Kapitel 6

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„Erzähl schon, was machst du hier allein?"

Mein Herz pochte wie verrückt, so dass ich die Schläge selbst im Hals bemerkte. Zitternd sah ich die Person, die bei mir stand, an. Unfähig auch nur ein Wort zu sagen, befeuchtete ich nervös die Lippen.

„Ich sehe schon, das wird so nichts. Komm mit. Ich werde dir nicht den Kopf abreißen." Ich hörte die Worte und die Sanftheit in der Stimme, doch meine Gedanken liefen Amok. War es schlau, zu folgen, oder war es klüger, so schnell wie möglich wegzurennen? Welche Alternativen standen mir offen? Mick war in irgendeine krumme Angelegenheit verwickelt. Ansonsten kannte ich hier keine Menschenseele.

Zögernd erhob ich meinen müden Körper und folgte der Schwarzhaarigen zu ihrem Auto, das am Rand des Parkplatzes stand. Sie öffnete mir die Beifahrertür und ließ mich einsteigen, bevor sie sich auf den Fahrersitz pflanzte.

„Ich nehme dich erst einmal mit zu mir. So wie du aussiehst, hat dich etwas wohl völlig aus der Bahn geworfen." Sie warf mir noch einen Seitenblick zu und drehte den Zündschlüssel um. Schweigend fuhren wir vom Bel-Air Bay Club weg. Als die Frau in eine mir zu bekannte Straße einbog, verkrampfte ich mich und vergrub meine Fingernägel im Sitz. Der Bungalow lag von mir aus gesehen auf der linken Seite. Ich duckte mich und gleichzeitig schielte ich dorthin. Ein Transporter stand davor, in den einige Männer eilig etwas hinein luden.

„Ach daher weht der Wind." Die Schwarzhaarige neben mir lachte leise. „Keine Angst, ich bringe dich nicht zu dem Idioten zurück. Der denkt wohl gerade, dass du ihm die Polizei auf den Hals hetzt. Obwohl das gar nicht mal so schlecht wäre."

Kurz darauf hielt sie vor einem anderen Bungalow. Ich huschte ihr hinterher nach drinnen. Auch hier wirkte die Inneneinrichtung mediterran und strahlte eine angenehme Wärme aus. Doch war es wie bei Harold womöglich alles nur Schein? Beschützend schlang ich die Arme um meinen Oberkörper. Auf weitere unangenehme Überraschungen hatte ich nicht die geringste Lust.

„Komm mal mit." Die Fremde legte ihre Hand auf meinen Rücken und dirigierte mich ins Wohnzimmer zu einem bequem aussehenden Sofa. „Wasser oder möchtest du lieber etwas Warmes zu trinken?"

„Wasser ist ok." Meine Stimme klang kratzig, vermutlich eine Nebenwirkung vom Weinen. Wo war ich hier nur reingeraten? Warum passierte das ausgerechnet mir? Ich hatte immer brav alles erledigt, was von mir erwartet wurde. Das Leben war unfair. Vor meinen Augen verschwamm es zum gefühlten hundertsten Mal an diesem Tag.

„Möchtest du darüber sprechen?" Das Sofa senkte sich neben mir. Eine Hand streichelte beruhigend meinen Rücken. Ich schüttelte nur den Kopf. Mir war nicht nach Reden zumute. Gedankenverloren starrte ich auf den Tisch und das Wasserglas, das dort auf mich wartete. Ich nahm einige Schlucke und stellte das Glas zurück an seinen Platz. Kurz darauf stand die Schwarzhaarige auf und hockte sich vor der Couch hin. Sanft legte sie den Zeigefinger unter mein Kinn, damit ich sie ansah. Braune Augen, ein mitfühlender Blick.

„Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Bei mir bist du sicher. Das kriegen wir schon hin", ermutigte sie mich. Ich nickte nur stumm.

„Ich heiße übrigens Carmen." Nun lächelte sie, wobei ihre weißen Zähne blitzten. „Carmen Rodriguez."

„Dakota Evans", murmelte ich leise zurück.

„Freut mich, dich kennenzulernen Dakota." Die Schwarzhaarige stand auf und verließ abermals den Raum, nur um direkt mit zwei Kuchentellern zurückzukommen.

„Ich hoffe du magst Brownies." Sie stellte einen der Teller vor mir ab. Der süßliche Duft von Schokolade stieg mir in die Nase. Prompt knurrte mein Magen.

„Das werte ich mal als ein Ja." Carmen grinste zufrieden und versenkte die Gabel in ihrem Stück. Wortlos aßen wir. Es schmeckte köstlich. Die großen Schokostückchen im Teig schmolzen regelrecht auf der Zunge und ich genoss es umso mehr, weil es die erste süße Leckerei seit Tagen war. Oh wie hatte ich das vermisst! Hatte der heutige Tag doch noch etwas Gutes gebracht.

„Wollen wir einen Film angucken oder möchtest du gleich Schlafengehen?" Fragend sah die Frau mich von der Seite an. Ich gähnte, schüttelte aber den Kopf.

„Mag noch nicht schlafen. Kannst du bitte eine Tierdoku anmachen? Auf einen Film könnte ich mich jetzt nicht konzentrieren." Ich zog meine Schuhe aus und kuschelte mich an die Sofalehne. Carmen reichte mir eine Decke, dann hielt sie inne.

„Soll ich dich nicht lieber ins Krankenhaus bringen?" Verdutzt schaute ich auf.

„Nein, wieso denn?"

„Wegen Harold. Ich weiß, dass du schon einige Tage bei ihm warst." Ihre Augen nahmen einen merkwürdigen Ausdruck an und sie zögerte. Schien zu überlegen, was sie als Nächstes sagen wollte. Sie schluckte schwer, bevor sie fortfuhr. „Das letzte Mädchen, das er bei sich hatte, hat ebenfalls hier Zuflucht gesucht. Ich weiß, was er mit Euch macht."

Dass ich nicht die Erste war, die er erst einlullen und dann, nein, daran weigerte ich mich zu denken. Vehement schüttelte ich meinen Kopf.

„Ich habe auf seinem PC entdeckt, was er macht. Aber im Gegensatz zu den anderen, bin ich rechtzeitig abgehauen. Außer ein paar Bildern ist nichts passiert." Mein Körper zitterte erneut. Mir wurde jetzt erst klar, wie viel verdammtes Glück ich gehabt hatte. Wäre ich nicht neugierig in sein Büro gelatscht und an den PC gegangen. Ich schnappte nach Luft.

„Alles wird gut." Zwei Arme schlangen sich um meinen Körper und ich legte den Kopf müde auf der Schulter der Schwarzhaarigen ab.

„Es wird Zeit, dass ihm jemand das Handwerk legt," murmelte sie an meinem Ohr, „doch leider sind selbst der Polizei die Hände gebunden, wenn ich es mir recht überlege."

„Wieso das?" Erstaunt sah ich wieder zu ihr auf.

„Er arbeitet für die Santoros, die ansässige Mafiafamilie. Diese Scheiß Italiener nehmen ihm die Mädchen ab, wenn er sie willenlos gemacht hat, und verkaufen sie dann in die Prostitution." Carmen schüttelte mit einem wehmütigen Blick den Kopf. „Selbst unterhalten sie keine Bordelle, damit niemand sie dafür belangen kann. Trotzdem haben sie ihre dreckigen Pfoten im Spiel."

Santoro? Das war doch Micks Nachname! So hatte er sich am Telefon gemeldet. Hatte ich mich in ihm ebenfalls getäuscht. Er und Sam hatten mich genauso wie Harold hereingelegt. Kannten ihn womöglich und hatten sein Spiel mitgespielt. Wie beschissen konnte dieser Tag noch werden?

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Was haltet Ihr von Carmen?

Harold gehört zu den Santoros? Hättet Ihr das erwartet?

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt