Kapitel 47

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„Tut mir leid, Dakota, aber du musst in die Villa unseres Dons umziehen. Wir benötigen die Räumlichkeiten hier, da eine große Gruppe vorläufig zu uns übersiedelt. Alle Wohngebäude werden besetzt sein. Mehr kann ich dir leider nicht dazu sagen." Maria sah mich entschuldigend an. Ich nickte verstehend. Der Angriff auf den Onkel von Dante war wenige Tage her. Seitdem hatte ich den Italiener zu meiner Erleichterung nicht gesehen. Dafür hatte ich versucht, aus Alfonso ein paar Informationen herauszukitzeln. Allerdings ohne zu verraten, dass ich eine gewisse Mafiafamilie in Kalifornien kannte. Das behielt ich vorläufig für mich. Je stärker ich davon überzeugt war, dass sie miteinander verwandt waren, desto mehr irritierte es mich, dass niemand mich darauf ansprach. Entweder war ihnen mein Aufenthalt dort unbekannt, oder sie besaßen doch keine familiären Bande.

Ich hatte dadurch zwar nicht erfahren, welcher Teil der Familie betroffen war, sondern nur, dass es unter den Verwandten keine Toten gab. Nicht viel, aber immerhin ein Anfang. Ich überlegte einen Moment, ob ich Maria nach den Namen der Familienmitglieder fragen sollte, doch ich verwarf die Idee wieder. Ich würde es früh genug erfahren.

„Kein Problem. Ich packe direkt meine Sachen." Dante hatte mich die vergangenen Tage in Ruhe gelassen. Hielt er das durch, wenn ich in die Villa zog? War es nicht doch schlauer, Gina anzurufen und um Hilfe zu bitten? Aber was, wenn es wirklich Raffa und seine Familie waren, die herkamen? Verspielte ich nicht jegliche Chance, ihn wiederzusehen? Ich sehnte mich danach, in seinen Armen zu liegen. Oder unter ihm. Mein Unterleib zog sich verräterisch zusammen.

„Adriano und Marco werden dich fahren. Sag mir Bescheid, wenn du fertig bist. Sie können dein Gepäck tragen. Etwas Arbeit tut den beiden Jungen gut." Maria schloss leise die Tür hinter sich. Ich warf einen Blick auf die Badezimmertür, presste die Oberschenkel aneinander. Die Italienerin hatte nicht gesagt, dass ich mich beeilen sollte. Ich eilte ins Bad, um wenigstens ein lästiges Gefühl loszuwerden.

Etwa eine Stunde später lief ich den beiden Jungen hinterher zum Fahrstuhl. Sie scherzten darüber, dass ich, einmal in der Villa, diese nicht mehr freiwillig verlassen würde. Wenn sie sich da mal nicht täuschten.

„Luxus pur. Dante wird dich verwöhnen, wo er nur kann, Dakota", versuchte Adriano, mir den Aufenthalt in der Höhle des Löwen schmackhaft zu machen.

„Nervt er rum, bin ich weg", murmelte ich. Meine Gedanken wanderten zu der Telefonnummer, die sorgsam im Brustbeutel verstaut steckte. Nur die Neugierde befriedigen, dann verschwand ich endlich nach Philadelphia. Alles besser, als dass Dante auf die Idee kam, ich wäre die ideale Freundin für ihn.

„Irgendwas macht er wohl falsch, wenn du vor ihm wegläufst." Marco grinste mal wieder breit. Er hatte ein ausgesprochen sonniges Gemüt. Genau wie sein Kumpel neben ihm. Ein wenig erinnerten sie mich an Mick und Sam mit ihrer verrückten Art. Ich seufzte leise. Wie gern wäre ich jetzt bei ihnen statt in Toledo.

„Dante mag dich wirklich. Du bist das erste Mädchen, bei dem es ihm ernst ist." Adriano klang nachdenklich, ein wenig überrascht selbst. Ich verdrehte die Augen.

„Das kann er gleich vergessen. Nur weil mein Vater ein Mafioso war, heißt das nicht, dass ich mit einem zusammen sein will." Auf gar keinen Fall. Die Sache mit Raffa, so sehr ich ihn vermisste, hatte mir gezeigt, dass ich nicht in seine Welt gehörte. Somit auch nicht in die von Dante.

