, „mi dispiace." Es tat ihm leid. Ich atmete tief durch. Was tat ihm leid? Ich rappelte mich hoch. Ein stechender Schmerz zog sich quer durch meinen Unterleib.

„Leg dich hin, bambina. Du musst dich ausruhen." Der Don drückte meinen Oberkörper zurück auf das Bett. „Wenn du nicht gewesen wärst..." Er brach abermals ab, beugte sich über mich. Sanft küsste er meine Stirn. „Ohne dein mutiges Eingreifen hätte ich zwei Jungen verloren."

„Mick und Sam.."

„Haben beide überlebt", unterbrach er mich. „Weil du schnell gehandelt hast." Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, legte die Hände gefaltet in den Schoß. „Ich habe nicht erkannt, dass sie noch nicht bereit für eine Mission waren. Zu ungestüm, um simplen Befehlen Folge zu leisten. Sie haben mir gebeichtet, dass es ihre Idee war, weiter in den Hallenkomplex vorzudringen, und dass du ihnen nur widerwillig gefolgt bist." Der Mann schüttelte den Kopf. „Das wird mir kein zweites Mal passieren. Die Jungen werden vorläufig zu Hause bleiben und über ihr fahrlässiges Verhalten nachdenken müssen. Du dagegen," er strich mir liebevoll eine Haarsträhne hinters Ohr, „du hast drei Männer getötet." Ich wandte mich ab. Er hatte recht. Ich hatte kaltblütig drei Menschen umgebracht.

„Das möchte ich nie wieder tun", wisperte ich.

„Das wirst du auch nicht." Der Don setzte sich auf die Bettkante, streichelte mir weiter den Kopf. „Ich habe nicht vor, meine zukünftige Schwiegertochter noch einmal in Gefahr zu bringen." Ich verschluckte mich, schnappte hustend nach Atem. Das hatte er jetzt nicht gesagt! „Weißt du, wie meine Frau mich genannt hat, weil ich dich auf die Mission mitgenommen habe?" Ich drehte mich zu ihm um, wartete stumm ab. „Einen alten Esel. Du bekommst un asino zum Schwiegervater." Eine Geste begleitete seine Worte und ich fing an, zu kichern. Es sah aber auch zu komisch aus, wie der Don Zeige- und Mittelfinger an den Kopf hielt, um Eselsohren zu symbolisieren. Schnell schlug ich mir eine Hand vor den Mund.

„Tut mir leid." Ich wartete auf das Donnerwetter, weil ich mich über ihn lustig gemacht hatte, doch es blieb aus.

„Keine Angst, bambina. Du bist ein Teil der Familie, stehst unter meinem Schutz." Er stand auf, lief zur Tür. „Ruhe dich aus, so lange wie du brauchst. Dein Leben als Ehefrau meines Sohnes wird anstrengend." Seine Worte erinnerten mich daran, dass ich ein Baby verloren hatte.

„Ich wusste nichts von der Schwangerschaft, ehrlich", rief ich ihm hinterher. Mein Magen krampfte, doch die Übelkeit der vergangenen Wochen kehrte nicht zurück.

„Ich weiß. Ich erwarte auch nicht, dass ihr nach der Hochzeit bald Eltern werdet. Ihr müsst beide erst einmal lernen, mit dieser Situation umzugehen." Der Don hielt inne, schien einen Moment nachzudenken. „Meine Frau war kaum älter als du jetzt, als sie schwanger wurde. Der Übergang vom Mädchen zur Mutter war zu abrupt. Das werde ich dir nicht zumuten. Schlaf jetzt noch ein wenig."

Leise fiel die Tür hinter ihm ins Schloss, ließ mich grübelnd allein zurück. Raffas Vater hatte sich weitaus besonnener gezeigt, als ich von ihm erwartet hatte. Heute war er nicht das Monster, das mich im Keller festgehalten und gefoltert hatte. Schwiegervater. Ich schüttelte mich. Allein der Gedanke daran schnürte mir die Kehle zu. Worauf hatte ich mich da nur eingelassen?

„Hätte ich mal dran denken sollen, bevor ich mich Raffa an den Hals geworfen habe", murmelte ich, starrte wieder an die Zimmerdecke. Wo steckte Raffaele überhaupt? Hatte sein Vater ihm befohlen, mich erst einmal in Ruhe zu lassen? Zuzutrauen war es dem Don.

Meine Gedanken wanderten zurück zur Mission. Sam und Mick waren am Leben. Drei Männer hatte ich auf dem Gewissen. Kaltblütig ermordet. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich war ein Monster, wie der Mafiaboss, und hatte die letzte Chance auf ein normales Leben verspielt.

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt