Seit gefühlten Stunden saß ich auf dem Sofa in dem kleinen Reihenhaus, das uns als Unterschlupf diente. Mein Retter hatte erst telefoniert, war dann in der Küche verschwunden, aus der ein herrlicher Duft zu mir waberte. Obwohl mein Magen knurrte, verharrte ich wie festgewachsen an Ort und Stelle. Wieder und immer wieder ließ ich die Tage in Gefangenschaft Revue passieren. Die Informationen, die Carmen so leichtfertig mit mir geteilt hatte. In der Annahme, dass ich den Keller nicht mehr lebend verließ. Wären Michael und die anderen Männer nicht aufgetaucht, hätte sie recht behalten. Ich wandte den Blick zum Fenster.
Chicago. Wie waren nicht mehr in Toledo. Die Spanier hatten mich aus meiner Heimatstadt entführt. War es ein Zufall, dass ich ihnen dort in die Arme gelaufen war, oder hatten sie vorgehabt, sich mit Dantes Vater ebenfalls anzulegen? Gehörte der schmierige Kerl, vor dem ich ins Kaufhaus geflüchtet war, zu Carmens Leuten? Gesehen hatte ich ihn nicht mehr.
„Hör auf zu grübeln. Das bringt nichts." Michael stellte eine duftende Schale vor mir auf den Tisch. Hühnersuppe mit Unmengen an Gemüse, alles säuberlich kleingeschnitten. „Iss lieber etwas. Dürfte nicht mehr lange dauern, dann kommt eine Ärztin her, die dich ordentlich durchcheckt. Dafür benötigt sie meist Stunden. Also, wenn du nicht verhungern willst, iss." Er reichte mir einen Löffel. Ich schnitt eine Grimasse. Schon wieder Suppe. Es erinnerte mich an die ersten Tage in Raffaeles Zimmer, als mir die Suppenmahlzeiten fast aus den Ohren herauskamen. Ich vernahm ein leises Lachen und schaute hoch. „Du siehst ja sehr begeistert aus. Keine Sorge, sowie Jeanne ihr Okay gibt, koche ich dir feste Nahrung."
„Danke", krächzte ich. Es war kaum mehr als ein Flüstern und ich schloss betroffen den Mund. Hoffentlich hatte der verdammte Spanier mich nicht zu sehr verletzt. Doch das verdankte ich einzig dem gezielten Eingreifen von Michael. Mir fiel etwas ein. Wieso war er ohne Gina unterwegs? Hatte es mit ihrer Schwangerschaft zu tun? War das Baby etwa schon da? Gedankenverloren löffelte ich die Hühnersuppe aus. Sie wärmte angenehm meine geschundene Kehle, schenkte mir neue Kraft. Nach einer Weile stand der Mann auf, verließ den Raum.
„Das ist also die Patientin." Eine energische Frauenstimme riss mich aus meinen Überlegungen. Gleich darauf saß eine Frau mit feuerroten Haaren neben mir. „Ciao bella, ich bin Jeanne." Sie streckte mir erwartungsvoll die Hand hin. Ich stellte die Schüssel ab, wurde sogleich in eine feste Umarmung gezogen. „Jungs, raus hier. Ihr müsst ja wohl nicht unbedingt anwesend sein, wenn ich die Kleine untersuche."
„Aber natürlich, mia cara." Ein braunhaariger Italiener, der mir ein wenig bekannt vorkam, küsste sie auf die Stirn, bevor er mit eiligen Schritten das Wohnzimmer verließ.
„Danke, dass ihr so schnell hergekommen seid. Dann überlasse ich Caralina mal deinen fähigen Händen." Michael nickte mir zuversichtlich zu, bevor auch er aus dem Raum verschwand. Woher kannte ich den Fremden, der sich nicht vorgestellt hatte?
„Dann wollen wir dich mal untersuchen. Michael erwähnte, dass du gewürgt wurdest." Ich nickte zaghaft. Bei ihren Worten schmerzte mein Hals gleich noch mehr. „Etwas anderes, was die Arschlöcher dir angetan haben?" Prüfend sah sie mich an. Ich schüttelte vehement den Kopf. Spitze Nadeln schossen in meinen Nacken. Ich hatte das Gefühl, dass mir abermals jemand die Kehle zudrückte. Langsam dämmerte mir, dass ich verdammtes Glück im Unglück gehabt hatte. Hatte womöglich Carmen Schlimmeres verhindert? Während ich grübelte, tastete Jeanne meinen Hals und Nacken ab, inspizierte meine Kehle. Nach einer Weile holte sie eine Salbe aus ihrer Tasche und hielt sie mir hin. „Gegen die Hämatome. Gegen die Halsschmerzen empfehle ich Honig, warmen Tee und Suppe. Du scheinst noch mal Glück gehabt zu haben. Ansonsten viel Ruhe, um das Geschehene zu verarbeiten. Aber dafür wird Michael sorgen, so wie ich ihn kenne."
„Danke", presste ich hervor, davon ausgehend, dass die Untersuchung beendet war.
„Nicht so schnell. Lass mich noch den Rest deines Körpers nachschauen." Sie warf einen Blick auf meine verklebten Haare, bei der mittlerweile verheilten Kopfwunde. Diese tastete sie ebenfalls Millimeter für Millimeter ab. Danach befahl sie mir, mich auszuziehen.
„Muss das sein?" Ich hatte noch nicht geduscht, schämte mich auf einmal für meinen stinkenden Körper und die verdreckte Kleidung.
„Ja Kleines. Wenn wir hier fertig sind, bringe ich dich nach oben und helfe dir dabei, dich zu waschen, falls du Hilfe benötigst." Bei den Santori hätte sich jemand mir aufgedrängt, statt Unterstützung anzubieten. Wieso war diese italienische Familie so anders als meine? Respekt füreinander schien bei Gina und ihren Leuten einen höheren Stellenwert zu besitzen.
„Darf ich mit nach Philadelphia kommen?" Die Frage kam mir nicht leicht über die Lippen. Mein schmerzender erschöpfter Körper sehnte sich weitaus mehr danach, in Raffaeles Armen zu liegen. Doch mein Kopf verscheuchte die Sehnsucht unerbittlich. Der Italiener hatte es in meinen Augen vergeigt. Andererseits hätte ich ihm womöglich mehr Zeit gönnen müssen. Nein, er trug ebenso die Schuld an meinem überstürzten Aufbruch wie ich.
„Das wird Gina entscheiden, wenn Michael meint, dass du bereit dafür bist." Jeanne lächelte mich sanft an. „Aber jetzt erst möchte ich dich weiter untersuchen." Ich unterdrückte ein genervtes Stöhnen und zog mich aus. Je eher ich es hinter mir hatte, desto besser. Nach einer erneuten gefühlten Ewigkeit erklärte sie den Gesundheitscheck für beendet und bugsierte mich Richtung Tür. Dort hielt sie inne.
„Vielleicht sollte ich dir doch lieber ein Badelaken holen, damit du dich bedecken kannst. Sieht Matteo, mein Ehemann, wie dünn du bist, klemmt er dich unter seinen Arm und liefert dich bei Gina und Luca ab, damit die dich aufpäppeln. Meine Schwiegermutter lebt bei ihnen mit im Haus. Sie kann fantastisch kochen, mein Schwager übrigens auch." Sie schlüpfte flink in den Gang, ließ mir Zeit, die Informationen miteinander zu verknüpfen. Ihr Mann und der von Gina waren Brüder. Daher kam Matteo mir bekannt vor, obwohl ich ihn nie zuvor getroffen hatte.
Die heiße Dusche nur wenige Minuten später spülte den Dreck von meinem Körper, nicht aber die Sorgen, die wie Pech an mir hafteten. Fliehen, Bleiben, Heimkehren. Diese Optionen geisterten mir unentwegt durch den Kopf. Fast schon sehnsüchtig schaute ich am frühen Abend Jeanne und Matteo hinterher, als sie das Haus verließen, um nach Philadelphia zurückzukehren.
„Es ist besser so", kommentierte Michael, der neben mir stand. „Keine voreiligen Entschlüsse, die bringen nur Ärger." Melancholie schwang in seiner Stimme mit. Erwartungsvoll drehte ich mich zu ihm um, doch er winkte nur müde lächelnd ab. „Nicht heute. Wir sollten beide jetzt schlafen gehen. Wenn heute Nacht etwas ist, ich bin im Zimmer nebenan."
********************************************
Was haltet Ihr denn davon, dass Dakota unbedingt mit nach Philadelphia will? Meint Ihr, es wird so weit kommen?
Das Angebot, was ich letztes auf meine Pinnwand geschrieben habe, gilt übrigens noch. Ich könnte nächsten Samstag die restlichen Kapitel nacheinander hochladen. Oder Ihr müsst noch Wochen auf das Ende warten.
![](https://img.wattpad.com/cover/293275631-288-k271606.jpg)
DU LIEST GERADE
Verdammte Mafiosi
ActionNeugier ist der Katze Tod, sagen sie. Für Dakota dagegen eine Möglichkeit, Schlimmerem zu entgehen. Panisch flüchtet sie vor dem Mann, bei dem sie die Ferien verbringen sollte. In einer Stadt, in der sie außer ihm nur zwei weitere Menschen kennt. We...