„Gib ihm eine Chance, Dakota. Wenn es nichts wird, dann ist es halt so. Aber lehne ihn nicht kategorisch ab." Gab Adriano nicht bald Ruhe, trat ich ihm nach der Ankunft in den Hintern. Während der Fahrt ging ein wenig schlecht. Ihm eine Antwort schuldig bleibend, lehnte ich den Kopf ans Fenster und starrte hinaus. Von normalen Wohnbezirken zu einer nobleren Gegend. Die Villen wurden größer. Die Grundstücke, auf denen sie standen, ebenfalls. Wie schwenkten auf einen Privatweg ab. Eine riesige Mauer, ein bewachtes Tor. Ich ahnte, was mich dahinter erwartete.

„Da seid ihr ja endlich." Dante kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zu, kaum dass ich ausgestiegen war. Marco und Adriano hatten sich meine Habseligkeiten geschnappt, die sie leise vor sich hin pfeifend in die Villa trugen. Widerwillig ließ ich die Umarmung über mich ergehen, statt ihnen fluchtartig hinterherzurennen. „Komm, ich zeige dir dein Zimmer." Immerhin bekam ich eins. Oder freute ich mich zu früh und landete ich gleich bei ihm? Wieso nahm ich das Angebot überhaupt an? Ich besaß genug Geld, um mir irgendwo ein Hotelzimmer zu mieten.

„Ich möchte euch wirklich keine Umstände machen." Ich warf einen Blick über die Schulter, sah, wie die Wachleute das schwere Metalltor schlossen.

„Du bereitest uns doch keine Umstände." Dante schlang einen Arm um meinen Rücken, dirigierte mich Richtung Eingangstür. Ich atmete tief ein. Hoffentlich begegnete ich nicht direkt seinem Vater. Die Erinnerung an den Don in Kalifornien kroch langsam aus den Tiefen meines Gedächtnisses hervor. Unangefochtene Autorität. Vorsicht walten zu lassen, um keinen Fehler zu begehen. Dinge, dich ich nicht im geringsten vermisste. Andererseits waren da seine fürsorgliche Art und das Training, mit der er mir zumindest ein wenig meine Ängste genommen hatte.

„Ragazza! Da bist du ja endlich!" Ich zuckte zusammen, wurde gleich darauf an einen üppigen Busen gepresst. Dante schmunzelte nur, half mir nicht, mich aus der Umarmung seiner Mutter zu befreien. „Bin ich froh, dass mein Mann endlich eingelenkt und dich hierhergeholt hat. Dieser Sturkopf!" Es folgte ein Schwall italienischer Flüche, bei denen selbst Dante die Ohren rot anliefen.

„Amore!" Eine tiefe Stimme dröhnte durch die Eingangshalle. Die Frau ließ mich los, wandte sich zu dem Mann um, der schnurstracks auf uns zulief. Automatisch zog ich den Kopf ein. Das war dann wohl der Don. „Ragazza, lass dich ansehen." Zwei warme Pranken auf meinen Schultern ließen mich augenblicklich erstarren. Erinnerungen an die Ausbildung in Kalifornien erwachten. Ich straffte den Rücken, hob den Blick. Schwarze Haare, braune Augen. Kein tödliches Eisblau, das mich ins Verderben geführt hatte. „Du hast viel von deinem Vater", fuhr er leiser fort. „Ich verdanke ihm mein Leben. Komm erst einmal mit. Meine Frau ist eine hervorragende Köchin. Ich bin mir sicher, wir finden in der Küche etwas Leckeres, damit du uns nicht verhungerst."

„Cornetti?", platzte es aus mir heraus. Erschrocken schlug ich eine Hand vor den Mund, doch der Don lachte nur.

„Gut möglich. Wir werden schon etwas finden, das dir schmeckt." Eine Hand zwischen meinen Schulterblättern dirigierte er mich durch das Haus. Nebenbei erzählte er, welche Räume ich wo vorfand. Obwohl ich wieder in den Fängen eines Mafiosos gelandet war, fühlte ich mich herzlich aufgenommen. Blieb nur zu hoffen, dass ich es nicht später bereute, nicht die Flucht ergriffen zu haben.

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Na die Begrüßung war ja gar nicht so beängstigend. Wie lange es wohl friedlich bleibt?

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt