Kapitel 19

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„Mein Mann hat mir von dieser unglückseligen Verwechslung berichtet. Es ist unverzeihlich, was er dir angetan hat." Die Italienerin warf einen vielsagenden Blick zum Mafiaboss, der sich gedankenverloren über die leicht angeschwollene Partie seines Gesichts auf der Höhe des Wangenknochens rieb. Sah es nur so aus, oder verfärbte die Stelle sich ins Bläuliche? Meine Neugierde nahm überhand. Ich musterte den Mann, der für diese Situation verantwortlich war. Schweigend, mit betretener Miene ließ er die Tirade seiner Frau über sich ergehen. Hatten selbst Mafiosi so etwas wie ein schlechtes Gewissen?

„Ich hatte geglaubt, dass du nach der Sache mit Sam etwas gelernt hattest. Anscheinend habe ich mich getäuscht. Du bist ein sturer alter Esel. Ich bin wirklich enttäuscht von dir." Sie stand auf und verschwand aus dem Salon, in dem wir das Abendessen genossen. Mehr oder weniger. Die Jungs verkniffen sich mit Mühe ein Kichern. Raffaele stocherte mit seiner Gabel gedankenverloren in den Spaghetti herum und der Don schien sämtlichen Appetit verloren zu haben. Ich knetete die Serviette, die auf meinem Schoss lag. Nur meinetwegen herrschte diese Stimmung. Wieso hatten Alerio und seine Frau darauf bestanden, dass ich hier statt bei ihnen mitaß? Seit der Rückkehr des Mafiabosses aus dem Urlaub war alles noch verwirrender als zuvor. Der leere Teller vor meiner Nase verschwand spurlos. Ein neuer tauchte auf, mit dem italienischen Nachtisch, von dem die Mutter in der Küche geschwärmt hatte, nachdem sie von dem Gespräch mit ihrem Ehemann zurückgekehrt war. Die Kelle hatte sie achtlos zur Seite geworfen, leicht verbogen. Ich hatte die leise Vermutung, dass sie damit dem Don eins übergezogen hatte.

„Seit wann bekomme ich nicht mehr als Erster den Nachtisch?" Sam zog einen Flunsch, setzte seinen besten Welpenblick ein, der mich zum Schmunzeln verführte.

„Lina verdient ihn mehr als du. Das Mädchen braucht anständiges italienisches Essen, um wieder etwas auf die Rippen zu bekommen. Du dagegen," sie wies mit einer Kuchengabel auf ihn, „kannst ruhig mehr trainieren. Raffaele sollte dich härter herannehmen. Das hier ist ein Mafiahaushalt, kein Landhotel."

„Sì Mamma!" Der Blonde warf einen verstohlenen Blick zu Michaele, der neben ihm saß und breit grinste.

„Das gleiche gilt für dich." Die Italienerin gab ihrem jüngeren Sohn einen Schlag in den Nacken. „So viel Babyspeck hattest du nicht einmal als Dreijähriger." Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, kniff sie ihm in seine Wange. Unglaublich! Ich musterte die beiden Jungen kurz. Wo hatten die Speck? Zugegeben, sie waren nicht so durchtrainiert wie Raffaele, der sich stumm seinem Nachtisch widmete. Ich hatte den Verdacht, dass er mit der Taktik der Wut seiner Mutter zu entgehen suchte.

„Wenigstens mein Großer ist klug, mio caro Figlio!" Sie strich ihm durch seine kohlrabenschwarzen Haare. „Du hast Lina aus diesem widerlichen Keller befreit und ihre Wunden versorgt. So wie es sich für einen Gentiluomo geziemt. Auf dich kann ich wenigstens stolz sein." Nun war er es, der betreten vor sich hinstarrte. Sein Vater dagegen schmunzelte.

„Du sprachst davon, mi Amore, dass Raffaele die Jungen härter trainieren soll. Ich bin mit Alerio zu der Übereinkunft gekommen, dass er Caralinas Training ebenfalls übernimmt. Da sie bei uns bleibt, ist es unausweichlich, dass sie sich zu wehren lernt. Des Weiteren, vermutlich zu deiner Erleichterung, wird sie hier im Haupthaus schlafen. Ich dachte da an das freie Zimmer gegenüber von Raffaeles Raum." Er ließ seine Worte kurz bei seiner Frau sacken, deren Augen freudig aufleuchteten. „Er hat unerwartet die Verantwortung für sie übernommen. Daher denken wir, dass es für ihn eine gute Vorbereitung auf seine spätere Arbeit ist, sich weiterhin um ihr Wohl zu kümmern." Verhörte ich mich da? Hustend legte ich die Kuchengabel weg und schielte zu dem Italiener, mit dem ich in den vergangenen Wochen im selben Bett geschlafen hatte. Seine Kiefermuskeln spannten über den Knochen, waren kurz vorm Bersten. Er hob den Kopf. Die Lippen fest aufeinandergepresst starrte er seinen Vater finster an. Seine eisblauen Augen glichen zugefrorenen Seen. Tief, tödlich, eisig. Ruckartig stand er auf, sein Stuhl kippte hintenüber, krachte auf den Parkettfußboden.

„Ich halte das für keine gute Idee, Vater. Caralina ist zu schwach. Sie kann sich nicht alleine wehren." Seine Stimme so frostig wie ein Schneesturm, schoss kleine Pfeile aus Eis mitten in mein Herz. Ich war mir dessen bewusst, dass ich hilflos war. Nur warum betonte er es jedes Mal aufs Neue? War ich solch eine Bürde für ihn, dass er mich nicht einmal trainieren wollte? Tränen bildeten sich in meinen Augen. Ich schnellte hoch, knüllte die Serviette zusammen und rannte ins Wohnzimmer, wo ich auf eines der Sofas sprang und zusammengerollt liegenblieb. Weinkrämpfe schüttelten mich. Ich bekam kaum Luft, schnappte zwischen den Schluchzern hindurch nach Atem. Jemand zog mich auf einen Schoß.

„Mi dispiace, Cara. Ich habe es nicht so gemeint." Raffaeles betörender Geruch stieg mir in die Nase. Meine Finger griffen verkrampft in sein Shirt. Sanft streichelte er meinen Rücken. „Ich will doch nur nicht, dass dir etwas geschieht. Mein Vater hat genug angerichtet. Wenn ich dich trainiere, wird er dich für Einsätze einplanen, wie jeden von uns." Er hob mich mühelos hoch und lief zur Tür. „Ich habe da eine Idee, was dich aufheitern könnte. Versprich mir aber, keinen Fluchtversuch zu unternehmen." Ich nickte gegen seine Schulter. Was auch immer er vorhatte, es klang nach einer Möglichkeit, ein wenig Abstand zu dieser Familie zu bekommen. Mit meiner Reaktion zufrieden, trug er mich zu einem Wagen, der vor der Villa stand. Ich warf einen Blick auf das imposante Gebäude. Es war das erste Mal, dass ich es von außen sah. Drei Stockwerke hoch, in einem Stil, der mich an Bilder vom Mittelmeer erinnerte.

„Zieh mal den Kopf ein." Brav gehorchte ich seinen Worten, ließ mich auf den Beifahrersitz setzen. Er beugte sich rüber, schnallte den Gurt fest. Wäre ich seine Nähe nicht gewöhnt, würde ich mich jetzt aller Wahrscheinlichkeit nach völlig verkrampft am Sitz festkrallen. So schoss nur mein Puls in die Höhe. Ich sah nach der Flennerei mit Sicherheit furchtbar aus. Beschämt wandte ich den Kopf zum Fenster, als er einstieg und den Wagen entspannt vom Gelände manövrierte. Die Wachen am Tor nickten uns zu. Ein Gewehr lehnte an der Wand des kleinen Wachgebäudes, erinnerte mich an die Gefahr, die von dieser Familie und all ihren Angehörigen ausging. Ich rutschte tiefer in den Sitz hinein. Meine anfängliche Begeisterung für den Ausflug schwand. Bald brach die Dunkelheit herein. Wo brachte der Italiener mich hin?

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Hm, eine interessante Familie. Was haltet Ihr denn von der Mutter?

Raffa hat mehr Stimmungsschwankungen als eine schwangere Frau. Was da wohl dahintersteckt?

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt