Kapitel 24

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Ich starrte aus dem Fenster. Die Fahrt nach San Francisco schien ewig zu dauern. Noch nie hatte ich länger als eine Stunde am Stück in einem Auto verbracht. Raffa saß neben mir mit geschlossenen Augen, war mit sich und der Welt im Reinen. Insgeheim beneidete ich ihn um diese Seelenruhe. Andererseits bereitete er sich womöglich in Gedanken auf die Rolle vor, die ihm sein Vater aufgebürdet hatte. Der Don erwartete, dass wir einen makellosen Eindruck bei den Mitgliedern der anderen Familien hinterließen. Ein kalter Schauer lief durch meinen Körper. Wie viel Mafiosi wohl bei der Hochzeit anwesend sein würden? Ich schielte nach vorne zu unseren beiden Bodyguards, Vicente und Romano. Sie hatten ihr anfängliches Gespräch längst eingestellt, starrten still durch die Windschutzscheibe nach vorn auf die Straße. Ihrer Unterhaltung hatte ich entnommen, dass eine Feier wie die heutige einen hohen Seltenheitswert innehatte. Neue Verbündete hatten normalerweise bei solchen Festlichkeiten nichts verloren. Dennoch hatten die Gastgeber sich dazu entschieden, uns einzuladen. Was, wenn es eine Falle war?

„Was ist los, ragazza? Du schaust aus, als ob du am liebsten die Flucht ergreifen würdest." Innerlich schalt ich Romano, der sich zu mir umgedreht hatte, für seine flapsige Bemerkung. Ich war trotz der Anspannung ein kleines bisschen stolz darauf, dass der Don mir insofern vertraute, mich auf diese Feier mitzunehmen. Das Vertrauen reichte so weit, dass er mit seiner Frau in einem anderen Wagen saß, somit nur Raffa und die zwei Männer dafür Sorge trugen, dass ich nichts anstellte. Wie auch? Sollte ich mich aus einem fahrenden Auto werfen?

„Vielleicht hat unsere Kleine Angst, dass es ihre Hochzeit ist, zu der wir sie bringen", stichelte Vicente, da ich still blieb. Was? Vor Schreck schlug ich die Finger zu beiden Seiten meines Körpers wie Krallen in den Sitz.

„Wer hält mich eigentlich davon ab, euch nach unserer Ankunft das nichtexistente Gehirn herauszublasen?" Raffaeles Stimme schnitt eisig durch die auf einmal stickige Luft im Wagen. Meine Atmung stockte. Da war er wieder, der tödliche Sohn eines Mafiabosses. Eiskalt, berechnend. Das Abbild seines Vaters. Bilder aus dem Keller schossen mir durch den Kopf, quälten mich mit der Erinnerung an die Folter. Ich schnappte nach Luft. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Raffa wandte sich mir zu, ließ prüfend seinen Blick zu mir gleiten. Die eisblauen Augen, die sonst in der Lage waren, ganze Seen zuzufrieren, betrachteten mich sorgenvoll. Etwas Warmes schlang sich um meine eiskalten, schweißnassen Finger. Eine starke Männerhand, die mir Schutz und Geborgenheit vermittelte.

„Vermutlich Caralina", brummte Romano. „Sie ist nicht so blutrünstig wie du. Wobei ich mich nach wie vor frage, was dein Vater mit diesem Schachzug bezweckt. Es gefällt mir nicht, die Kleine zu einer Gruppe mitzunehmen, die wir kaum kennen." Sein mürrischer Kommentar befeuerte meine Befürchtungen.

„Auf der Einladung stand ausdrücklich vermeldet, dass es eine Feier mit Familienangehörigen ist. Familie scheint sowohl bei den Genoveses als auch bei ihren Verbündeten einen hohen Stellenwert einzunehmen. Ginge mein Vater allein oder nur mit meiner Mutter, würfe das ein schlechtes Licht auf uns. Mit Caralina an meiner Seite, demonstrieren wir, dass auch wir Wert auf Beziehungen legen." Raffa seufzte leise. „Mein Vater wünscht, dass ich mich mit den anderen Anwesenden unterhalte, Kontakte knüpfe, als Vorbereitung auf die spätere Arbeit als Familienoberhaupt. Ihr seid in der Zwischenzeit für die Sicherheit von Caralina verantwortlich." Den letzten Satz sprach er mit einem drohenden Unterton, drückte dabei zärtlich meine Hand. Ich zupfte mit dem Zeigefinger der anderen an einer Haarsträhne, um mich von dem Kribbeln abzulenken, das seine Berührung auslöste.

„Wie lange dauert es noch?" Ich gähnte leise. Annetta hatte mir in den frühen Morgenstunden mit einem höllisch heißen Metallgerät Wellen in die Haare gezaubert. Dass ich dafür noch eher aus den Federn als sonst musste, hatte mir natürlich niemand zuvor verraten. Das stundenlange Sitzen im Auto tat sein Übriges.

„Wir kommen gleich beim Hotel an. Dort kannst du dich auffrischen und umziehen. Danach geht es direkt weiter zum Anwesen der Genoveses." Raffa lächelte mir aufmunternd zu, wirkte nun weniger wie der Sohn eines gefährlichen Mannes auf mich. Einmal mehr der Beweis, wie Äußerlichkeiten manchmal täuschten.

„Du kannst mich unbesorgt hier lassen." Ich blieb mitten im Raum stehen. Dies war unser Zimmer? Ich drehte mich einmal um die eigene Achse, betrachtete lächelnd die Räumlichkeiten. Geräumig, in sanften Farben gestrichen. Die Aussicht, die die bodenlangen Fenster boten, hatte eine fast schon übersinnliche Anziehungskraft. Das Hotel lag außerhalb der Stadt, einige Meter oberhalb des Meeresspiegels auf einer Klippe.

„Da hat mein Vater wohl deinen Geschmack getroffen." Raffa trat hinter mich, schaut mit mir zusammen hinaus aufs Meer. „Mir hätte er die Suite nicht gebucht", brummte er, bevor er sich abwandte und das Kleid aus dem Kleidersack befreite. „Na komm, zieh dich um. Wir sollten besser nicht herumtrödeln." Ich nickte geistesabwesend, schnappte mir das Kleidungsstück und verschwand im Bad. Beim Frischmachen lief es mir eiskalt den Rücken hinunter, als mir etwas einfiel. Es gab nur ein Bett. Es war zwar riesig, doch hatten Raffas Eltern nicht immer betont, dass sie uns zwangsverheirateten, wenn sie uns unter einer Bettdecke erwischten? Oder hing es mit dem Grund zusammen, dass der Italiener auf mich aufpassen sollte, damit ich nicht flüchtete? Dann ergab es wiederum Sinn. Als ich etwas fünfzehn Minuten später zurück ins Zimmer trat, wurde ich sofort an eine harte Männerbrust gepresst.

„Cazzo!", murmelte Raffaele neben meinem Ohr, den Arm fast schon schmerzhaft um meinen Körper geschlungen. Was war nur in den Italiener gefahren? Ich runzelte die Stirn. „Du bleibst auf der Feier immer in meiner Nähe, egal was passiert, verstanden!" Ohne eine Antwort abzuwarten, packte er meine Hand und zog mich hinter sich her zum Wagen, an dem Vicente und Romano lehnten.

„Santa Madre!", rutschte einem der Männer heraus. Beide Bodyguards starrten mich mit offenem Mund an. Meine Wangen brannten vor Scham. Sah ich so furchtbar aus, dass der Anblick sie regelrecht erstarren ließ? Ich trat hinter Raffa, versteckte mich vor den Blicken.

„Steigt ein", knurrte mein Begleiter die beiden Mafiosi an. Dann hielt er mir galant die Tür auf. Ich huschte ins Wageninnere, legte die Hände in den Schoß. Das nervöse Flattern in meinem Magen nahm zu. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Was, wenn ich versagte, die Familie der Lächerlichkeit preisgab? Es war eine blödsinnige Idee des Don, ausgerechnet mich mitzunehmen.

„Jetzt kommt es darauf an." Fast hätte ich Raffas leisen Worte überhört. Ich sah zu ihm. Er zupfte an seinem Anzug, der makellos saß. Der Italiener presste die Kiefer fest aufeinander, sein Adamsapfel schien einmal auf und ab zu hüpfen. Das erste Mal, dass ich meinen Begleiter nervös erlebte. Ich zwang mir ein Lächeln ab. Wir würden das zusammen durchstehen.

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt